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Früher Massenweinlieferant, heute dynamische Weinbauregion mit der größten Bioweinfläche des Landes: Kein Anbaugebiet Italiens hat sich in den vergangenen 30 Jahren so stark verändert wie Sizilien. Raffaella Usai berichtet von einem erstaunlichen Wandel.

Die Landschaft im Südosten der Insel ist von Reben, Oliven- und Mandelbäumen geprägt.

Raffaella Usai

Während ich diese Zeilen tippe, rufe ich mir die Düfte und Farben meiner Sizilienreise Anfang Mai in Erinnerung: Zitrusfrüchte, wilder Fenchel, Feigenbäume, würzige Macchia mit Kräutern aller Arten. Ein Spaziergang durch die sizilianische Weinlandschaft ist immer ein besonders intensives sensorisches Erlebnis.

Seit ich die Insel vor vielen Jahren zum ersten Mal bereist habe, bin ich verliebt. In ihre fantastischen kulinarischen Traditionen, die so vielfältig sind, dass man ihrer nie überdrüssig wird. Ihre eigenständigen Weine können so unterschiedlich sein, dass man es manchmal kaum glaubt, dass sie alle von einer einzigen Insel stammen. Einer großen Insel, wohlgemerkt. Die vom kontinental-alpinen Klima am Ätna im Osten bis zum mediterran-subtropischen Klima im Westen alles zu bieten hat.

 

Das von der Assovini Sicilia organisierte Event „Sicilia en primeur“ lud in diesem Jahr bereits zum 20. Mal zur Verkostung ein.

Raffaella Usai

Alljährlicher Treffpunkt der Weinszene: Sicilia en primeur

Während der mehrtägigen Veranstaltung „Sicilia en primeur“ fühlt sich Sizilien an wie der Nabel der Weinwelt. Über 100 internationale Journalisten sind angereist, aus Japan, den USA, Kanada und aus allen Ländern Europas. Pikfein gekleidete Sommeliers, selbstverständlich im schwarzen Anzug, stehen mit stoischer Miene bereit, um den Verkostern über 300 angestellte Weine auszuschenken. Sie wollen den neuen Jahrgang probieren, schwenken eifrig ihre Gläser, hämmern Notizen in ihre Notebooks. Es ist eine gute Gelegenheit, sich einen Überblick über die Weine der Insel zu machen: Grillo, Catarratto, Inzolia, Zibibbo, Carricante, aber auch Rotweine aus Nerello Mascalese, Nero d’Avola, Frappato, Syrah, Perricone und anderen Sorten stehen zur Auswahl.

Nach der Blindverkostung bin ich vor allem von den autochthonen Weißweinen begeistert, nicht nur von den Carricante vom gehypten Ätna, sondern von den Weinen aus Catarratto, einer Rebsorte, die in der Vergangenheit kaum reinsortig ausgebaut wurde. Auch die Grillo-Weine mit ihrer ausgeprägt aromatisch-fruchtigen Komponente machen Spaß im Glas, obwohl sie etwas weniger ernsthaft als die beiden anderen sind. Wer also Sizilien vor allem als Rotwein-Region auf dem Schirm hat, sollte sich die Weißweine genauer anschauen!

 

Die sizilianischen Weißweine haben mich mehr begeistert als die Rotweine.

Raffaella Usai

„Less is more”

2023 war ein besonders schwieriges Jahr für die sizilianischen Winzer. Allein von den DOC- und IGT-Weinen wurden rund 35 Prozent weniger als 2022 erzeugt, und rund 42 Prozent weniger als der Durchschnitt der vergangenen 13 Jahre. Das Motto des Jahrgangs lautet entsprechend „less is more”. Das ungewöhnlich regnerische Frühjahr brachte für Sizilien ungewohnte und extreme Peronospora-Probleme mit sich, die manche Weingüter viel zu spät – oder auch gar nicht – in den Griff bekamen. Es folgten sehr heiße Sommer- und Herbstmonate mit wenigen Niederschlägen.

