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Bis tanninbittere Weine in seidenweiche Schmeichler verwandelt sind, vergehen beim Karaffieren oft Stunden. Der Aveine Aerator will das beim direkt Einschenken erledigen. Wir haben getestet, was die patentierte Belüftungstechnik leistet.

Am Abend ein Glas Wein genießen? Und nichts ist für Sie dabei überflüssiger als Technik, Gadgets und Smartphone? Dann lesen Sie bitte trotzdem weiter. Der „Aveine Aerator" aus Frankreich ist ein Flaschenaufsatz, der beim Einschenken das fein dosierte, oft stundenlange Belüften von Weinen in der Karaffe reproduziert. Die zugehörige App findet sogar heraus, wie lange der Wein der Wahl benötigt. Das Prinzip des Aerators: Zeit einstellen, einschenken und genießen.

Die edel gestaltete, schwarze Pappschachtel öffnet sich leise saugend und erinnert an ein Apple-Smartphone – wohl nicht ganz zufällig. Der Flaschenaufsatz mit patentierter Technik aus Silizium und Aluminium liegt angenehm schwer in der Hand, das Display leuchtet automatisch auf. Als Basisfunktion kann man den Schieberegler von einer bis zu 24 Stunden einstellen und so die Belüftungszeit vorwählen, die der Aerator beim Einschenken durch genau dosierte Sauerstoffzufuhr reproduziert. Doch das mit Innovationspreisen ausgezeichnete Gerät hat mit 449 Euro auch einen ambitionierten Listenpreis. Im Test wollen wir herausfinden, was der Aveine Aerator dafür zu bieten hat.

 
Aveine

App und Algorithmus für die richtige Luftzufuhr

Als ersten Schritt installieren wir zunächst die zugehörige App auf dem Smartphone oder dem Tablet. Sie findet den Aerator sofort über Bluetooth. Nun fotografiert man mit der App das Etikett des Weins, der belüftet werden soll. Die Aerator-App erkennt es sofort und stellt die von einem Algorithmus auf Basis von Profi-Bewertungen errechnete Dekantierzeit über Bluetooth am Gerät ein. Doch was bringt das digitale Gerät im Vergleich zum klassischen Karaffieren? Da nur die Weinmenge, die ins Glas fließt, mit dem innovativen Verfahren belüftet wird, haben wir dazu einen unbelüfteten Wein ins zweite Glas eingeschenkt und ihn darin ruhen lassen. So konnten wir den Zustand des Weins im Zeitverlauf direkt vergleichen. In unserem Test ist es der „Por tí“ von Luzón aus der spanischen Region Jumilla. Drei Stunden belüften ist der angegebene Wert, den das System mit hundertprozentiger „Aeration reliability“ angibt. Darauf müsste also Verlass sein.

Direkt aus der Flasche gibt es viel reife, schwarze Kirsche und Erdbeere, dazu etwas Baumrinde. Die Säure ist angenehm frisch, das Tannin ist ein bisschen eckig, aber fein. Nach drei Stunden ist die Frucht weicher und dichter mit einem Touch Cassis, dazu feine Kräuter, Lakritz – und die erhofft milden Tannine. Noch eine Stunde später: Hier sind die Tannine sogar noch etwas härter als vor dem Dekantieren. Nach zwölf Stunden: Der Wein wirkt matt. Der Aveine hat in diesem Test also eindeutig richtig gelegen. Genau so wünscht man sich das Tuning eines jungen Weins.

 
Aveine

Etikett-Erkennung und fehlende Daten

Hat die App das Etikett richtig erkannt, liefert sie neben Informationen wie Herkunft und Lage weitere Analysedaten: 15 Prozent Alkohol, 90 Prozent Monastrell und 10 Cabernet Sauvignon sind korrekt. Zu Stil, Fassausbau, Alterungspotenzial und ob Bio oder vegan, erfährt man aber nichts. Aveine liefert zudem einen Link zu Google Maps mit der genauen Lage, Öffnungszeiten und Telefonnummer des Weinguts. Im Test wurde aber schnell klar: Oft fehlen diese Daten komplett. Es passieren auch Fehler: Wir fanden etwa falsche Alkoholgehalte oder unvollständige Angaben zu den Rebsorten.

Beim 2017-er Chablis des Bio-Winzers Jean-Marc Brocard wird der Aveine Aerator ebenfalls fündig, allerdings nur mit Jahrgang 2018. Mit einer Verlässlichkeit von 75 Prozent empfiehlt er für ihn drei Stunden Belüftungszeit. Direkt aus der Flasche hat der Chardonnay Noten von Kalk und etwas Pappe, vegetabil, rauchig, Champignons. Am Gaumen dicht, sehr feines Holz, rosa Grapefruit, reifer Cox Orange. Mit einer Sauerstoffzufuhr, die drei Stunden Belüftung entspricht, sind wir in einer anderen Welt. Schießpulver herrscht in der Nase vor, etwas Apfelkompott und schwarzer Pfeffer. Auf der Zunge feine Butter, reife Frucht, ein Touch tropische Noten. Nach zwölf Stunden ist das Schießpulver verschossen, pflanzliche Aromen, etwas nasser Stein, tropische Frucht. Nach 24 Stunden wird das Ganze noch schwächer. Ähnlich zuverlässig wie hier und mit dem Luzón verliefen fast alle unserer Tests.

 
Aveine

Sauerstoff-Anreicherung wie bei der Herzoperation

Die Geschichte des Firmengründers Nicolas Naigeon erinnert ein wenig an Gregg Lambrecht, den Erfinder von Coravin. Als Kind einer burgundischen Winzerfamilie studierte er Ingenieurswesen und spezialisierte sich auf Biomedizin. Dabei begegnete ihm eine Methode zur Sauerstoffanreicherung des Bluts bei Herzoperationen. Das war die Geburt des Patents – und Naigeons Geschäftsidee. Im Gegensatz zu anderen Ausgießern, die den hindurch fließenden Wein je nach Durchflussmenge belüften und nicht einstellbar sind, dosiert der Aveine mit seiner elektrischen Sauerstoffpumpe sehr präzise, bei Bedarf sogar deutlich mehr, als mit dem sogenannten „Venturi-Effekt” möglich ist. Damit lässt sich der Zeitraum präzise reproduzieren, den der Wein vor dem Einschenken in der Karaffe bleiben müsste. „Wir injizieren in Anzahl und Größe genau kalibrierte Luftblasen“, erklärt Nicolas Naigeon das Prinzip, „und die sind jederzeit reproduzierbar”.

Die zugehörige App ist sehr professionell gestaltet. Man kann sich ein persönliches Profil mit Bild und Informationen nach Wahl anlegen, sich mit anderen Usern vernetzen, ihnen folgen, sich folgen lassen – oder sein Profil privat halten. Viele Features lassen sich einstellen, etwa Push-Mitteilungen zu neuen Kommentaren, Followern und Updates. Wer darf mein Profilbild sehen? Wer darf mir schreiben, meine Kommentare, meine Statistik lesen? Mit Kritiken verdient man sich Anerkennung. Schon nach etwa 38 Eingaben ist man ein „Wine seeker“ im Konfettiregen. Auch die Weine, deren Etikett man hat erkennen lassen, werden gespeichert. So kann man die gewählte Belüftungszeit mit dem Durchschnitt der Community vergleichen. Diese Daten der Nutzer erweitern zugleich die Datenbasis der Wein-Datenbank.

 
Aveine

Überarbeitete App in Planung

„Jede Verkostungsnotiz wird von einem unserer 15 Teammitglieder auf Qualität geprüft und erst danach für den Algorithmus genutzt”, erklärt Naigeon. Der errechnet aus den Daten die Belüftungszeit anhand von Jahrgang, Rebsorte, Herkunft und weiteren Parametern. „In Zukunft wollen wir noch feinere Unterscheidungen treffen”, berichtet er, “dabei erhält auch der älteste Aerator jedes Update.“ Das Warten auf ein neues Modell lohnt sich also nicht.

Doch Nicolas Naigeon will nicht nur eine das Gerät ergänzende Wein-App mitliefern, sondern definiert sie selbstbewusst als „Gold-Standard Social Media-Plattform für Wein”. Doch selbst große Tasting-Apps wie Vivino und Cellartracker haben das nie geschafft. Im Testzeitraum waren fast nur Profis, Sommeliers und Weinfans mit sehr viel Sachkenntnis in der Community unterwegs. Daher waren auch die Verkostungsnotizen sehr brauchbar.

Doch beim Aveine gibt’s noch einiges Potential zur Verbesserung: Bei unserer erweiterten Stichprobe mit über 50 Weinsuchen war längst nicht jedes Etikettenfoto ein Treffer. Offensichtlich ist die Datenbasis noch nicht groß genug. Mit französischen Weinen funktioniert das System am besten, mit Italienern und Spaniern schon weniger. Die Zahl der Weine aus Kalifornien, Deutschland, Portugal, Griechenland und anderen Ländern ist eher dürftig. So war im Test ein weltweit bekannter Wein wie „ViñaSol“ von Torres ebenso wenig zu finden wie der Chassagne-Montrachet Premier Cru des weltweit aktiven Burgund-Handelshauses Louis Jadot.

 
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Fazit

Für wen taugt der Aveine Aerator? Die patentierte Belüftungstechnik funktioniert sehr gut. Das größte Potenzial liegt aber im Profibereich: Ein Sommelier, der seine Weine kennt, präsentiert sie direkt nach dem Einschenken in optimal karaffiertem Zustand, ebenso Winzer und Händler ohne Wartezeit vor ihren Kunden. Bei sehr alten Jahrgängen, die oft zu lange belüftet werden, könnte das Gerät zudem manchen reifen Wein retten. Für Weinfreunde ist Social Media-Affinität von Vorteil, verständlich ist die App aber für alle. Wenn auch nicht unbedingt erschwinglich. Kleiner Trost: Wer den Aveine Aerator trotz des Preises kauft, versteht mit ziemlicher Sicherheit genug von Wein. Deshalb kann man sich auch ganz gut auf dessen Belüftungsempfehlungen verlassen.

Für Profis kann sich die Investition aufgrund des reduzierten Aufwands fürs Dekantieren und Reiningen der Karaffen schon lohnen. Für private Liebhaber ist er hingegen ein teurer, aber durchaus feiner Spaß.

 

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