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Die deutsche Biowinzerin Eva Vollmer hat Weinen aus Piwi-Rebsorten mit der Vereinigung „Zukunftsweine“ internationale Beachtung verschafft. Im Interview erzählt sie über Spitzenwein, ernsthafte Cuvées und Blindflüge mit Aha-Effekt.

Guido Bittner

Wann ist Ihnen das Thema Piwi-Rebsorten erstmals begegnet, warum haben Sie sich damit beschäftigt?

Eva Vollmer: Es gibt bei mir zwei Aspekte: Da ist der absolut negative Einstieg in die Piwi-Welt und später die positive Erleuchtung. Ich habe eine Weinküfer-Lehre absolviert, als Spezialistin im Keller, und wurde in Sensorik ausgebildet. Wir haben Rebsorten geschnüffelt und zugeordnet, aber Piwis waren um 2001 kein Thema. Null. Später ist mir der Regent begegnet. Aber nicht als wertvolles, brauchbares und notwendiges Pflänzchen dieser Weinwelt. 2003 begann ich das Weinbaustudium. Wenn ich überlege, ob Piwis während einer Vorlesungen zum Thema wurden, muss ich sagen: nein. Der wichtige Teil des Studiums beginnt ja in den Wohngemeinschaften und Wohnzimmern der Studenten, aber in die Aftershows wurden nie Piwi-Weine mitgebracht. Wäre da jemand mit einer Flasche Regent gekommen, wäre er mit Riesling hinausgeprügelt worden. Der war einfach nicht sexy.

 

Und das positive Erlebnis?

Eva Vollmer: Das große Aha-Erlebnis kam für mich über den Schock, dass wir mit unserem Weinbau-Betrieb, der an die Genossenschaft lieferte, über die Jahre viel zu viel Pflanzenschutz ausgebracht hatten. 2007 haben wir das Weingut als Biobetrieb neu gegründet, vorher habe ich darüber nicht nachgedacht. Aber als wir bewusst einkauften, wir die Traktor-Stunden gezählt haben, haben wir bemerkt, wie viel Zeit und Material dafür draufgeht – und wie brutal uns das Wetter die Arbeit mit Pflanzenschutz vorschreibt. Es geht ja permanent nur darum, den richtigen Moment zu treffen, um diesen Organismen und Pilzen zuvorzukommen. Und da sind mir die neuen Piwi-Generationen mit ihrer Superpower aufgefallen.

 

Die haben Sie sofort überzeugt?

Eva Vollmer: Dass die Resistenzen besser geworden sind, stand für mich erst mal nur auf dem Papier. Winzerkollegen erzählten mir zudem, dass über die Jahre auch sensorisch Einiges passiert ist. Deswegen habe ich, „learning by drinking“, eine Menge Weine besorgt und gekostet. Und das war so schwer! Aber um 2014 habe ich mich gefragt: Welche Sorte könnte für uns in Frage kommen? Das war Souvignier Gris. Aus der Probe dieser Weine bin ich aber mit vielen Fragezeichen rausgegangen. Das lag daran, dass die Weine völlig unterschiedliche Stile und Ideen der Winzer abgebildet hatten. Beim Verkosten gab es Weine, die kein Mensch braucht. Bis hin zu: „Hey, das ist mal eine solide Basis.“ Die Weine waren nicht das Beste, was ich je getrunken hatte. Aber meine Inspiration hat mir gesagt, solche Weine könnte ich mit meiner Handschrift produzieren – und dass ich viel Spaß an dieser Sorte haben werde. Und so bin ich 2016 in einem halben Blindflug gestartet.

 

Sie bauen weiter traditionelle Sorten an: Riesling, Scheurebe, Burgundersorten. Ist das für Sie nicht ein Widerspruch?

Eva Vollmer: Nee, überhaupt nicht. Die Koexistenz ist der Nachhaltigkeit geschuldet. Die Rebe ist eine Langzeitkultur. Burgunder und Riesling sind die Platzhirsche, die ich bewundere und vergöttere. Aber in der Umwälzung eines Rebenlebens pflanze ich die alten Modelle nicht mehr nach – obwohl ich sie so liebe. Ich werde Souvignier Gris in meine heilige Riesling-Lage Gau-Bischofsheimer Herrnberg pflanzen, wenn der Weinberg so weit ist in zehn Jahren. Aber muss ein Alltagswein wirklich Riesling sein? Oder sollten wir Riesling reservieren für die Terroir-Linien?

 

Solche Veränderungen vollziehen sich in der Weinbranche nur extrem langsam.

Eva Vollmer: Als ich in den Weinbau eingestiegen bin, musste Rheinhessen in nur einer Dekade neu lernen: Wie machen wir hochwertigen Wein, der jahrelang hält? Wie bilde ich Terroir ab? Die Scheurebe verbreitete sich in den 1970er-Jahren, ich bin in den 80er-Jahren geboren. Wir reden also über ein Tempo, das nur eine Generation durchlebt. Und auch vom rasenden Tempo der klimatischen Veränderungen.

 

Ich glaube fest daran, ernsthafte Cuvées zu produzieren

 
Guido Bittner

Wie haben Sie Orientierung gefunden? Große Piwi-Weine als Vorbilder gibt es nicht.

Eva Vollmer: Ich bin ganz alleine losgelaufen. Ich habe die Weine so produziert, so wie es sich für mich richtig angefühlt hat. Ich habe einfach mein Burgunder-Wissen auf Souvignier Gris angewendet. Und habe daraus einen perfekten Wein gemacht. Ist es eine neue Welt? Jein. Die Sorte hat eine härtere Schale, andere Tanninstrukturen und ein paar neue Stellschrauben. Aber wir haben eine zu hundert Prozent gesunde Frucht. Und ich muss nicht wie 2023 beim Grauburgunder zusehen, wie er hops geht am Stock.

 

Ist es wirklich so einfach?

Eva Vollmer: Wir haben immer noch Trauben. Wir haben immer noch Hefen, die Alkohol produzieren. Wir erfinden den Weinbau also nicht neu. Und es gibt sensorische Analogien: Der Souvignier Gris kann einen Grauburgunder-Style ausprägen, aber er bringt dazu so einen Schmiss am Gaumen mit! Da kann sich mancher weichgeklopfte Grauburgunder eine Scheibe abschneiden. Es wäre daher klasse, wenn man mit einem Verschnitt von Souvignier Gris den Grauburgunder aufpimpen könnte. Ich glaube fest daran, ernsthafte Cuvées zu produzieren. Hier in Deutschland. Also, liebe Winzer, produziert aus Piwis nicht nur Sommerwein oder Secco, sondern ernsthafte Spitzen-Cuvées!

 

Viele Winzer sagen: Wir haben schon zu viele Rebsorten in Deutschland. Was antworten Sie?

Eva Vollmer: In unserem Weingut ist der Bacchus abgeschrieben. Obwohl sie Teil meiner Seele ist: Ich werde langfristig auch keine Scheurebe mehr haben. Das Pflanzen von Piwis bedeutet für mich nicht noch mehr Sorten, sondern Bereinigung. Die Züchtung zischt und kocht, die Cuvée-Welt eröffnet neue Chancen. Aber nur die allerbesten Reben-Modelle werden in die Profilierung kommen.

 

Welche sind das für Sie?

Eva Vollmer: (überlegt lange) Okay: Souvignier Gris, Calardis Blanc und Sauvignac. Und ich würde den roten Cabertin noch nennen.

 

Sonst keine?

Eva Vollmer: Ich habe ein paar heiße Favoriten, aber bei denen fehlt mir noch die Erfahrung.

 

Müssen Piwis zunächst als Konsumweine in den Supermarkt kommen?

Eva Vollmer: Den Fokus auf Konsumweine sollten wir auf jeden Fall haben. Aber bitte, liebe Winzer, spielt doch auch ganz oben mit! Die Reben sind oft sehr früh dazu bereit. Unser Souvignier Gris war schon nach drei Jahren geeignet für Spitzensekt und Holzausbau. Er ist einerseits unkompliziert, kann aber Gerichte bis hoch zum Tiptop-Niveau begleiten.

 

Kein Winzer pflanzt derzeit Piwis in Spitzenlagen.

Eva Vollmer: Deswegen gibt es ja die Technik der Rebstock-Umfirmierung. Das wird derzeit in Baden oft praktiziert. Ich stehe in Kontakt zum Piwi-Kollektiv, das Feierabend-Winzern erklärt: Wir wissen, ihr kriegt den Rebsortenwechsel finanziell nicht hin. Ihr habt Stöcke, die sind noch zu jung zum Ausreißen. Also macht eine Veredelung! In zwei Jahren hast du neue Reben mit alten Wurzeln! In jedem Jahr wird das nicht funktionieren, weil das Wetter passen muss. Aber es ist auch nicht in jedem Jahr optimal, ein Jungfeld anzulegen.

 

Bislang haben Sie 66 Weingüter als Mitglieder. Was ist nötig, damit „Zukunftsweine“ in der Weinszene relevant werden?

Eva Vollmer: Es gibt den Winzer, der muss pflanzen. Es gibt den Händler, der muss listen, und es gibt den Kunden, der muss trinken und verstehen. Deswegen sind wir ja so am Rotieren, weil wir in allen drei Kreisläufen arbeiten. Ich bin so froh, dass das Thema in der Branche explodiert, und daran fühle ich mich nicht ganz unbeteiligt. Ich fühle mich aber nicht als Erfinderin, sondern als diejenige, die einen über Jahre vorbereiteten Boden bearbeitet. Aber der Grip hat bislang gefehlt. Der kommt nur durch Weitererzählen, Weiterempfehlen, durch Kommunikation. Es reicht nicht, nur aus unserer Winzer-Blase heraus zu denken. Deswegen gehören eine Markenagentur, ein Vertriebsprofi, eine New-Work-Expertin und ein Betriebsführungs-Profi zum Team.

Befürchten Sie nicht, „Zukunftsweine“ könnten eine Nische werden, wie so viele in der Weinszene? Die ist schon zersplittert in Spitzenbetriebe, Kellereien, Genossenschaften, Familienweingüter, Bio- und Naturwein-Winzer...

Da kommen noch die Anbaugebiete dazu. Wir haben einen bunten, charmanten Flickenteppich. Das ist genau das, was deutschen Wein ausmacht. Überall, wo man hinkommt: ein neuer Aha-Effekt.

 

Ist das eine Chance oder ein Risiko?

Eva Vollmer: Ich sehe eine große Chance. Es ist keine Zersplitterung, ich nenne es Vielfalt. Ein Grundprinzip von „Zukunftsweine“ ist die wohlwollende Koexistenz. Es geht um Respekt und die Offenheit, Teile unseres Konzepts einzusetzen, um sich selbst zu verbessern. Aber auch, um Neues weiterzugeben. Wir müssen einander helfen, um die guten Wege zu finden. Und ebenso zulassen, dass da jemand ausbricht.

 

Eva Vollmer

Eva Vollmer, geboren 1982, startete 2007 ihr Bioweingut in Mainz-Ebersheim (Rheinhessen) auf dem Bauernhof der Eltern. Ihre Familie hatte Ackerbau betrieben und Wein für die Genossenschaft produziert. Nach der Ausbildung zur Weinküferin und dem Önologiestudium in Geisenheim promovierte Vollmer in Weinbau. 2021 gründete sie mit der rheinhessischen Winzerin Hanneke Schönhals die Initiative „Zukunftsweine“, um den Anbau von Piwi-Rebsorten und die Vermarktung der Weine zu fördern. Ihr gehören inzwischen 66 Weingüter aus Deutschland, Österreich und Luxemburg an.

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