Die 2023er Weißweine sind dadurch sehr ausdrucksstark und zugänglich, mit reifer Säure, ausgeprägter Aromatik und überdurchschnittlicher Konzentration – eine Folge der intensiven Sonneneinstrahlung im September und Oktober sowie geringerer Erträge als üblich. 2023 war trotzdem kein besonders typischer Jahrgang für die Insel, die wie alle anderen Regionen Südeuropas mit Dürre-Problemen zu kämpfen hat.

„Die Trockenheit auf Sizilien wird seit 2015 immer schlimmer, die Niederschläge gehen zurück, das hat sich auch im Winter 2024 gezeigt. Auch die höheren Herbst- und Wintertemperaturen machen zunehmend Probleme“, sagt Mattia Filippi, Agronom und Mitgründer der Firma Uva Sapiens, über die veränderten klimatischen Bedingungen auf der Insel. Er berichtet, die autochthonen Rebsorten passten sich besser als internationale an das neue Klima an. „Catarratto hat die klimatischen Widrigkeiten 2023 am besten weggesteckt“, erklärt Filippi.

 

Alberello heißt die traditionelle Rebenerziehung Siziliens, die auch in vielen neu angelegten Weinbergen zu sehen ist.

Raffaella Usai

Ein einmaliger Wandel

Wenn man heute von Sizilien und seinen Weinen spricht, sollte man sich immer die außergewöhnliche Weinbaugeschichte dieser Insel vor Augen halten. Ende des 19. Jahrhunderts – bevor die Reblaus auch Sizilien erwischte – waren hier rund 300.000 Hektar mit Reben bestockt. Damals belieferten sizilianische Kellereien halb Europa mit Verschnitt-Weinen. Nicht nur nach Norditalien, auch nach Frankreich gingen die Zisternen mit noch gärendem Most. Von dieser Epoche zeugen noch immer die riesigen Gärkeller, die „Palmenti“ genannten historischen Kellereigebäude, die überall auf der Insel zu finden sind. Viele von ihnen sind inzwischen zu Hotels und Restaurants umgebaut worden, doch sie geben einem eine ungefähre Vorstellung der enormen Mengen, die hier einst verarbeitet wurden.

Noch in den 1980er-Jahren erzeugte Sizilien auf 185.000 Hektar Wein – vor allem aus den vier Rebsorten Catarratto (Lucido), Nero d’Avola, Trebbiano Toscano und Nerello Mascalese. Andere weiße autochthone Rebsorten wie Grillo, Zibibbo oder Carricante spielten damals nur eine marginale Rolle, internationale Rebsorten wie Chardonnay oder Syrah gab es kaum.

Bemerkenswert ist, dass zu jener Zeit nur 2,5 Prozent der gesamten sizilianischen Weinproduktion auf der Insel abgefüllt wurde. Der Großteil wurde von Kellereigenossenschaften vinifiziert und gelangte als anonyme Massenware zu Abfüllern: ohne Identität, Hauptsache günstig.

 

Ein Trio mit sechs Fäusten

Es waren drei visionäre Weinmacher, die das Schicksal des sizilianischen Weinbaus verändern sollten: Diego Planeta (Cantine Settesoli und Planeta), Giacomo Rallo (Donnafugata) und Lucio Tasca (Tasca d’Almerita). Vereint in ihrem Ziel, sizilianischen Weinen zu internationalem Ansehen zu verhelfen, gründeten sie 1998 die Vereinigung Assovini Sicilia. Klasse statt Masse, lautete nun die Devise. Und sie hatten Erfolg.

Innerhalb von 20 Jahren rodete Sizilien 28 Prozent seiner Rebfläche – auch dank der enormen Rodungsprämien der EU. Anfang der 2000er-Jahre wurden nur noch 133.000 Hektar bewirtschaftet – es zeichnete sich ein Trend ab. Auch das Rebsorten-Portfolio hatte sich stark verändert. Vor allem die heute am Ätna vorherrschende Sorte Nerello Mascalese ging um 70 Prozent zurück, aber auch Nero d’Avola und die weiße Rebsorte Catarratto wurden durch internationale Sorten wie Chardonnay, Merlot, Syrah und Cabernet Sauvignon ersetzt.

