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Mit einer Infusion aus Weinblättern sowie Fermentation entwickelt der rheinhessische Önologe Wolfgang Schäfer eine aromatisch eigenständige Alternative zu alkoholfreiem Wein. Davon sollen Genießer und Weingüter profitieren.

Wie wäre es, statt dem fertigen Wein mit teuren Verfahren den Alkohol zu entziehen, ein alkoholfreies Getränk aus Weinreben zu produzieren? Daran arbeitet Wolfgang Schäfer, Önologe und Inhaber der Weinberatung „Tropical Viticulture Consultants”, bereits seit etwas mehr als zwei Jahren. Sein Konzept verfolgt eine Infusion aus Weinblättern und anschließender Fermentation, bei der Alkohol maximal in geringsten Mengen entsteht. Daraus soll demnächst ein Getränk mit aromatischer Eigenständigkeit entstehen – als Alternative zu alkoholfreien Weinen.

Die Ursprünge seiner Idee liegen schon gut 25 Jahre zurück. Der Fachmann für Weinbau in tropischen Regionen hatte ein Projekt in Vietnam: Damals ließ er dort ungespritzte Weinblätter für die orientale Spezialität Dolma produzieren. Sie wird in dutzenden Varianten in mehr als zwölf Staaten wie etwa Türkei, Griechenland, Georgien, Kroatien, Bulgarien und Rumänien zubereitet. Dabei wird die Füllung aus Reis, Gemüse oder Fleisch mit Weinblättern umwickelt. „Damit die Blätter dafür ausreichend groß werden, mussten wir viele Geiztriebe auf den Boden schneiden“, erzählt er. Er erinnert sich gut an den Moment, als einer seiner Mitarbeiter mit Blick auf die trockenen Blätter am Boden sagte: „Die sehen ja aus wie Tee.” Schäfer probierte es aus. „Heraus kam ein sehr aromatischer Tee“, erzählt er. Ein Getränk mit vielen Gerbstoffen, ähnlich wie Grüner Tee, und – abhängig von der Rebsorte – auch mit eigenständiger Aromatik. Aus dem Tee-ähnlichen Getränk entwickelte der Önologe das sogenannte “Grape Leaf Soda”, ein mit Traubensaft und Wasser versetzter Tee aus Weinblättern, den er 2017 unter dem Namen KISUU auf der ProWein vorstellte. „Das Getränk kam zwar ganz gut an, wir sind aber an der Vermarktung gescheitert“, berichtet Wolfgang Schäfer.

 

Die im Orient und in Südosteuropa populäre Spezialität Dolma brachte Wolfgang Schäfer auf die Idee, mit Weinblättern zu arbeiten.

Wikipedia

„Blätter von Piwi-Rebsorten sind viel aromatischer“

Die Idee ließ den Oenologen aber nicht los: „Wir wollten das Ganze noch höherwertiger machen“, beschreibt er seine Überlegungen. Mit der Brain AG im hessischen Zwingenberg fand er den passenden Partner. Das Biotechnologie-Unternehmen arbeitet an der Entwicklung von Mikroorganismen als Alternative zu chemischen Prozessen. Bei einem Gespräch entstand die Idee, ein neues Getränk gemeinsam zu entwickeln: „Der Auftrag an die Brain AG lautete, Mikroorganismen zu finden, die eine Infusion aus Weinblättern vergären, ohne Alkohol zu produzieren.“

In welchen Schritten das neue Getränk konkret entsteht, ist Schäfers Geheimnis. „Ich verrate keine Details“, sagt Schäfer und lächelt. Er berichtet nur, wie er regelmäßig mit Kollegen und großen, blauen IKEA-Tüten durch die Weinberge streift und zentnerweise Blätter erntet. Denn aktuell werden sie in den beteiligten Weinbergen noch manuell gepflückt – zwingend vor dem ersten Pflanzenschutz. „Wir haben auch Versuche mit klassischen Rebsorten gemacht, aber die schmecken interessanterweise nicht gut. Blätter von Piwi-Rebsorten sind viel aromatischer“, hat er beobachtet. Die zerkleinerten Blätter werden anschließend mit Wasser eingemaischt und über längere Zeit immer wieder umgerührt. So entsteht eine Infusion, die anschließend abgepresst und steril in so genannte Kegs, kleine Mehrwegfässer aus Edelstahl zur keimfreien Lagerung, gefüllt wird.

„Jetzt könnten wir Traubensaft zugeben, aber für ein höherwertiges Produkt wollen wir es fermentieren“, erzählt der Getränke-Entwickler. Die Fermentation und ein möglichst langes Hefelager sorgen für eine drastische geschmackliche Veränderung. „Das Ergebnis (siehe Bild ganz oben) liegt geschmacklich eher beim Wein als beim Eistee“, sagt Wolfgang Schäfer. Aktuell laufen erste Versuche mit einer Maischegärung: „Da haben wir große Hoffnung, dass dabei ein stabiles und spannendes Produkt entsteht.“ Weil das Endprodukt kein Wein, sondern ein Lebensmittel ist, wollen sie möglichst wenig mit Zusatzstoffen arbeiten: „Wir müssen auf dem Etikett ja alles angeben.“ Zum Süßen kommt deshalb nur Traubensaft in Frage, den sie ebenfalls selbst produzieren.

 

Die Weinblätter müssen ungespritzt sein, die Rebstöcke werden auf spezielle Weise beschnitten.

Tropical Viticulture Consultants

Kooperation mit Vereinigung „Zukunftsweine”

Eine Hürde bei der Entwicklung ist die Ernte der passenden Blätter. Weil sie auf jeden Fall ungespritzt sein müssen, kommen nur Blätter von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten in Frage. Aber auch die werden irgendwann gespritzt, und so ist das Zeitfenster für eine Blatternte überschaubar. Außerdem muss der Winzer schon im Winter mit dem Rebschnitt die Grundlage legen. Für den neuen Zweck muss ausreichend Blattmasse für die Ernte vorhanden sein. Doch nach dem Sammeln der Blätter benötigen die Rebstöcke noch genügend Laub, damit auch die Trauben ausreifen können. „Bis 2026 wollen wir voraussichtlich 100.000 Flaschen produzieren, dazu brauchen wir auch entsprechende Mengen.“ Als Kooperationspartner arbeitet Wolfgang Schäfer beispielsweise für Projekte wie das Piwi-Sekt-Projekt der Kellerei Rotkäppchen in Zusammenarbeit mit der EZG Goldenes Rheinhessen, für das 30 Hektar der Piwi-Sorte Calardis blanc angelegt wurden.

Seit mehr als zwei Jahren läuft die Entwicklung inzwischen unter dem Projektnamen Sustainable Beverage (SUSBEV), dafür haben die Beteiligten viel eigenes Geld investiert. Neuen Auftrieb erhielt das Projekt im Januar. Mit einem Förderprogramm des Ministeriums für Bildung und Forschung steht nun genug Budget bereit, um die Entwicklung schneller voranzutreiben. Dazu hat die Provadis School of International Management and Technology in Frankfurt am Main eine Nachhaltigkeitsbewertung des neuen Getränks übernommen. Auch die rheinhessische Winzerin Eva Vollmer ist mit der Vereinigung „Zukunftsweine” beteiligt – und damit haben die Entwickler Zugriff auf mehr Piwi-Weinberge. Mit einer sechsstelligen Summe aus dem Fördertopf des Ministeriums will die Piwi-Vereinigung zudem ein professionelles Marketing konzipieren. Für die Winzer sei das „eine fantastische WinWin-Situation”, erklärt Wolfgang Schäfer: „Für die Weinblätter bekommen sie Geld, die Trauben bleiben gesund, sie erhalten hohe Mostgewichte – und der Wein kann zudem besser verkauft werden.“ Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Hans-Peter Höhnen will er das Getränk künftig vor allem im Auftrag von Weingütern produzieren: Als alkoholfreie oder -arme Ergänzung zum eigenen Weinportfolio.

Ihr Ziel ist es, bis Ende 2025 den Prototyp offiziell vorstellen zu können und 2026 mit drei verschiedenen Varianten in Weiß, Rosé und Rot an den Start zu gehen. „Mit sowie ohne Kohlensäure“, fügt Wolfgang Schäfer hinzu. Für die Ausstattung schwebt ihm eine „Wein-Ästhetik“ vor. Eine kleine Flasche würde das Getränk in die Limo-Ecke rücken, der Tetra-Pack sieht für ihn „zu sehr nach Eistee” aus. Und wie schmecken die ersten Varianten des künftigen Getränks? Viele phenolische Aromen, dazu ein wenig Sake-Stilistik, eher grünlich als fruchtig, dabei aber mit einer gewissen Säurefrische. Wolfgang Schäfer weiß: „Dieses Getränk mit einem Wein zu vergleichen, fällt schwer. Da ist noch viel Arbeit zu erledigen.“

 

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