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Der Einsatz von Kupfer im Weinberg beraubt womöglich den vom Aussterben bedrohten Steinschmätzer seiner Nahrungsgrundlage. Das legen erste Ergebnisse einer Studie in Rheinhessen nahe. Kristine Bäder sprach mit Winzern und Forschern.

Mit seinem von Lösslehm und Kalkstein geprägten Boden blieb die Südlage Gundersheimer Höllenbrand in Rheinhessen lange Zeit unter dem Radar der Weinwelt. Doch kurz nach der Flurbereinigung zwischen 2010 und 2018 hatten zwei VDP-Weingüter dort Parzellen gekauft, und so war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Lage in den Status “VDP.Erste Lage” erhoben wurde – offenbar mit Option auf mehr.

Der Gundersheimer Höllenbrand ist jedoch nicht nur ein 108 Hektar großer Weinberg, er gehört auch zu einem 600 Hektar großen Vogelschutzgebiet nach den EU-Richtlinien von Natura 2000. Auch deshalb war die Flurbereinigung ein aufwändiges Projekt: Neben der Verbesserung der Agrarstruktur im Weinberg standen auch zwei Naturschutz-Projekte im Fokus: Erhalt und Verbesserung der ökologischen Verhältnisse durch Trockenmauern – und der Schutz der bedrohten Vogelart Steinschmätzer. „Der Schutz des Steinschmätzers war für die Flurbereinigung entscheidungsbestimmend“, erläutert Adolf Dahlem, Vorsitzender des Bauern- und Winzervereins Gundersheim.

 

Vom Aussterben bedroht

In der rheinhessischen Weinlage Höllenbrand bei Gundersheim ist die Population des Steinschmätzers massiv gesunken.  

Der Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe) hat in Deutschland nur noch wenige Brutgebiete und gilt als vom Aussterben bedroht. Die Trockenmauern im Höllenbrand bieten dem seltenen Zugvogel gute Nistplätze, die umgebenden Weinberge galten lange als Grundlage für sein Hauptnahrungsmittel: flugunfähige Laufkäfer und Raupen. Rund 150 Brutpaare zählte der Ornithologe Martin Buchmann in den 1990er-Jahren im Gundersheimer Höllenbrand. Damit galt der Weinberg als größtes Brutgebiet für den seltenen Vogel im Bundesland Rheinland-Pfalz. Doch seit damals geht die Population zurück. Weil die Brutpaare des Steinschmätzers nur bis ins Jahr 2000 jährlich dokumentiert sind, schätzt der Naturschutzbund Deutschland e.V. (Nabu) die Zahl der Brutpaare derzeit auf nur noch etwa 25. „Voraussetzung für ein ausreichendes Nahrungsangebot sind offene Böden, am besten Rohböden, wie man sie auf Truppenübungsplätzen oder in Weinbergen findet“, erklärt der Insektenforscher Erik Opper, der ein Büro für Monitoring und Kartierung betreibt.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Sabine Schwabe untersuchte er im vergangenen Jahr das Nahrungsangebot des Steinschmätzers in der Weinlage. Die Idee dazu angestoßen hatte Daniel Steffen. Der Vorsitzende der Kreisgruppe Wonnegau des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) arbeitet auch in anderen Projekten mit dem Insektenforscher zusammen. Er stieß auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Nahrungsangebot und Steinschmätzer-Population. „Unsere Studie haben wir ohne Beauftragung und ehrenamtlich gemacht, um unabhängig zu bleiben“, erklärt Entomologe Opper und fügt hinzu: „Wer bezahlt, bezieht auch Position, uns war es aber wichtig, alle Winzer mitzunehmen." 200 Stunden ehrenamtliche Arbeit stecken in den kürzlich vorgestellten Ergebnissen. „Der Steinschmätzer sucht seine Nahrung ausschließlich am Boden“, erörtert Schwabe das Fressverhalten des Vogels, der sich nur von Insekten ernährt. Während der zweiwöchigen Aufzucht der Nestlinge sei entscheidend, dass in einem Radius von bis zu 50 Metern rund um das Nest genügend weiche Raupen und Laufkäfer-Arten für den Nachwuchs zu finden seien.

 

Überraschende Ergebnisse

Insekten-Experte Erik Opper

Marcus Kaufhold

Vier Weingüter waren an der Studie beteiligt: Ein VDP-Weingut als einziger Bio-Betrieb arbeitet im Pflanzenschutz ausschließlich mit Kupfer und Schwefel. Auf der Versuchsfläche wurde der Bewuchs dabei nicht regelmäßig kurz gehalten. Ähnlich sah es beim zweiten Weingut aus: Kupfer und Schwefel wurden ab Mitte Mai wöchentlich ausgebracht, die Versuchsfläche wurde erst spät im Jahr und nur selten gemäht. Im dritten Weingut kamen Schwefel und Kupfer nur Mitte Juni und Ende Juli zum Einsatz, dazu wurde regelmäßig gemulcht. Das vierte Weingut verwendete Anfang April als einziger Betrieb einmalig Glyphosat und anschließend Kupfer, Schwefel sowie synthetische Mittel zum Pflanzenschutz. Als Vergleichsflächen dienten den Wissenschaftlern ein 2.500 Quadratmeter großes Areal mit Aussaat von Blühmischungen und einer Mahd im September sowie ein Weinberg im benachbarten Westhofen. Parallel gab es eine vergleichende Untersuchung zum Vorkommen des Steinschmätzers im Biosphärenreservat Schwäbische Alb.

Die Ergebnisse der Studie überraschen – in vielerlei Hinsicht. Mehr als 7.740 verschiedene Insekten zählten die Forscher, 1.347 davon waren Laufkäfer. „Die Nahrungsgrundlage für den Steinschmätzer ist also grundsätzlich vorhanden“, fasst Erik Opper zusammen. 44 Laufkäferarten konnten sie dabei dokumentieren, darunter zehn gefährdete. Zudem wiesen sie viele gefährdete Insekten nach. Ebenfalls erstaunlich: In der Menge und Anzahl der verschiedenen Laufkäferarten punktete die Fläche mit Glyphosat-Einsatz deutlich vor den anderen. „Vielleicht kann man sagen: wegen des Glyphosat-Einsatzes“, sagt Erik Opper nachdenklich. Durch den Herbizid-Einsatz bleiben die Böden lange offen, das abgestorbene Pflanzenmaterial dient den Laufkäfern als Nahrung. „Glyphosat-Einsatz begünstigt besondere Arten wie die Laufkäfer“, erläutert der Forscher, “aber das geht auf Kosten der Biodiversität.“ Vor allem bei den Heuschrecken sah es dort schlecht aus. Und auch die sonst erfassten Insektenarten wurden auf der mit Herbiziden behandelten Fläche am wenigsten nachgewiesen. Hier konnte die Ausgleichsfläche deutlich bessere Zahlen liefern: Alle Insektenarten außer Laufkäfern zeigten dort deutlich häufigere Vorkommen. Ihnen fehlt dort der offene Boden.

„Wir haben mit Lebendfallen gearbeitet, die wöchentlich kontrolliert wurden” , erläutert Sabine Schwabe ihr Vorgehen. Der Rhythmus der Überwachung brachte eine überraschende Erkenntnis: In der zweiten Juni-Woche – mitten in der Brutzeit des Steinschmätzers – brach die Population der Laufkäfer dramatisch ein und erholte sich bis zum Ende der Vegetationszeit nicht mehr. Auf der Vergleichsfläche in der Schwäbischen Alb hingegen stieg zu diesem Zeitpunkt die Laufkäfer-Population an und blieb bis August weitgehend stabil.

 

Kupfer bedroht Nahrungsgrundlage

Forscherin Sabine Schwabe untersucht mit Erik Opper das Nahrungsangebot des Steinschmätzers

Gemeinsam mit den Winzern machten sich Erik Opper und Sabine Schwabe auf die Suche nach den Ursachen. Dabei ließ eine mögliche Ursache aufhorchen: Rund eine Woche vor Einbruch der Zahlen begann der Pflanzenschutz in den Weinbergen. „Alle beteiligten Winzer haben dabei Kupfer eingesetzt“, berichtet Schwabe. Studien haben die toxische Wirkung von Kupfer auf Regenwürmer nachgewiesen. Die bisher einzige Studie über Laufkäfer aus dem Jahr 1995 zeigte, dass Kupfer zu einer erhöhten Mortalität der Larven sowie zu eingeschränkten motorischen Fähigkeiten der adulten Tiere führt.

„In Gesprächen mit den Beteiligten wurde klar, dass sich nicht nur der Anteil der Bio-Winzer im Vogelschutzgebiet erhöht hat, sondern auch konventionell arbeitende Weingüter öfter zu Kupfer und Schwefel greifen. Das könnte erklären, warum die Population seit 15 Jahren zurückgeht“, formuliert Erik Opper vorsichtig seine These. „Sollte sich die Beobachtung bestätigen, könnte das die Bio-Winzer erschüttern“, sagt Andreas Huppert vom an der Studie beteiligten Weingut Huppert. Der Winzer hat Erfahrungen mit effektiven Mikroorganismen als Alternative zu gängigem Pflanzenschutz gesammelt und will versuchen, im kommenden Jahr ohne Kupfer zu arbeiten. Dass Witterung und Hitze auch einen Einfluss auf die Population haben könnten, will er aber nicht ausschließen. Adolf Dahlem vom Gundersheimer Winzerverein ist dagegen überzeugt, dass dies die entscheidenden Faktoren seien: Die Zeit des ersten Pflanzenschutzes im vergangenen Jahr fiel mit der ersten Hitzewelle nach einem kalten und feuchten Frühjahr zusammen. „Das muss unter Einbeziehung weiterer Parameter wiederholt werden, um das besser vergleichen zu können“, fordert er. Dirk Emmich vom Weingut Neef-Emmich, in dessen Weinbergsflächen ebenfalls untersucht wurden, hält es aber ebenfalls für möglich, dass Kupfer die Ursache für den Rückgang ist. „Man weiß schon lange, dass Kupfer ein Problem ist – beispielsweise für Regenwürmer oder Mikroorganismen im Boden“, sagt er. Er hält es für falsch, dass niemand Kupfer als Pflanzenschutzmittel in Frage stellt.

Sabine Schwabe und Erik Opper treffen inzwischen Vorbereitungen zur zweiten Runde der Laufkäfer-Studie im Höllenbrand. Sie haben die Untersuchungsflächen erweitert, beispielsweise mit einer Fläche in einem Piwi-Weinberg mit bis zu 80 Prozent reduziertem Pflanzenschutz sowie mit einer konventionell bewirtschafteten Fläche, in der seit vielen Jahren synthetische Pflanzenschutzmittel, aber kein Kupfer zum Einsatz kommen. Verstärkung für den Versuchsaufbau haben sich die Forscher von der Universität Kaiserslautern geholt und beziehen neben den Bewirtschaftungsformen auch die Wetterdaten stärker in die Auswertung ein. Die Winzer unterstützen die Wissenschaftler dabei. So erklärt Andreas Huppert: „Ich habe ein starkes Interesse daran, für den Steinschmätzer etwas zu verbessern – und will mich gerne mitverändern.“

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