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Viele Weinfans träumen vom eigenen Weingut: Das Jahr über im Weinberg, nach der Füllung den selbst produzierten Wein genießen. Die Realität ist aber eine ganz andere, berichten Quereinsteiger, spezialisierte Weingutsmakler und Berater.

Jakob ist in Eile. Erst muss er sich im Keller noch um ein paar Dinge kümmern, dann raus zum Spritzen rechtzeitig vor dem Regen. Für die alten Rebstöcke auf den wunderschönen, grau-blauen Schiefer​-Verwitterungsböden der Mosel hat er dabei oft keinen Blick. Alltag für einen Neuwinzer. Jakob Tennstedt arbeitete schon für Weingüter in Österreich, Italien, Frankreich und an der Mosel. Aber das eigene Weingut zu bewirtschaften, ist etwas ganz anderes. Seine 1,4 Hektar an der Mittelmosel halten ihn täglich voll auf Trab. So stressig stellen sich die wenigsten Weinfans den Beruf des Winzers vor.

Menschen, die wie Jakob Tennstedt schon jahrelang in der Branche arbeiten, können derzeit mit relativ geringer Investition ins Winzer-Dasein einsteigen. „Aber bis zum ersten Gewinn dauert es zehn Jahre“, erklärt Michael Acker. Der Önologe, der als Berater auf Neugründungen spezialisiert ist, holt Interessenten damit schon vor dem Kauf wieder zurück auf den Teppich. Außerdem sollten für ihn mindestens zehn Hektar Weinberge zum Gut gehören. Sonst rechnet sich der Betrieb schlecht, erzählt er. Die nötigen Traktoren, Pressen und Geräte kosten fast genauso viel, um die Hälfte der Fläche zu bearbeiten. Nur: Man produziert damit viel weniger Wein.

Die Kosten lassen sich ein wenig reduzieren, wenn der Quereinsteiger etwas von Technik versteht. Bernd Meckel etwa entwickelte früher Roboter für die Lebensmittelindustrie, „die mit ihrer Kamera einen Brötchenlaib erkennen und ein Muster reinschneiden“. Darauf übernahm er das Gut Obercarlenbach in der Pfalz. Den Traktor, der heute so teuer ist wie ein Luxusauto, repariert er selbst. Das spart viel Geld. Wie so mancher Quereinsteiger in seiner Situation hat er seinen früheren Beruf aber nicht aufgegeben. Denn er weiß: Es dauert zehn Jahre.

 

Arbeit abgeben und aufs Marketing konzentrieren

„Das Wichtigste überhaupt ist das Marketing“, betont Roland Minges. Der gelernte Elektroingenieur ist Spezialist für den Verkauf von Weinbau-Betrieben. „Wer seine Weine nicht an die Kunden bringt, hat verloren. Daran denken viele Einsteiger gar nicht.“ Alexander Hässler hatte das im Blick, als er sein Burgenweingut im gleichnamigen Ort an der Mosel mit einer guten Lage im Römerberg kaufte. Er ist in einem Unternehmen für den Verkauf zuständig, das Ofenanzünder herstellt. Wer wie er mit dem knallhart agierenden Einzelhandel verhandeln kann, hat ein dickes Fell entwickelt. Trotzdem: „Anrufen, Kaltakquise, überzeugen, Muster schicken, und dann doch wieder eine Absage. Das ist nicht schön, gehört aber dazu“, erzählt er. Hässler visierte daher den Großhandel an. „Da habe ich mit anfangs 1,6 Hektar relativ schnell viele Flaschen verkauft, mit Investitionen von unter einer halben Million Euro.“

Dazu delegierte er die meiste Weinbergsarbeit an einen Dienstleister, denn allein ist das Pensum nur schwer zu schaffen. Die vollständige Bewirtschaftung so auszulagern, lässt sich umgerechnet ab etwa einem Euro pro Flasche organisieren. Damit kann man leben.

„Man kann zunächst auch Weine zukaufen“, rät Michael Acker, „auch bei guten Betrieben bleibt manches Fass derzeit liegen“. Wer aber früh im Jahr einsteigt, kann im Weinberg die nötigen Arbeitsschritte mitbestimmen, in der Verkostung die Entscheidungen treffen, vielleicht sogar später in ein Weingut einsteigen.

Der Quereinsteiger Harald Eberhard dreht hingegen am großen Rad. „Gezwungenermaßen“, gibt der praktizierende Kieferorthopäde zu. Eberhard saß auf einem Erbe von 45 Hektar Landwirtschaftsfläche, die so unfruchtbar war, dass nur noch ein paar Schafe darauf weideten. Da kam ihm die Idee, ein Weingut zu gründen. Mit Michael Ackers Hilfe erarbeitete Eberhard eine Planung für den Anbau auf 24 Hektar Weinbergen. „Sogar die Zeilenabstände haben wir per GPS berechnet​", erinnert er sich. Heute hat er die denkmalgeschützte Scheune edel renoviert, die zum Bleimer Schloss gehört, einer Burg aus dem 14. Jahrhundert. Über 1.000 Gäste lassen es sich unter prächtigen, alten Holzbalken bei Events in dem modernen Keller gut gehen.

 

Der Berater und Weingutsmakler Erhard Heitlinger sieht derzeit gute Chancen für Quereinsteiger – wenn die Bedingungen stimmen.

Heitlinger

Gleichzeitig Bauer und Betriebswirt

Was das alles gekostet hat? Sagt er lieber nicht. „Etwa drei Millionen Euro sollte man haben“, überschlägt Berater Minges die Investition. Doch die allein reicht nicht, fügt er hinzu. „Gute Nerven“ seien ebenso wichtig, „Kompetenz, das Unternehmer-Gen, langer Atem, Toleranz“. Dazu kommen noch charakterliche Qualitäten. Ein Winzer muss zugleich Bauer und Betriebswirt sein.

Weiter gibt es viele weitere Fallen, in die Quereinsteiger tappen können. Fast alle Gründer wollen Bio-Wein machen, am liebsten mit Solaranlage und Elektrofahrzeugen. Das kostet viel Geld, aber das Bio-Siegel gilt erst nach drei Jahren Öko-Bewirtschaftung. Als Newcomer ist es zudem schwer, sich durchzusetzen. “Was hast du, was andere nicht haben?“, ist eine beliebte Killer-Frage von Weinhändlern.

Jedem Winzer geht zudem auch mal ein Tank daneben. Bei wenig Rebfläche tut das finanziell sehr weh. Verregnete Sommer, faule Trauben und späte Fröste gehören mittlerweile zum Weinbau, ebenso wie Hitzewellen und Hagelschlag. Um all diese Kosten und Risiken zu decken, muss der Neuwinzer passende Preise aufrufen. Doch das unterschätzen viele.

„Manche Quereinsteiger produzieren am Bedarf vorbei“, warnt auch der Weinbusiness-Berater und Gutsmakler Erhard Heitlinger, „Lagen-Riesling ist eine feine Sache. Aber sein Geld verdient man oft mit kaltvergorenem Sauvignon Blanc für jeden Tag.“ Dem wohl erfahrensten Makler der deutschen Weinbranche gehörte von 1972 bis 2003 das von seinem Vater gegründete VDP-Weingut Heitlinger in Nordbaden. Er teilt die Käufer in Typgruppen ein: Junge Leute mit guter Ausbildung als Quereinsteiger sind eine davon. „Die sind gut und zäh, unterschätzen aber oft den Zeitaufwand, wenn sie alles selbst machen.“ Der typische Investor dagegen will schnell Geld verdienen, zweimal im Jahr vorbeikommen und vor Freunden ein bisschen angeben. „Der fällt damit unter den Tisch“, sagt der Gutsmakler.

Der auf Weingutsübernahmen spezialisierte Berater hat mit Weingütern alle Hochs und Tiefs bis in Millionenhöhe erlebt und begleitet. Er weiß daher genau, wovon er spricht, wenn er Interessenten berät. „Geld, Persönlichkeit, Kompetenz und Kontinuität“ – das sind für ihn die wichtigsten Voraussetzungen. „Ich hatte schon Millionäre als Interessenten, deren teuerster Wein in ihrem Keller fünf Euro pro Flasche kostete.“ Von zehn Interessenten schaffen es höchstens zwei, mit ihrem Weingut erfolgreich zu werden, betont er. Unternehmer, die ihre Finanzen fest im Blick und einen Zeithorizont von zehn Jahren haben, seien eher die Richtigen.

 

Den Mut haben, ein Weingut neu zu erfinden

Der „Romantiker“ dagegen träume von einem Leben in pittoresken Weinbergen. „Meistens ist das ein sehr emotionaler Mann in der Midlife Crisis.“ Im besten Fall gehöre er in die Kategorie „Lifestyle-Weininvestor“: „Die erzählen mir, dass sie in irgendeinem Vorstand arbeiten und die Kapitalbildung ihres Lebens abgeschlossen haben. Sie fliegen 200.000 Kilometer im Jahr, haben die ersten Herzprobleme und vergessen den siebten Geburtstag ihrer Tochter.“ Etwas überraschend: Genau sie haben für ihn gute Chancen auf Erfolg. „Die wissen, dass sie ihre italienischen Designerschuhe gegen Gummistiefel tauschen – und die wollen das auch.“

Weiter gäbe es noch die „Bewahrer“, die bewusst nach einem Standort für Premium-Weine suchen. Das historische Weingut darf dabei sanierungsbedürftig sein: „Die wollen in der Region sofort der Beste sein, aber es gibt dort ja schon mindestens einen.“ Doch „mit viel Geld“ könnten auch die es schaffen. Dafür wartet vielleicht großer Ruhm auf sie.

Vorher kommt nach Heitlingers Erfahrung aber auch bei diesen Investoren die Ernüchterung: „Ein verfallenes Weingut mit ungepflegten Weinbergen und überalterten Maschinen lohnt sich nicht.” Da müssen mindestens 50 Prozent Eigenkapital her. „Selbst wenn der Betrieb eine Million wert sein sollte, akzeptiert die Bank nur die Hälfte auf der Habenseite.“ Danach folgen auch noch ein paar komplizierte Vereinbarungen beim Notar.

Nach Heitlingers Einschätzung gebe es trotzdem derzeit gute Chancen für den ganz großen Wurf für Quereinsteiger. Derzeit sind die Preise für Weinberge – besonders Steillagen – sehr günstig, weil viele ältere Winzer ohne Nachfolger aufhören. Dort könnten mutige Investoren preiswert sehr gute Lagen kaufen und mit dem richtigen Einsatz Spitzenweine produzieren. Für den Weingutsmakler fehlt dabei aber noch eins: „Dazu muss man den Mut haben, den Betrieb mit der richtigen Geschichte neu zu erfinden, die Story gut kommu​nizieren und 50 Euro pro Flasche verlangen."

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