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Als Siebzehnjähriger gründete Erhard Tutzer 1963 in Bozen eine Rebschule und belieferte später Weingüter wie Gaja und Antinori. Doch seine Leidenschaft ist die Züchtung neuer, resistenter Sorten. Raffaella Usai hat mit ihm über Piwis, Rebenforschung und die Zukunft des Weinbaus gesprochen.

Wie kam es, dass Sie als junger Mensch eine Rebschule gründeten?

Tutzer: Seit dem 16. Jahrhundert hat meine Familie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Trauben verdient. Meine Eltern waren Weinbauern, und das Geld war immer knapp. Ich musste meinem Vater schon als Kind helfen, Propfreben herzustellen. Und als ich älter wurde, wollte ich mein eigenes Geld verdienen. So kam ich auf die Idee mit der Rebschule. Not macht eben erfinderisch!

 

Welche Sorten haben Sie dort vermehrt?

Tutzer: Zunächst die einheimischen Südtiroler Sorten Vernatsch und Lagrein. Später kamen Weißburgunder und Chardonnay hinzu. Am Ende hatte ich 150 verschiedene Rebsorten im Sortiment.

 

Wer waren Ihre Kunden?

Tutzer: Nach rund zehn Jahren war ich Marktführer in Südtirol. Dann lieferte ich auch ins Trentino, es folgte ganz Italien und später auch Europa. Mein Unternehmen war die zweitgrößte private Rebschule Italiens.

Mehrere Jahrgänge von Mikrovinifikationen aus Piwi-Sorten lagern in Tutzers Keller.

Raffaella Usai
 

Was war das Besondere an Ihren Reben?

Tutzer: Ich habe stets auf Qualitätsklone gesetzt und auch die Unterlagsreben selbst produziert. Ich wurde Partner aller wichtigen Weinbau- und Züchtungsinstitute, von Geisenheim, Weinsberg, dem Geilweilerhof, dem Staatlichen Institut Freiburg, aber auch von Klosterneuburg und der Universität Pécs in Ungarn. Mein Ausgangsmaterial für die Reben habe ich stets von den Instituten bezogen.

 

Wann entstand Ihr Interesse an Piwi-Sorten?

Tutzer: Oh, das ist lange her. Mir war immer klar, dass man im Weinbau etwas tun muss, um die Menge von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Deren Einsatz, um gesunde Trauben zu ernten, war und ist immer noch zu hoch. Da sind resistente Reben eine mögliche Antwort. Neu ist die Idee ja nicht, schon vor langer Zeit hat man in Frankreich die Hybridreben gezüchtet. Nur waren sie qualitativ nicht gleichwertig mit der Vitis vinifera und daher verpönt.

 

Man muss den Einsatz von Pflanzenschutz reduzieren!

 

Können Sie sich noch an den ersten Piwi-Wein erinnern, den Sie verkostet haben?

Tutzer: Sicher, das war in Ungarn in den späten 1980er- oder frühen 90er-Jahren. Der Wein hat mich damals sensorisch zwar nicht überzeugt, aber ich wusste, dass es der richtige Weg ist.

 

Also wurden Sie selbst aktiv?

Tutzer: Genau. Ich bin im Jahr 2000 in die Resistenzzüchtung eingestiegen und habe die Rebschule meinem damaligen Geschäftsführer übergeben. Zuerst habe ich begonnen, Resistenzträger franko-amerikanischer und asiatischer Herkünfte zu sammeln. Es folgten verschiedene Reben-Zuchtquartiere und Partnerschaften mit Forschungsinstituten in Italien und im Ausland mit den entsprechenden Mikrovinifikationen. Mit meinem Unternehmen Innovitis habe ich eine reduzierte Auswahl der unzähligen Kreuzungssorten getroffen. Derzeit betreibe ich drei Rebanlagen in Südtirol, in denen über 60 neue resistente Sorten stehen. Mit deren Trauben mache ich Mikrovinifikationen, um sie auf ihre sensorische Eignung zu testen. Ich bin überzeugt, dass es durch natürliche Kreuzung gelingt, neue Rebsorten zu züchten, die sehr resistent sind und gute bis sehr gute Qualitätsweine bringen.

 

Tutzers Piwi-Sorte Aromera erinnert an Gewürztraminer.

Raffaella Usai

Aus welcher Generation der Piwi-Sorten stammen sie?

Tutzer: Es handelt sich dabei um die dritte Generation, bei der es um die Verfeinerung der Resistenzen und Eigenschaften geht. Im Übrigen spreche ich lieber von „resistenten“, als von „Piwi“-Sorten. Denn derzeit geht es nicht mehr nur um Pilzwiderstandsfähigkeit, sondern auch um Resistenz gegen Insekten, Toleranz gegen Hitze und Kälte, Trockenheit, Fäulnis und vieles mehr. Man muss immer bedenken, dass es sehr lange dauert, bis eine neue Sorte überhaupt zugelassen wird. Die Bürokratie dahinter ist verrückt. Zwischen Züchtung, Monitoring über diverse Jahre und in verschiedenen Lagen sowie dem Zulassungsverfahren vergehen zehn bis 15 Jahre. 

 

Rebenzüchter rennen der Entwicklung immer hinterher?

Tutzer: Absolut. Dabei brauchen die Winzer dringend hochwertige resistente Sorten, die qualitativ mit den traditionellen mithalten können.

 

Weshalb ist es so schwierig, gute und gleichzeitig resistente Sorten zu züchten?

Tutzer: Weil sich Pflanzen anpassen und ihre Resistenzmechanismen auch wieder verlieren können. Vor allem deshalb ist es wichtig, in der natürlichen Kreuzung mit mehrfachen Resistenzen zu arbeiten. In der Vergangenheit wurden auch Sorten zugelassen, die nicht ausreichend getestet worden waren. Ihre Widerstandsfähigkeit hat sich nach kurzer Zeit als unzureichend herausgestellt. Viele Winzer mussten sie wieder ausreißen und haben dadurch finanzielle Schäden erlitten. Durch diese Erfahrungen sind die Züchter und die Winzer viel vorsichtiger geworden.

 

Reben können ihre Resistenzen auch wieder verlieren

 

Wie können Sie verhindern, dass die Reben ihre Resistenz-Mechanismen verlieren?

Tutzer: Man sollte nie ganz auf Pflanzenschutz verzichten, sondern auch die Piwi-Sorten zwei bis drei Mal pro Jahr mit Schwefel und einer sehr reduzierten Dosis Kupfer behandeln. Das erste Mal bald nach dem Austrieb, dadurch kann man einen eventuellen Mehltau-Befall des Vorjahres im Ursprung bekämpfen. Der zweite Spritzgang sollte in der Phase des Abblühens erfolgen, weil die stecknadelkopfgroßen Beeren sehr empfindlich und ungeschützt sind. In extrem feuchten Jahren kann auch eine dritte Behandlung nötig sein, aber in der Regel haben die Piwi-Sorten genügend Abwehrmechanismen.

 

In den Weingärten in Marling stehen 172 verschiedene Spielarten von Pinot Noir.

Raffaella Usai

Welche bereits zugelassene Piwi-Sorte haben Sie gezüchtet?

Tutzer: Zum Beispiel die weiße Sorte Aromera, eine Kreuzung zwischen Muskat-Ottonel und Eger 2 (Villard Blanc). Sie ergibt würzige, säurebetonte Weißweine mit feinem Muskatton und Aromen von Rosen. Gleichzeitig hat sie eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Pilzkrankheiten. Sie ist auch in Deutschland zugelassen und eignet sich hervorragend für Gebiete, in denen auch Riesling angebaut wird.

 

Die meisten Winzer wollen nicht auf ihre traditionellen Sorten verzichten. Wie sieht es mit dem Einkreuzen von Resistenzgenen aus, zum Beispiel in Sangiovese oder Nebbiolo?

Tutzer: Die neue Rebsorte wird nicht mehr identisch mit der Muttersorte sein, aber man kann durch Rückkreuzung eine große Ähnlichkeit erzielen. Das heißt, wenn mir das erste Kreuzungsprodukt agronomisch und genetisch die Resistenzen bringt, die ich benötige, kann ich einen zweiten Kreuzungsvorgang mit der Muttersorte machen und so weiter. In der Hoffnung, dass dadurch die Resistenzen nicht wieder verloren gehen, aber die Sensorik sich immer weiter der Muttersorte annähert. Wer da skeptisch ist, sollte sich mal vor Augen führen, dass es unzählige natürliche Mutationen einer Rebsorte gibt. Allein in meinem Weinberg hier in Marling stehen 172 Spielarten von Pinot Noir, die auf natürliche Art entstanden sind.

 

Was halten Sie von der Neuen Gentechnik, kurz NGT genannt?

Tutzer: Ich bin von Natur aus kritisch und kenne die Vor- und Nachteile der klassischen Rebenzüchtung. Mit der Einbringung gezielter Resistenzen durch NGT sind auch gewisse Risiken verbunden, die man derzeit noch gar nicht abschätzen kann. Man wird damit die erste Phase der Resistenzzüchtung zwar verkürzen können, aber die zweite und dritte Phase, wenn es um die Feldversuche geht, muss trotzdem erfolgen. Also: Viel schneller wird man mit NGT nicht sein, wenn man herausfinden will, ob sich eine Sorte tatsächlich eignet und an verschiedenen Standorten resistent ist. Zudem werden wir erst später die Nebenwirkung eines gentechnischen Eingriffs erkennen. Dies erfordert dann gegebenenfalls einen weiteren Eingriff. Trotzdem sollten wir parallel an neuen Sorten arbeiten, ganz klar. Die eine Methode schließt die andere nicht aus.

 

Erhard Tutzer ist nicht nur Züchter, sondern auch Winzer. Der Solaris vom Plonerhof hat 2023 erneut den Preis für den besten italienischen Weißwein aus Piwi-Sorten gewonnen.

Raffaella Usai

Wie offen sind die Südtiroler Winzer gegenüber Piwis?

Tutzer: Sie sind sehr verschlossen, auch weil man hier verwöhnt ist. Die Traubenpreise sind im Vergleich zu anderen Regionen sehr hoch. Piwi-Sorten stoßen vor allem bei Winzern auf Interesse, die wenig für ihre Trauben und Weine erzielen. Das ist auch in Deutschland so. Piwis werden in Gegenden gepflanzt, in denen die Ernteerlöse pro Hektar fallen. Südtirol erzielt neben den Langhe (Piemont) und Montalcino (Toskana) die höchsten Grundstückspreise in Italien. Daher ist hier leider keine Zielregion für Piwi-Sorten.

 

Wen muss man noch von Piwi-Sorten überzeugen?

Tutzer: Schaut man sich den Bioweinbau an, muss man ehrlicherweise sagen, dass er heute oft ad absurdum geführt wird. Der CO2-Abdruck vieler Bioweine ist katastrophal. Wenn ein Winzer 20-mal in der Saison Kupfer und andere Pflanzenschutzmittel ausbringen muss, dann kann das keine nachhaltige Lösung sein. Vor allem Biowinzer sollten daher auf Piwi-Sorten setzen, denn sie können ihren Pflanzenschutz damit um rund drei Viertel reduzieren. Auch Winzer, deren Weinberge sehr nah an Wohnhäusern, Wanderwegen oder Spielplätzen liegen, sollten darüber nachdenken. 

 

Derzeit betreiben und finanzieren Sie Ihre Forschung ganz allein. Wie sieht die Zukunft aus?

Tutzer: Für die Versuchsanlagen habe ich bereits Winzerkollegen ins Boot geholt, die mir Flächen zur Verfügung stellen. Aber um wirklich durchschlagenden Erfolg zu haben, müsste alles zehnmal so groß sein. Wenn sich also jemand dafür interessiert: Ich bin immer offen für Partnerschaften. Ich habe nun ein gewisses Alter erreicht und würde mich freuen, wenn Jüngere meine Forschung weiterführen würden. Denn Piwis und resistente Sorten sind die Zukunft – auch für Südtirol.

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