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Der Rebzüchter Lilian Bérillon im Rhônetal beliefert Spitzenweingüter wie Château Latour, Cheval Blanc, Roederer und Selosse. Seine Reben vermehrt er mit der aufwändigen Sélection massale – und päppelt zudem uralte Sorten auf. Matthias Stelzig hat ihn besucht.

85 Hektar Reben werden auf der einsamen Rhône-Insel gezogen.

Matthias Stelzig

Lilian Bérillon beugt sich über einen riesigen Busch. „Jedes Jahr finden wir neue DNA von irgendwas“, sagt er mehr in das Dickicht hinein als zu mir, taucht mit einem Schössling in der Hand wieder auf und ruft: „Grenache!“ Nur die Blattform gibt Hinweise auf das Vorhandensein einer Rebe. Hier sieht es eher aus wie die Kulisse eines Tarzan-Films. Denn Bérillon lässt die Rebstöcke einfach ranken. Er baut sogar Metallkonstruktionen, die wie Klettergerüste auf dem Spielplatz aussehen. Daran klettern die Reben-Lianen hoch, so wie es in ihren Genen festgelegt ist. „Jeder Zweig ist ein Schössling, aus dem wir einen neuen Rebstock ziehen.“

Lilian Bérillon betreibt die Pépinière Viticole auf der Rhône-Insel Île de la Barthelasse bei Avignon und vermehrt Reben nach der Methode Sélection massale. Sie funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Zweige abschneiden und Wurzeln bilden lassen. So, wie man es auch mit Pflanzen auf der Fensterbank macht. Konventionelle Rebschulen vermehren oft nur einen Rebstock: den mit den höchsten Erträgen. So stehen in einem neu bepflanzten Weinberg oft genetisch identische Reben. Lilian züchtet dagegen Triebe von allen guten Rebstöcken im Weinberg. „Das erzeugt später mehr Komplexität in den Weinen“, erklärt er, „und die Biodiversität stärkt ihre Resistenz, weil Schädlinge und Krankheiten es schwerer haben". Die Reben mit den besten Trauben sind allerdings oft die mit den niedrigsten Erträgen. Deshalb hätten die Rebveredler sie auch lange aussortiert, wie Lilian Bérillon erzählt. Er datiert den großen Umbruch auf das Jahr 1971, „als die ersten dieser Klone auf den Markt kamen“.

Deswegen zieht er schon lange uralte Reben wieder auf. Oft rufen ihn alte Winzer oder Bauern an, die irgendwo in ihrem Garten noch ein paar vergessene Rebstöcke gefunden haben. Kein Mensch weiß mehr, woher sie stammen. Also fährt Bérillon hin und begutachtet den Fall vor Ort. Wenn der Rebstock noch gesund ist, nimmt er ein paar Schösslinge mit und lässt sie in der Rebschule anwachsen. Im 15 Hektar großen biodynamischen Mutterreben-Konservatorium, seinem „Kindergarten“, bleiben sie ein Jahr, um Wurzeln zu schlagen. Zunächst beobachtet er sie drei Jahre lang. „Danach sind alle Viren isoliert und die Nachzucht kann beginnen“, erklärt er.

 

Perfektionist auf der Insel

Lilian Bérillon ist ein Mann mittleren Alters, schlank und muskulös. Wenn er über seine Reben spricht und gestikuliert, sieht man, wie sich seine Muskeln unter dem T-Shirt bewegen. Mit seiner Ehefrau Katja startete Lilian vor 20 Jahren die Rebschule. Der Grund: „Damals gab es einfach zu viele schlechte Klone.“ Mit der herkömmlichen Vermehrung sei es häufiger zu Erkrankungen am Rebstock gekommen. „Diese genetische Verarmung wollte ich nicht mehr“, berichtet er. So kam er schließlich auf die Insel in der Rhône nahe Avignon. Hier gibt es keine Nachbarn, nur die Pépinière mit 85 Hektar unter Reben. „Stimmt“, sagt Lilian und lässt den Blick einen Moment über die Ebene mit den hellen Kalkböden schweifen, als wäre ihm das noch gar nicht aufgefallen.

Der richtige Winkel des Schnittes ist entscheidend.

Matthias Stelzig

Es passt zu ihm, der sich selbst “jusqu‘au-boutiste” nennt. Das ist jemand, der stets bis zum Äußersten geht und die Perfektion auf die Spitze treibt. Den Begriff hat er für sich entdeckt. In seiner Freizeit ist er nämlich Bergsteiger. Und auch da gibt er sich nicht mit Mittelmaß ab: Er stand schon auf dem Gipfel des Mont Blanc. Auf dem höchsten Berg der Alpen, der lange als unbezwingbar galt, vermuteten die Menschen Drachen und Geister. Sie versuchten sogar, den Teufel mit Exorzismus von dort zu vertreiben.

„Ich bin besessen vom Erfolg“, gibt Bérillon zu. Das glaubt man ihm, und es ist gut für die Rebvermehrung. Schon seine Eltern und Großeltern betrieben das Geschäft. „Mein Großvater hat mir das Pfropfen beigebracht“, also das Zusammenfügen eines Triebs und einer Wurzelunterlage. Er hat sich für einen ungewöhnlichen, schrägen Anschnitt entschieden. „Weil dabei eine sehr große Kontaktfläche zwischen Trieb und Unterlage entsteht”, erklärt sein Vorgehen, “das ist am besten für den Saftfluss.“ Es macht aber viel Arbeit. Jeden Sommer kommt die immer gleiche Mannschaft zu ihm auf die Insel und sitzt den ganzen Tag an gusseisernen Stanzen aus den 1950-er Jahren, um die Stämmchen im richtigen Winkel zu kappen. Jede Verbindung wird von Hand zusammengesteckt. Die Pfropfstelle wird danach in Wachs getaucht und wächst zusammen. „Trotzdem schafft jeder locker 2.000 am Tag.“ So werden es über zwei Millionen am Ende des Sommers. Wenn die Versiegelung abgenommen wird, wirft er noch einen sehr kritischen Blick auf die Operationsnarbe. Nur wenn alles bestens verheilt ist, verlässt der Steckling die Station. Das alles macht enorm viel Arbeit.

 

Bis zu zehn Euro pro Rebe

Für seine Pfropfreben kann Bérillon einen stattlichen Preis verlangen: Sechs, manchmal zehn Euro pro Stück. Dafür überwacht ein Techniker jedes Winzerprojekt von der Auswahl der Unterlagen bis zur Bodenvorbereitung. „Ehrensache“, sagt er und erzählt, er sei erst kurz zuvor aus der Bourgogne zurückgekommen. “Da hat der Winzer den Boden falsch bearbeitet und zu spät gepflanzt. Die Stecklinge hatten nicht genug Zeit, Wurzeln zu schlagen, und sind vertrocknet“, berichtet er. Ganz so einfach wie mit der Massenware ist es nämlich nicht. „Man muss wissen, dass nur rund 50 Prozent der Reben anwachsen. Mit Ausfällen muss jeder rechnen.“

Lilian Bérillon kontrolliert jeden einzelnen Steckling persönlich.

Matthias Stelzig

Das seien Fakten, von denen man Winzer erst überzeuge​n müsse. Auf den Hektar gerechnet geht es bei ihm um stattliche fünfstellige Summen. „Du musst selbst Winzer sein und die Leute kennen“, sagt er, „dann gewinnst du Vertrauen“. Die Kunden, die er bereits überzeugt hat, lesen sich wie das Who’s who des französischen Spitzenweins: Von Château Latour bis Cheval Blanc und von Roederer bis Anselme Selosse - alle haben schon bei ihm bestellt. „Manche sogar noch mehr und andere Sorten als geplant, um die Diversität zu erhöhen.“ Genau in diesem Zusammenhang verortet der Züchter seine Pépinière. „Wir haben den Verlust der genetischen Vielfalt, die Vergeudung französischer Weinberge, die intensive Produktion in der Rebschul-Industrie auf der einen Seite gesehen“, sagt er, „und die Emotionen, die man spüren kann, wenn man einen feinen Wein verkostet“. So viel er von seinen Kunden verlangen mag, am meisten fordert Lilian wahrscheinlich von sich selbst. Er verkauft nur eigenes Pflanzmaterial, dazu verfügt er über insgesamt 200 Hektar eigenes Land, sein Team arbeitet nach genauen Aufzeichnungen über jeden Schritt. Dafür gebe es einen eigenen Angestellten: „So haben wir die Qualitätskontrolle standardisiert.“

Kaufen kann man bei ihm nur auf Bestellung, vorzugsweise mit Sélection massale aus dem Weinberg des Winzers. Mit diesem Austausch hat er eine einmalige Sammlung wertvoller Klone geschaffen. Über 80 Rebsorten von Arbane bis Terret, von denen viele in Frankreich allzu tief unter dem Radar fliegen, hat er aufgezogen. Manchen hat er vielleicht sogar das Überleben gesichert. „Die Suche geht immer weiter, wir investieren in neue Regionen mit Cabernet Franc, Gamay oder Gewürztraminer.“

Von Chardonnay und Pinot Noir hat er inzwischen jeweils 200 verschiedene Klone aufgezogen. Grenache bringt es auf sagenhafte 600. „Seit wir angefangen haben, sind 5.000 Projekte zusammengekommen“, sagt er und lächelt. Hoffentlich werden es noch viele mehr.

Camille Cohen und Lilian Bérillon
Pépinière Viticole Bérillon
Villeneuve-les-Avignon
www.lilian-berillon.fr

 

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