Immer mehr Weingüter setzten erstmals auf Qualität und füllten ihre Weine auf der Insel ab. Es war die Zeit der „flying winemakers“. Sizilien wurde im Ausland bald darauf als dynamische Weinbauregion wahrgenommen, die ersten Flaschen berühmter Produzenten landeten auf den Karten von Sterne-Restaurants. Investoren von außerhalb kamen auf die Insel. „Die Überzeugung, dass Wein ein Kulturprodukt mit einem außergewöhnlichen und einzigartigen Potenzial und nicht nur ein einfaches Produkt ist, hat den Weinbau auf Sizilien revolutioniert“, sagt Mariangela Cambria, Präsidentin von Assovini Sicilia, über diese Zeit.

 

Die fast ausgestorbene Rebsorte Orisi im Versuchs-Weinberg von Santa Tresa in Vittoria.

Raffaella Usai

Mehr Finesse und Identität

Und heute? In den vergangenen 20 Jahren hat Sizilien weitere Weinberge gerodet und die durchschnittliche Qualität der Weine enorm gesteigert. Von den ehemals 300.000 Hektar werden derzeit nur noch 95.760 Hektar bewirtschaftet. Dabei liegt der Fokus auf einer Rückbesinnung auf autochthone Rebsorten sowie einer frischen und eleganten Stilistik: Vor allem Grillo, Nerello Mascalese, Nero d’Avola und Frappato sind die Zugpferde, während Syrah, Chardonnay und andere internationale Sorten merklich weniger werden. Das Image ganz Siziliens profitiert von der Tatsache, dass die charakterstarken Ätna-Weine immer mehr in die Fine-Wine-Liga abheben.

Die Wiederentdeckung vergessener einheimischer Sorten ist ein weiterer Trend. Etwa die Hälfte der 95 autochthonen Rebsorten der Insel war in den vergangenen Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Mit dem Projekt BI.VI.SI fördert das Konsortium Sicilia DOC die Erforschung und Wiederanpflanzung der sogenannten Reliktsorten, da diese eine überraschende Hitzeresistenz bewiesen haben. Dies macht sie zu strategischen Sorten für die immer trockeneren Anbaubedingungen, unter denen der größte Teil der Insel leidet.

Zudem setzt Sizilien konsequent auf Nachhaltigkeit und zeigt eindrucksvoll, dass die Branche an einem Strang zieht. Bereits 37.650 Hektar Weinberge sind biozertifiziert. Das entspricht immerhin 28 Prozent der gesamten Biofläche Italiens – und acht Prozent der Welt. Die sizilianischen Weingüter stellen sich den derzeitigen Problemen mit Pragmatismus, Innovation und Zeitgeist. Und das nicht nur im Weinberg.

Die 2020 gegründete Stiftung SOStain ist um Energieeffizienz, den Schutz empfindlicher natürlicher Ökosysteme und Kreislaufwirtschaft bemüht. Alberto Tasca, Präsident von SOStain Sicilia, hat während der Veranstaltung das neue Projekt namens „100 % Sicily“ vorgestellt. Gemeinsam mit dem führenden Glashersteller O-I wurde eine ultraleichte Flasche entwickelt, die zu 90 Prozent aus recyceltem Glas der Insel besteht – und zudem auf Sizilien produziert wird. „Dadurch können wir die indirekten CO2-Emissionen senken, die durch den Transport von Glas entstehen“, sagt Alberto Tasca.

Auch was den Generationswechsel in den Familienunternehmen betrifft, zeigt sich ein vielversprechendes Bild: Rund 78 Prozent der Weingüter haben bereits die Generation unter 40 Jahren in die Unternehmensführung eingebunden. Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Zukunft, die auch für Sizilien nicht ganz einfach werden wird.

 

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