Das kleine, noch unentdeckte Montenegro an der Adriaküste bietet guten Wein zwischen Meer, steilen Bergen und viel Wald. Anke Sademann war dort unterwegs – und hat überraschende Entdeckungen gemacht.
Wie eine dunkle Bordüre konturieren die Gebirgsketten den Horizont. Sie geben dem Balkanstaat seinen Namen: „Schwarzer Berg“, auf Italienisch Monte Negro, auf Serbokroatisch Crna Gora. Als Teil Ex-Jugoslawiens bildete Montenegro 2003 eine Union mit Serbien und ist seit 2006 unabhängig. Schon im zweiten Jahrhundert wurde in der Region von den Römern Wein angebaut. Heute umfasst die Rebfläche des Landes rund 9.000 Hektar mit einem jährlichen Produktionsvolumen von etwa 160.000 Hektolitern. Unter den heimischen Weißweinsorten ist der Krstač der Star, neben Smederevka (Dimyat), Župljanka sowie Ugni Blanc, Chardonnay und Malvasia. Zusätzlich zu den autochthonen roten Sorten Vranac, Kratošija (Tribidrag alias Primitivo oder Zinfandel), Kadarun und Zizak werden aber auch internationale wie Merlot, Marselan, Cabernet Sauvignon, Grenache Noir und Carignan Noir angebaut.
Das zu 70 Prozent bergige Terroir und der Mix aus mediterranem, kontinentalem und alpinem Klima prägt das Spektrum und das aromatische Potenzial der montenegrinischen Weine, die reinsortig aus autochthonen Sorten produziert werden. Der Weinanbau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten professionalisiert. Die Qualität und Eigenständigkeit der regionalen Weine – etwa aus der „Nationalrebsorte“ Vranac – hat sich bis weit über die Landesgrenzen herumgesprochen. Die Folge: Öno-Tourismus wird im Land immer attraktiver.
90 Prozent der montenegrinischen Weine produziert die 1963 gegründete staatliche Weinkellerei 13.jul-Plantaže. Die Plantage des 13. Juli ist nach dem Datum der ersten Unabhängigkeit des Staates im Jahr 1878 benannt. Plantaže verfügt über rund 2.300 Hektar Weinberge, die jährlich etwa 22.000 Tonnen Trauben hervorbringen. Die Weine, die daraus entstehen, werden vor allem für ihr Preis-Qualitätsverhältnis geschätzt.
Daneben laden viele kleine, familiengeführte Boutique-Weingüter zu Verkostungen und Rundgängen ein. Ihre Weine entstehen nur in kleinen Mengen und lassen sich ausschließlich vor Ort probieren oder werden in der lokalen Gastronomie serviert. Vom Landeszentrum bis zur Küste leiten erdbraune Schilder mit stilisierten Trauben zu den verstreut liegenden Weingütern.
Montenegros Topografie bietet viel Abwechslung: Bis zu 2.534 Meter hohen Berge, tiefe Schluchten, ausgedehnte Wälder, der größte See des Balkans und die 293 Kilometer lange Adriaküste. 240 Tage Sonnenschein im Jahr – das mögen Wein, Land, Leute und Besucher. Die beste Zeit für Verkostungen vor Ort ist von Mai bis Oktober. Im heißen Hochsommer empfiehlt es sich, die überfüllte Küste zu meiden und lieber durch das bergige Hinterland mit seinen fünf Nationalparks zu wandern.
In der Zentralregion mit ihren Weingebieten Crmnica, Nahije, Komani, Bjelopavlići rund um die Hauptstadt Podgorica herrscht kontinentales Klima mit kalten Wintern und heißen Sommern. Die Böden sind meist kalkhaltig. Der Einfluss des mediterranen Küstenklimas erstreckt sich aber über das weite Tal des Flusses Bojana bis nach Podgorica und in die Weinregion Skutarisee.
In Podgorica findet man in Hotel-Restaurants gut sortierte Weinkarten mit Familiengut- und Plantaže-Weinen. Das Boutique-Hotel Boscovich gilt als das Etablissement mit der besten Weinauswahl. Reine Weinbars oder Weinläden sind noch rar gesät. Doch es entwickelt sich eine urbane Weingastronomie für Touristen und junge Leute.
Die wichtigsten flüssigen Nationalhelden sind der weiße Krstač und der rote Vranac, deren Hauptproduzent die Kellerei Plantaže ist. Als hätte sie sich den Bergen angepasst, besitzt die Vranac-Traube eine dicke, hitzebeständige, schwarze Schale, die dem dichten, alkoholstarken Wein seine rubinrote Farbe verleiht. Im Geschmack zeigen sich Aromen von dunklen Früchten, Gewürzen mit erdigen Untertönen, aber auch Minze. Den roten Signature-Wein „Pro Corde“ („Für das Herz“) von Plantaže trinken die Bewohner des Landes als Immunbooster: „Bei der Gärung wird dem Vranac noch eine extra Portion Traubenkerne mit vielen Antioxidantien zugegeben“, erklärt Sommelier und Guide Bojan Bracanović.
„Der Krstač wird bei uns nachts oder morgens mit der Hand gelesen“, berichtet Bracanović. „Früher war es aufgrund des heißen Klimas nicht einfach, Premium-Weißweine zu erzeugen. Heute können wir durch kühle Verarbeitung der Trauben dem Wein die nötige Frische und Finesse geben.“ So hat der zartgelbe Weiße einen erfrischenden, blumigen Charakter mit feinen Zitrusnoten und einem Hauch grünen Apfel. Aus Krstač entsteht zusammen mit Chardonnay auch ein Schaumwein, und neuerdings wird sogar ein Vranac-Süßwein in Trockenbeerenauslese-Qualität produziert.
Der Weinkosmos von Plantaže ist gigantisch. Im größten Weinberg Europas sind auch die Terroirs überdimensional. Die drei Weinkeller in Lješkopolje, Ćemovsko Polje und Šipčanik können bis zu 33 Millionen Liter Wein von 11,5 Millionen Reben fassen. Im Šipčanik-Keller, der sich in einem ehemaligen militärischen Flugzeugbunker befindet, darf der Weintourist sich bei den zweistündigen Degustations-Führungen zwischen 50 Weinen entscheiden. Dazu werden montenegrinischer Bergkäse und Schinken gereicht.
Vom Herzen Montenegros in Richtung Süden werden die Terroirs immer fruchtbarer und mediterraner. Der Skadar- oder Skutarisee ist der größte See der Balkanhalbinsel und liegt im Grenzgebiet zwischen Montenegro und Albanien. Am besten schmecken die Weine auf den organisierten Bootsfahrten zu frisch gefangenem oder geräuchertem Fisch wie Karpfen, Aal oder Uklei. Die terrassierten Südhänge seines Ufers sind für Weinbau prädestiniert.
Die 2022 renovierte Festung Besac in Virpazar – einem der ältesten militärischen Baudenkmäler des Landes – bietet eine Zeitreise durch das 15. Jahrhundert. Aber auch durch die Chronologie der Weine: Im kleinen, feinen Weinmuseum in einem der Steingemächer sind alle Weine des Landes versammelt. Im Fine-Dining-Restaurant des Resorts empfiehlt Sommelière Milja Zenović den passenden Wein zu den Tellergemälden von Küchenchef Dejan Mugosa. Einer ihrer Favoriten ist der „Einzigartige“ vom biodynamischen Weingut Mola in Rogami: Der ungefilterte Chardonnay aus dem Jahr 2016 reifte in einer Tiefe von 35 Metern unter Wasser.
Die klimatisch verwöhnteste Weinregion Montenegros grenzt im äußersten Westen an Kroatien. In der Küstenregion zwischen Meer und Gebirge, die bis zur märchenhaften Bucht von Kotor reicht, ist die venezianisch-italienische Geschichte durch die barocke Architektur präsent. Das mediterrane Klima mit milden Wintern und warmen Sommern lässt die Trauben sehr gut reifen. Das von sandigen oder lehmigen Böden geprägte Land bringt gleichermaßen vollmundige wie frisch-fruchtige und leichte Weine hervor.
Das wohl ungewöhnlichste Projekt der Bucht sind die Unterwasser-Weine von Krake. 20 Meter unter Wasser reifen die mit Wachs und speziellen Korken dicht verschlossenen Vranacs und Muscats. Zu Muscheln und Fisch werden sie auf einer schwimmenden Weinbar serviert oder sind à la carte in einigen Restaurants der Region zu finden.
Wein wird in Montenegro verehrt wie eine Religion. Der Märtyrer Tryphon gilt als Schutzpatron der Gärtner und Winzer. Er fand seine letzte Ruhestätte in Kotor, in der 809 datierten, ältesten römisch-katholischen Kathedrale der südöstlichen Adria. Viele Kirchen und Klöster produzieren hier Wein aus eigenen Weinbergen. Nirgendwo trinkt sich der Wein ästhetischer als auf dem Weingut Savina unterhalb des gleichnamigen Klosterweinbergs in der Nähe von Herceg Nov, der aus dem 18. Jahrhundert stammt. Auf Basis alter Karten des Privatanwesens hat die Familie die alte Weintradition wiederbelebt. Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot und Grenache reifen in alten französischen Eichenfässern der Familienkellerei. Der weite Blick übers Meer bei den Verkostungen wiegt Weinfreunde im siebten Himmel.
Podgorica
Das außergewöhnliche Weingut der Mola Boutique-Winery befindet sich im wild-schönen Rogami-Gebiet. Auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern keltert Winzer Mirko Mola biodynamische Weine und 1.000 Flaschen des ungefilterten Chardonnay „Unique“, der 35 Meter tief im See reift. Der Weinkeller für die Produktion und Degustation liegt fünf Meter unter dem Weinberg. Unbedingt eine Führung mit Verkostung buchen!
Gradani bb, Cetinje
Montenegros größtes privates Weingut liegt geschützt an den Berghängen des Skadar-Seereservats. Schon im dritten Jahrhundert wurde hier Wein gemacht, wie die Amphoren und Krüge archäologischer Ausgrabungen beweisen. In Edelstahl, französischen Barriques, italienischen Botti und Amphoren reifen ausgewogene Vranac und Zizak. Weinführung mit Degustation.
Manastir Savina, Manastirska 21, Herceg Novi
Die Savina-Klosterweine werden immer am 14. Februar geweiht– dem Tag des Märtyrers Trifun. Wunderschöne Etiketten mit alter kyrillischer Schrift zieren Merlot, Cabernet, Chardonnay und Rosé. Weinproben im Sommer von 10:00 bis 13:00 Uhr und auf Anfrage. Klosterladen-Verkauf.
In den sechs Boutique-Hotels der Familie Milić steht Geschmack im Fokus: Stilvolles maritimes Interieur trifft auf die modern signierte Seafood-Küche von Chef Eros Picco (Tipp: Das Risotto-Zweierlei!). Sommèlière Tamara Todorović bringt „winespirit with a twist” ins Glas und rare Tropfen von lokalen Weingütern à la carte!
Lipa Dobrska nº, Cetinje
Weinverkostung in einem 2,5 Kilometer langen System aus unterirdischen Gängen und surrealen Speläothemen-Galerien. Höhlentemperiert gibt es drei erlesene Weine mit klassischer Musikuntermalung ins Glas. Bei konstanten 8 bis 12 Grad Celsius: warm anziehen!
Baku br.140, Podgorica
Wine – Food – Design. Beliebter, gemütlich-stilvoller Weintempel und Treffpunkt hipper Wein-Amateure. Französische, italienische, aber vor allem montenegrinische Weinauswahl.
Njegoševa, Herceg-Novi
Grand Café wie aus einer Filmkulisse im Wiener Jugendstil in Herceg Novi. Von der Terrasse schweift der Blick über die Bucht von Kotor. Das ehemalige Theater der Stadt aus dem sechsten Jahrhundert ist für Einheimische und Besucher ein zentraler Treffpunkt. Auf der Weinkarte steht alles, was man für einen gelungenen Abend braucht.
Ulica 1, Kotor Innenstadt
Sehr gut bestückter Wein- und Delikatessenladen mitten in der Altstadt von Kotor. Hier kann man sich vor oder nach einem Besuch in der Kathedrale stärken und mit guten Montenegro-Weinen oder Feinkost eindecken. Ausschließlich lokale Manufaktur- und Weinprodukte kleiner Produzenten und Traditionserzeuger ohne Touristen-Nepp.