wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Am 14. Juli 2021 ließ eine Regenflut den schmalen Fluss Ahr zu einem Strom anschwellen, der Häuser und Straßen mit sich riss. 130 Menschen starben, fast alle Weingüter wurden beschädigt oder zerstört. Thomas Ehlke berichtet, wie die betroffenen Winzer zwei Jahre nach der Katastrophe leben und arbeiten.

Im Container vor dem geschlossenen Weinhaus in der Hauptstraße von Dernau drängt sich eine Menschenmenge, während draußen der Regen auf das Blechdach prasselt. Winzer Markus Bertram schenkt der Journalistengruppe seine Weine aus. Eine improvisierte Verkostung in einer Behelfs-Vinothek, in der der geschäftliche Alltag des Gutes abgewickelt wird. „Es muss ja weitergehen“, sagt Markus Bertram. Dieser Satz begegnet den Besuchern im Ahrtal immer wieder. „Es muss weitergehen.“

Zwei Jahre ist es her, als am 14. Juli 2021 eine Regenflut das beschauliche Flüsschen Ahr binnen wenigen Stunden zu einem gewaltigen Strom anschwellen ließ, der Häuser, Bäume, Fahrzeuge und auch Menschen mit sich riss. Über 130 Tote, hunderte zerstörte Gebäude und Existenzen: Das ist die schreckliche Bilanz des Katastrophentages.

 

Gesamtschaden: bis zu 200 Milionen Euro

 

Besonders hart hat es den Weinbau getroffen. Fässer, Flaschen, Maschinen und Fahrzeuge wurden von den Wassermassen erfasst und versanken im Schlamm. Kelterhäuser, Vinotheken und andere Bauten standen meterhoch unter Wasser. Nur fünf der 46 Weingüter an der Ahr sind von der Flut verschont geblieben. Weinbaupräsident Hubert Pauly beziffert den Gesamtschaden an Gebäuden, Rebflächen und Wein auf 150 bis 200 Millionen Euro. Rund zehn Prozent der 560 Hektar großen Weinbergsfläche an der Ahr sind von der Flut zerstört worden. Auf etwa 530 Hektar wird aber wieder Wein angebaut. „Die Rebstöcke waren nach der Flut alle noch im Boden, nur Pfähle und Drahtrahmen wurden weggespült“, verdeutlicht Pauly.

Der Weinbaupräsident berichtet vom schleppenden Fortgang der Wiederaufbauarbeiten. Das hat mehrere Gründe: Bürokratische Hürden, noch nicht genehmigte Bauanträge, Brandschutzauflagen oder sich widersprechende Gutachten. Aber auch der Handwerkermangel macht sich bemerkbar.

Doch davon lassen sich die Winzer an der Ahr nicht unterkriegen. Die Zuversicht wird in Gesprächen deutlich: „Unter den Winzern herrscht Aufbau-Stimmung“, bekräftigt auch Carolin Groß vom Verein Ahrwein e.V., der rund 90 Prozent der Rebflächen an der Ahr unter seinem Dach vereint. Viele Winzer nutzen die durch die Flutkatastrophe bewirkte Zerstörung auch, um ihr Weingut nachhaltig neu zu errichten. Das Problem: Das Geld des Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern kann zwar für den Wiederaufbau des alten Gebäudebestands, nicht aber für nachhaltige und damit veränderte Neubauten genutzt werden.

 

Über die Hälfte der Weingüter sind zurückgekehrt

 

Mittlerweile sind laut Groß wieder mehr als die Hälfte der Betriebe in ihr ursprüngliches Gutshaus zurückgekehrt. „Der Neuaufbau läuft nebenher, manche haben das auch als Chance für Renovierungen genutzt“, sagt sie. Carolin Groß lenkt hier den Blick auf die älteste deutsche Winzergenossenschaft in Mayschoß. 1,2 Millionen Liter Wein produziert die 1868 gegründete Genossenschaft jährlich. Zwar hat man vorerst wieder das alte Betriebsgebäude provisorisch renoviert, doch die Verantwortlichen planen einen kompletten Neubau.

Der Weinbau an der Ahr läuft zwei Jahre nach der Flutkatastrophe wieder in halbwegs geordneten Bahnen, wenngleich es noch Jahre dauern wird, bis die Lücken wieder geschlossen sind. Improvisation und Flexibilität sind nötig – und werden es noch eine ganze Weile bleiben. „Für die Weinherstellung werden teilweise ausgelagerte Gebäude genutzt und die Weinverkostungen finden zum Teil noch in Containern statt, bis die Vinotheken wieder aufgebaut sind“, stellt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut dazu fest.

Dass die Betriebe überhaupt überleben konnten, liegt auch an der beispiellosen Solidarität, die die Betroffenen von Berufskollegen und Weinfreunden aus ganz Deutschland erfahren haben. Davon profitierte auch Markus Bertram, der das 4,8 Hektar große Gut in Dernau zusammen mit seinem Bruder Christian führt. Gleichwohl hatten die Bertrams noch Glück im Unglück: Außer zwei ausgelaufenen Fässern konnte der Weinbestand gerettet werden. „Da wir eine knappe Woche vorher erst gefüllt hatten, war das Flaschenlager voll“, sagt der 41-jährige Winzermeister. Wenige Tage nach der Flut haben die Bertrams die gefüllten Flaschen aus dem Gemenge von Kartons, Schlamm und Paletten gefischt, gereinigt und als “Flutwein” verkauft.

 

Büro in der Einliegerwohnung, Verkostung im Container

Während Markus und Christian Bertram aktuell weiter auf Genehmigungen für die Kernsanierung ihres Weinhauses in der Hauptstraße warten, läuft der Betrieb des Weingutes unter Bedingungen weiter, wie sie auch für viele andere Ahrwinzer nach der Flut zum Alltag geworden sind. Sein Büro betreibt Markus Bertram derzeit in der Einliegerwohnung eines Freundes im Nachbarort, das Flaschenlager ist in einer Spedition untergebracht und wird im August in eine angemietete Halle verlegt. Improvisationstalent ist gefragt.

Weine gibt’s oft noch in Containern zu verkosten.

Was Winzer und Gastgewerbe im Ahrtal aber dringend brauchen, sind Gäste. Die kommen nur noch am Wochenende. Unter der Woche bleiben viele Plätze in den Lokalen leer und auch der Publikumsverkehr in den Weingütern hält sich in Grenzen. Unter dem Slogan „We Ahr open“ locken die regionalen Anbieter die Gäste ins Tal. Im Jahr 2019 – also vor der Flutkatastrophe und der Covid-Pandemie – zählte die Ahr rund 1,3 Millionen Übernachtungen. Davon ist die Region gegenwärtig weit entfernt: Im ersten Quartal 2023 kamen lediglich 150.000 Gäste. Rechnet man das zum Jahresende hoch, werden es deutlich über eine halbe Million sein. Ihnen stehen gegenwärtig 60 Prozent des früheren Bestandes von 5.600 Betten zur Verfügung. Vor allem die großen Hotels, etwa in Neuenahr, sind weiterhin geschlossen. „Aber Aktivurlaub kann man bei uns trotzdem machen“, bekräftigt Carolin Groß.

Während in der fernen Landeshauptstadt Mainz die Politik in einem Untersuchungsausschuss über Schuld und Verantwortung gestritten hat, spielt dieser Aspekt bei den Menschen an der Ahr nur eine untergeordnete Rolle. Die Frage nach der Schuld sei Zeitverschwendung, sagt der VDP-Winzer Alexander Stodden aus Rech. Man müsse den Blick nach vorne richten. „Das wird auf jeden Fall schöner als vorher“, ist sich Stodden sicher. Eine Ansicht, die Markus Bertram teilt. Bei aller Tragik, Zerstörung und Verlust sei die Katastrophe eine – wenn auch ungewollte – Chance, das Ahrtal neu und zukunftsgewandt zu gestalten. „Wir schaffen das“, sagt der Dernauer.

Mehr zum Thema:

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER