wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Bordeaux 2022: Ein Jahrhundert-Jahrgang, jubelten Experten und Kritiker. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Die steigenden Preise lassen das System gewaltig knirschen, berichtet Robbie Stevens, Senior Broker der Londoner Weinhandels-Plattform Liv-Ex, im Interview mit Matthias Stelzig.

Robbie Stevens

Robbie Stevens ist seit 2014 Senior Broker der internationalen Weinhandels-Plattform Liv-Ex (London International Vintners Exchange) und vermittelt Spitzenweine an Händler, Anleger und Investoren aus 42 Staaten. Liv-Ex wurde im Jahr 2000 von zwei weinaffinen Börsenhändlern gegründet. Mit dem Aufkommen des Internets entwickelte sich Liv-Ex zur weltweit größten Handelsplattform sowie zum wichtigsten Barometer zur Wertentwicklung hoch gehandelter Weine des Fine Wine-Markts. Allen voran: Bordeaux.

 

Beginnen wir mit dem Bordeaux-Jahrgang 2022, der vor kurzem mit der En Primeur-Kampagne verkauft worden ist. Der Vegetationsverlauf war rekordverdächtig mit den höchsten Temperaturen und dem geringsten Niederschlag. Am Ende haben die Reben das aber gut verkraftet. Dazu kamen sehr hohe Bewertungen der Kritiker...

Robbie Stevens: ...nicht jeder hatte einen so guten Jahrgang erwartet. Da waren höhere Preise keine Überraschung.

 

Sieben, acht Prozent Aufschlag wurden allgemein erwartet.

Robbie Stevens: Im Durchschnitt wurden es dann in diesem Jahr 20,8 Prozent. Was dazu führt, dass eine 12er-Kiste statt 2.500 Euro über 3.000 Euro kostet.

 

Schon 2021 sind Fine Wine-Käufer nachdenklich geworden. Den Jahrgang bewerteten viele Kritiker im Durchschnitt niedriger als 2020.

Robbie Stevens: Trotzdem sind die Preise gestiegen, und die Kampagne 2021 wurde eine der erfolglosesten der vergangenen Jahre. 2022 zu fairen Preisen hätte diesen Markt beleben und neue, jüngere Käufer anziehen können. Stattdessen ließen viele Händler ihre Kaufoptionen liegen und fragten sich, warum sie zwei Monate ihrer Zeit mit einer Kampagne verschwendet haben, deren Zweck und Nachhaltigkeit für sie fraglich geworden ist.

 

 

Trotz der hohen Punktwertungen der Kritiker?

Robbie Stevens: Der Einfluss der Kritiker ist nicht allein entscheidend. Der Jahrgang passt nicht ins Preisgefüge. Schon in den vergangenen Jahren sind die Preise weiter gestiegen, während hohe Bewertungen – und das Interesse der Käufer – geringer wurden. Gut bewertete Weine aus Jahren wie 2009, 2010, 2016 und 2019, die man schon trinken kann, sind günstiger zu bekommen als 2022er-Weine. Das ist unangemessen. Doch der Markt ist anfällig. Champagner haben neun, die Weine der Bourgogne acht Prozent eingebüßt.

 

Ursprünglich hatte das En Primeur-System großen Nutzen. Die Négociants kaufen den Winzern gegen einen Preisabschlag die Ernte ab, zahlen aber vor der Füllung. So blieben die Winzer finanziell liquide, und die Makler verkauften die Wein-Optionen in dieser Zeit weiter.

Robbie Stevens: Von vielen Négoçiants weiß ich, dass sie ihren Abnehmern inzwischen Preisnachlässe anbieten, um den Umsatz zu steigern. Damit bleibt ein Teil ihres Gewinns auf der Strecke. Bei diesen Entscheidungen ist aber oft Einkaufspolitik im Spiel: Die Zwischenhändler bekommen feste Mengen zugeteilt. Um sie sich zu erhalten, müssen sie in jedem Jahrgang zumindest eine bestimmte Zahl von Flaschen kaufen. Sonst verlieren sie ihre Rechte. Bei den heutigen Preisen brauchen viele Château-Besitzer das alles längst nicht mehr. Sammler, die vor Ort kaufen wollen, sind frustriert. Fine Wine zum Vorzugspreis finden sie im Bordelais nicht mehr. „Wozu das Ganze?“ wurde während der Kampagne immer öfter gefragt.

 

Sind die Château-Eigner zu gierig geworden?

Robbie Stevens: Sie haben nicht verstanden, dass sich die Welt verändert hat. Bordeaux Grands Crus sind für immer mehr Fine Wine-Käufer nicht mehr das Maß der Dinge. Weil die Bordeaux-Weine schon in den vergangenen Jahren immer teurer geworden sind, haben sie sich schlechter verkauft. 2016, 2019 und 2020 hatten bessere Bewertungen. Manche Châteaux halten die Preise aber auch ohne entsprechende Nachfrage hoch, weil sie denken, dass sie damit auf lange Sicht ihren Markenwert steigern können. Wenn sie über einen Cashflow verfügen, um das durchzuziehen, könnte es funktionieren. Muss aber nicht.

Ein Château kann seine Ernte an einem einzigen Vormittag verkaufen, wenn der Preis stimmt.

