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Ein Jahr nach der Flutkatastrophe besuchte der Bundespräsident die Ahr. Was er dort zu sehen bekam, ist ernüchternd: Trotz vieler Versprechen der Politik kommt Hilfe immer noch sehr schleppend an. Privatinitiativen und Optimismus sind die Perspektiven der Flutopfer. Gisela Kirschstein war vor Ort und hat mit Winzern über die aktuelle Situation gesprochen. 

Der "Keller Nummer 6" war eine Legende, nun gähnt hier eine leere Öffnung, der Boden ist voller Schutt – das historische Haupthaus der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr ist nur noch eine Ruinenlandschaft. Die Vinothek der ältesten deutschen Winzergenossenschaft, die 150 Jahre alte Kelleranlage, das Restaurant, der Keller – alles wurde in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 Opfer der Fluten.

Ein Jahr danach ist im Ahrtal nichts richtig gut: 9.000 Gebäude wurden in jener Nacht zerstört, 90 Prozent von ihnen sind bis heute nicht wieder aufgebaut. Viele Orte entlang der Ahr sind noch immer Geisterstädte: Erdgeschoss-Fassaden stehen verbrettert da, von Fachwerkhäusern sind nur noch die Balken übrig. Brücken ragen zerstört über den Fluss, viele Hotels und Restaurants sind geschlossen.

Gisela Kirschstein

“Wir werden alles abreißen: das alte Haupthaus, die Vinothek, die Verwaltung und die Versandhalle", berichtet Dirk Stephan, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft im Gespräch mit wein.plus. Neun Meter hoch stand das Wasser in der Flutnacht, die braune Brühe floss bis hinauf in den zweiten Stock. Die Schäden sind so groß, dass ein Wiederaufbau unwirtschaftlich ist, berichtet Stephan, der Schaden wird auf rund 15,5 Millionen Euro beziffert. Ein Jahr nach der gigantischen Flutwelle herrscht Ernüchterung im Tal, denn der Wiederaufbau schreitet einfach nicht voran. Die Atmosphäre liegt wie eine Decke aus Wut, Resignation und Erschöpfung über dem Tal. "Die Stimmung ist sehr gedrückt", berichtet Philipp Nelles, Juniorchef des gleichnamigen VDP-Weinguts: "Es ist nicht jeder so guter Dinge, wie er es vor einem Jahr gewesen ist."

Langsam und schleppend

Vor rund einem Jahr brachte eine allen Widrigkeiten zum Trotz gestemmte Weinlese ein Stück Euphorie nach der Apokalypse, doch der Schwung ist verflogen. "Im Moment geht alles sehr langsam und schleppend", berichtet Nelles. Im Tal herrscht akuter Handwerkermangel, Materialknappheit kommt dazu. "Auf Kühlschränke muss man vier Monate warten, Brandmeldeanlagen haben lange Lieferzeiten wegen der eingebauten Chips", zählt er auf. "Hier vor Ort, wo sonst immer gut was zu tun war, ist es sehr, sehr ruhig."

Auch das Weingut Nelles in Heimersheim an der unteren Ahr wurde durch die gigantische Welle geflutet, die Keller stark zerstört. Und doch kehrt hier langsam etwas Normalität zurück: "Wir sind kurz davor, unsere neue Vinothek aufzumachen", berichtet Nelles stolz: "Man kann bei uns Wein kaufen, ihn trinken und etwas essen – es kommt Stückchen für Stückchen zurück." Das Restaurant nebenan habe seit einigen Tagen wieder geöffnet, auf der Wiese stehen Gartenstühle – mit Blick auf die Weinberge. Ein Stück Glücksgefühl.

Gisela Kirschstein

Nach dem großen Erfolg der Flutwein-Kampagne 2021 stehen viele Winzer nun aber vor großen Absatzproblemen: "Wir leiden enorm unter dem ausbleibenden Tourismus", sagt Peter Kriechel, Vorsitzender von Ahrwein e.V. und selbst betroffener Winzer aus Walporzheim: "Wir hätten jetzt Hauptsaison, im Normalfall wäre das Tal jetzt ausgebucht." Stattdessen sei der Verkauf vor Ort deutlich gesunken, derzeit liege er 15 bis 20 Prozent unter den Absatzzahlen vor der Corona-Pandemie, schätzt Kriechel.

Dazu kommt der allgemeine Einbruch beim Weinverkauf von bis zu 30 Prozent wegen Krieg und Inflation. Das Ahrtal trifft es besonders: "Uns wurden nicht nur Gebäude und Weinberge genommen, sondern auch die gesamte Vermarktungs-Infrastruktur", sagt Kriechel. Und so versuchen sie nun, die Kunden mit einer "Wein Beach" an der Stadtmauer von Ahrweiler anzulocken, machen Baustellen-Weinproben im Rohbau der Vinothek. "Das ist authentisch, und die Leute sitzen dann eben auf der Biergarnitur und haben Spaß", sagt Kriechel.

In anderen Weingütern stehen nicht einmal mehr die Gebäude. Das VDP-Weingut Meyer-Näkel wurde in der Flutnacht fast komplett zerstört, die große Produktionshalle am Fluss wie mit einem Dosenöffner aufgeschlitzt, erzählt Meike Näkel. Zum Jahrestag kam Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorbei. Staunend, bedrückt und wortlos stand das Staatsoberhaupt vor den Fotos der gigantischen Zerstörung.

Staatliche Hilfen kommen nicht an

Viele Geräte in der wieder aufgebauten Halle sind bis heute Leihgaben anderer Winzer – auch hier stockt der Wiederaufbau. Das größte Problem dabei: Die staatlichen Hilfen kommen nicht an. Von 15 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe des Bundes sind bis heute gerade 500 Millionen Euro bewilligt und ausgezahlt. "Es ist richtig kompliziert, wir müssen allein sieben verschiedene Anträge stellen", berichtet Nelles: "Es wird einem nicht unbedingt einfach gemacht, es ist schwierig und aufwändig."

Und so haben viele Weingüter bis heute noch nicht einmal Anträge gestellt – das Tagesgeschäft ging einfach vor. "Man ist gestartet mit Katastrophe pur, dann lag unser Fokus sehr schnell auf der aktuellen Lese – das gab einen Adrenalinstoß", berichtet Kriechel. Seit März, April "sind wir in einer Phase der Ernüchterung", berichtet er. Und doch: Aufgeben wolle kein einziger der alteingesessenen Winzerbetriebe, berichtet der Verbandschef: "Alle haben einen Plan, wie es weitergehen soll."

Gisela Kirschstein

Überall sprießen improvisierte Verkaufsstände aus dem Boden, kleine Vinotheken im Hof, wieder hergerichtete Teilbereiche. Und immerhin: Nach monatelangem Tauziehen mit den Behörden fließen endlich die Spenden aus der Flutwein-Initiative. 47.500 mit Schlamm überzogene aus den Kellern geborgene Flaschen, wurden zugunsten der Ahrwinzer verkauft. Die Auszahlung der rund 4,5 Millionen Euro verhinderten Spendenrecht und unbewegliche Ministerien.

Bereitschaft für neue Wege

Jetzt aber gebe es eine Lösung, berichtet Kriechel: Die Flutweine werden nun als Kauf pro Flasche gewertet, und das Land Rheinland-Pfalz verzichte auf die Umsatzsteuer. Etwa die Hälfte – rund zwei Millionen Euro – seien mittlerweile ausgezahlt, weitere zwei Millionen Euro befänden sich auf dem Weg. Auch die Spenden der “SolidAHRitäts”-Kampagne von Dirk Würtz vom Weingut St. Antony in Rheinhessen sowie des VDP fließen nach ebenso langer Hängepartie jetzt als “Sponsoring” an die geschädigten Betriebe.

Die Flutwein-Hilfsaktion soll nicht die letzte Idee für eine moderne Ahr-Weinregion gewesen sein: Zum Jahrestag versteigerte die Flutwein-Initiative eine der letzten Originalflaschen für 30.000 Euro. Der Spätburgunder 2012, "Ahrweiler Rosenthal", wurde aber dabei gleichzeitig als digitales NFT-Abbild versteigert – ein Novum in der Weinwelt. "Wir haben viele Ideen, das Ahrtal neu zu positionieren, es gibt eine große Bereitschaft, neue Wege zu gehen", sagt Kriechel.

Viele Weingüter planen nun umweltfreundlichere, moderne, Hochwasser angepasstere Neubauten, so auch in Mayschoß: "Wir haben durch die staatliche Hilfe auch die Chance, neu zu beginnen und wieder aufzubauen", sagt Stephan: "Wir können für die nächsten 50 Jahre etwas schaffen, was der kommenden Winzergeneration dient." Ende 2022 wollen sie in Mayschoß den Abriss beginnen und Anfang 2023 den Wiederaufbau - natürlich Hochwasser konform. "Wir versuchen, das alte Herz mitzunehmen und in das Gebäude einfließen zu lassen", verspricht Stephan: "Wir müssen jetzt Gas geben und nach vorne schauen."

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