 

Wäre es nicht klüger, realistische Marktpreise zu fordern?

Robbie Stevens: Ein Château kann seine Ernte an einem einzigen Vormittag verkaufen, wenn der Preis stimmt. Wenn er zu hoch liegt, muss es vielleicht jahrelang warten – oder für immer.

 

Château Angélus verlangte 38 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Château Troplong Mondot schlug 44 Prozent auf. Ältere Jahrgänge beider Weingüter werden im Großhandel sieben sowie 14 Prozent günstiger gehandelt.

Robbie Stevens: Château Figeac hat mit 55 Prozent Aufschlag den Vogel abgeschossen. Das könnte mit der 20 Prozent kleineren Ernte und der Einstufung als Premier Grand Cru Classé A im vergangenen Jahr zusammenhängen. Es ist aber immer noch eine Riesen-Hausnummer. Viele Château-Eigner scheinen zu denken, an ihnen führt kein Weg vorbei. Andererseits: Der Liv-Ex 100 ist in den vergangenen zwanzig Jahren auf 457 Punkte gestiegen. Satte 350 Prozent Gewinn.

 

Die größten Preissprünge fanden am Schluss der Kampagne statt. Weingüter hielten sich vorher zurück, um zu sehen, wie weit die Preise der Wettbewerber steigen.

Robbie Stevens: Liv-Ex misst das Verhältnis von Preis und Qualität nach der Fair Value-Methode. Die setzt die Kritiker-Bewertungen plus die Preise für ältere Jahrgänge in Relation zu den aktuell aufgerufenen Preisen. Demnach liegt 2022 um 36 Prozent über dem fairen Wert.

 

Was bedeutet das für die Preisentwicklung?

Robbie Stevens: Der Liv-Ex Index 100 fiel um 3,3 Prozent, der Index 1000 um 4,8 Prozent. Damit sind die steigenden Preise paradox. Es ist keine Überraschung, dass jetzt eine Pause entsteht. Die hätten die Châteaux besser mit Preisen genutzt, die mehr Käufer in dieses rückläufige System locken. Weil Weine aus den Jahrgängen 2018 bis 2020 aber im Markt verfügbar und billiger sind, haben sie weniger verkauft. Das traf besonders Châteaux aus der zweiten Reihe, die kleinere Gewinnspannen erzielen als die großen Häuser. Für die unteren Ränge ist die Lage nicht gerade rosig.

 

Wäre das ein Tipp für Einsteiger und preisbewusste Käufer?

Robbie Stevens: Möglich.

 

Weine werden heute durch den Klimawandel - und die Möglichkeiten der Kellertechnik - deutlich früher reif. Das bedeutet meistens, dass sie nicht so lange haltbar wie früher sind. Die Zeitspanne, in der Sammler entspannt auf Wertzuwachs hoffen können, wird also kürzer.

Robbie Stevens: Darüber will ich nicht spekulieren.

Jahrgang 2022 liegt um 36 Prozent über dem fairen Wert

 

Wie sieht es mit der Entwicklung von Barolo und Brunello aus?

Robbie Stevens: Der Italy 100 Index ist in den vergangenen fünf Jahren um 57 Prozent gestiegen. Sassicaia und Ornellaia sind gefragt und erzeugen Nachfrage. Im Barolo bekam der Jahrgang 2016 großen Beifall. Die Mengen stimmen, und so entsteht schnell ein Schneeballeffekt: Die Käufer beobachten das und interessieren sich auch für andere Jahrgänge.

 

Welche Regionen werden künftig eine wichtigere Rolle spielen?

Robbie Stevens: Bordeaux dominierte den Sekundärmarkt früher zu 95 Prozent. Heute sind es noch 35 Prozent. Dabei hat Bordeaux nicht an Menge verloren - es gibt einfach ein großes Angebot aus anderen Anbaugebieten. Die Bourgogne und die Champagne mischen schon länger mit. Italien kommt heute auf 15 Prozent. In den vergangenen 15 Jahren haben wir viele kalifornische Weine gesehen. Südafrika, Chile und Argentinien kommen, Georgien noch nicht so bald. In der Regel etablieren sich solche Herkünfte zuerst auf dem Sekundärmarkt.

 

Wie weit werden die Fine Wine-Preise noch steigen?

Robbie Stevens: Da mache ich keine Vorhersagen. Vor fünf bis zehn Jahren wurde Domaine de la Romanée-Conti für 5.000 oder 10.000 Pfund gehandelt. Heute sind es 20.000 Pfund. Wer sagt, dass es nicht 30.000 werden?

 

 Wie wäre es mit einer Investition in deutschen Wein?

Robbie Stevens: Namen wie Egon Müller, Wittmann und J.J. Prüm kennt man. Der Marktanteil ist aber minimal, da kann viel passieren. 2018 hielt Deutschland 0,1 Prozent des Marktes, 2020 war es fast ein Prozent, 2022 nur noch 0,5 Prozent. Man kann also sagen, der Marktanteil hat sich seit 2018 verfünffacht. Man kann aber auch sagen, er hat sich im vergangenen Jahr halbiert. Alles eine Frage der Sichtweise.

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER