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„Dry January“ kommt für viele Weinfreunde gar nicht in Frage. Andererseits stehen so viele alkoholfreie Alternativen wie noch nie in den Regalen. Der Januar ist daher ein guter Zeitpunkt, um ein paar zu testen. Matthias Stelzig hat's gewagt.

Das spanische Weingut Torres gehört zu den Veteranen des alkoholfreien Weins. Deshalb beginnen wir den Test mit seinem bereits seit einigen Jahren erhältlichen „Natureo“ Rosado, einer zart rosafarbenen Cuvée aus Syrah und Cabernet Sauvignon. Nach der Gärung wird ihr der Alkohol mit einer Schleuderkegelkolonne (“Spinning Cone Column”) entzogen, die den Wein mit Zentrifugalkraft in seine Bestandteile wie Alkohol, Wasser und Zucker zerlegt. Der „Natureo“ schmeckt ein bisschen nach Cranberry, Erdbeeren und rosa Grapefruit. Wer es gern knackig, frisch und fruchtig mag, ist hier gut aufgehoben. Mehr aber auch nicht. Er schmeckt durchaus balanciert, aber in etwa wie ein deutscher Kabinettwein in den 1980er-Jahren mit Restsüße, nur ohne Alkohol.

Ein anderes Konzept verfolgt Johannes Leitz im Rheingau. Auf seinen Spitzenlagen um Rüdesheim steht zu 99 Prozent Riesling. Der „Eins Zwei Zero“ aus dieser Sorte siedet durch den Unterdruck bei der Vakuum-Destillation schon bei 29°C. So wird der Wein nicht noch durch Kollateralschäden beim Erhitzen beeinträchtigt. Er duftet nach Zitronen und Zitrusfrüchten, am Gaumen schmeckt man viel Apfel und Säurereiches wie Rhabarber. Das alles passt zum Riesling. Mit etwas gutem Willen bietet er sogar eine gewisse Mineralität. Aber er ist leicht süß, wie fast jeder alkoholfreie Wein. Der Geschmack ist vom Zucker geprägt, in diesem Fall sind es immerhin 38 Gramm – und das sorgt gleich für ein paar Extra-Kalorien. „Da fehlen eben neun bis zehn Prozent Alkohol“, bringt es Nicole Klauß auf den Punkt. Die Autorin von „Alkoholfrei“, dem bislang umfangreichsten Nachschlagewerk zum Thema (AT-Verlag, 336 S., 36 Euro), hat sich tief in die Technik eingearbeitet und kennt die Probleme: „Entalkoholisierte Wein lassen sich nur in größeren Mengen und mit aufwändigen Verfahren herstellen.“ Fehlschläge bei der Entwicklung seien kaum zu vermeiden und für kleine Winzer schmerzhaft teuer: „Schon die falsche Technik kann einen guten Wein ruinieren“, betont sie.

 

Dieser sprudelnde Tee aus Großbritannien passt gut zu Fisch, Käse und Schinken

Real Brewing

Sparkling English Rose und japanische Pilzkulturen

Denn neben dem Alkohol werden bei der Prozedur wichtige Geschmacks- und Strukturkomponenten entfernt. Klassische Weinfans winken daher oft ab – sie sind allerdings meist auch gar nicht die Zielgruppe der Produzenten.

Statistiken zum Thema finden sich bislang nur wenige. Aber es ist vor allem ein meist junges, urban geprägtes Hipster-Milieu, das auf alkoholfreie Weine anspricht, eher Generation Z als Baby Boomer. Beides ist nicht überraschend. „Ich hatte mal ein Tasting zum Thema, da waren drei Leute, die noch nie Wein getrunken hatten“, erinnert sich Klauß. Das lässt tief blicken. Wer also nur nach einem Ersatz für seinen Wein sucht und das Angebot daran misst, wird ihn kaum finden.

Daher bieten sich längst Alternativen an, die gar nicht erst auf alkoholischen Getränken basieren. So sind Weinfans beim Vergleich mit dem Original auch nicht enttäuscht. Tee etwa hat den Heimvorteil, dass er von Natur aus Tannine enthält. Das gibt Struktur und passt zum Essen. Außerdem hat er Terroir-Noten und verschiedene Ausbauarten, was laut Nicole Klauß den Weinfreunden sehr entgegenkommt: „Ins Thema Tee kann man ebenso nerdig eintauchen.“

 

Mit Kombucha fermentiert: Der Sparkling English Rose ist eine fruchtige Cuvée aus grünem und schwarzem Tee.

LA Brewery

Der „Royal Flush Sparkling“ des britischen Herstellers Real Brewing etwa wird aus Darjeeling hergestellt. Der First Flush, also der erste Abzug des Tees, steht für feine, blumige Aromen. Hier verspricht der Hersteller, in einem „natürlichen Fermentationsprozess" würden Bakterien den Zucker mit Hefe unter anderem zu Kohlensäure fermentieren, die das Prickeln in die Flasche bringt. In der Nase nehme ich rotschalige Äpfel wahr, Cassis, reife Pflaumen. Die Perlage ist mild, und im Mund registriere ich leicht rauchiges Tannin. Das schmeckt durchaus. Beim Testessen macht der „Royal Flush“ eine gute Figur zu geräuchertem Fisch, zu Käse und Schinken.

In vielen Tees erledigt der japanische Pilz Kombucha die Fermentation. „Sparkling English Rose“ von LA Brewery aus Suffolk etwa ist eine Cuvée aus grünem und schwarzem Tee, die sehr fruchtig nach Limone, Pfirsich und Melone schmeckt. Eine Infusion mit Bio-Rosenblättern lässt zudem Aromen von Holunderblüten, Rosen und exotischen Blüten entfalten.

In diese Richtung hat auch der deutsche Fruchtsaft-Produzent van Nahmen aus Hamminkeln (Niederrhein) sein Portfolio erweitert. Er erzeugt alkoholfreie Schaumweine aus der Kombination von Fruchtsaft, Kohlensäure und ergänzenden Teesorten, die im Cold-Brew-Verfahren produziert werden. Dadurch erhalten die schäumenden Getränke nur sehr wenig Restzucker und bieten interessante Aromenkombinationen, die sich gut zum Food-Pairing eignen.

 

Schlummertrunk mit Chilinote

Sogar Spirituosen-Varianten stehen immer öfter in den Alkoholfrei-Regalen. Da müssen sich die Hersteller einiges einfallen lassen, um die Verbindung zum Original herzustellen. Der auch in Deutschland erhältliche „Nightcap“ von Three Spirit etwa firmiert als „functional spirit alternative“ und „non-alcoholic elixir“. Das Versprechen „created by bartenders and plant scientists to lift moods and move spirits“ hilft zur Erklärung des Konzepts allerdings wenig weiter.

Auf der Website heißt es, die Mischung enthalte Ahornsirup, Schlafbeere – für die Ayurveda-Fans so schwärmen –, weiße Weidenrinde, Vanille und Baldrian. Man erfährt weiter, dass ein Tannin-Aufguss, verschiedene Konservierungsmittel und 12,7 Prozent Zucker enthalten sind – und Schwangere vor dem Genuss besser einen Arzt fragen. Gut gekühlt eingeschenkt, steigen Aromen von Zedern, Jod und fermentierten Früchten in die Nase. Am Gaumen folgen medizinale Töne, Tabak, saure Früchte und ein öliges Mundgefühl. Er hat Körper und eine pikante Chilinote, die schon richtig auf der Zunge piekst. „Ingwer und Chili wirken physisch“, weiß Nicole Klauß. Der Wirkstoff Capsaicin reizt die Schmerzrezeptoren der Schleimhäute, erklärt sie den Trick der Produzenten.

Diese Aromenfülle macht sich bestens in Mixgetränken, klassisch mit Tonic oder als Ersatz für Scotch Whisky in Cocktails. Pur getrunken erinnert der „Nightcap” mit Phantasie an Bowmore- oder Macallan-Whisky, auch wenn er sie sicher nicht ersetzt. Durch die Schärfe im Abgang mollig warm, ist er genau richtig für die Jahreszeit und taugt tatsächlich als alkoholfreier Digestiv.

 

Dieser Gin ist ohne Destillation entstanden und schmeckt nach Zitrone, Wacholder und feiner Chilinote.

Sipsmith

Gin ohne Spirit

Eine vielleicht extreme Erscheinung in der Szene ist alkoholfreier Gin – wenn man kurz darüber nachdenkt. Für Gin werden Aromastoffe der Botanicals mit neutralem Alkohol ausgelaugt, der dann mit Wasser auf Trinkstärke verdünnt wird. Am Ende schmeckt er nach diesen Aromen – und viel Alkohol. Ist es aber noch Gin, wenn dem Getränk mindestens 50 Prozent seines Charakters entzogen werden?

Vielleicht deshalb steht auf dem stylischen Etikett der typischen Zylinderflasche von Sipsmiths „FreeGlider“ auch „non-alcoholic spirit“ und nicht „Gin“. In der Destillerie in West-London können Gäste die romantischen Kupferbrennblasen besichtigen, das Personal gibt gern Auskunft über mehr als 100 Zutaten und das gute Wasser, das aus einer nicht näher bezeichneten Quelle der Themse in den auch im deutschen Fachhandel gelegentlich erhältlichen „FreeGlider“ fließen soll.

Zum Verfahren der Dealkoholisierung erfährt man allerdings gar nichts. Auf Nachfrage mailt die Pressesprecherin, dass es „189 Durchläufe“ gebraucht habe, um den richtigen Geschmack zu treffen, aber „wir verraten nicht allzu viel über den Herstellungsprozess“. Sie deutet allerdings an, dass der „FreeGlider“ gar nicht destilliert wird. Er wäre damit also nicht nur kein Gin, sondern auch nie eine Spirituose gewesen, wie es auf dem Etikett steht. „Für viele dieser Drinks“, erklärt Nicole Klauß, „mazerieren die Produzenten ihre Botanicals einfach in Wasser, das weniger Aromen entfalten lässt und die Herstellung am Ende teurer macht.“ Außerdem klingt es nicht so gut. „Viele Hersteller verstecken diese fürs Marketing unattraktiven Arbeitsschritte hinter Phrasen wie 'magic moment'“, erklärt die Buchautorin.

Da kann man nur noch zur Flasche greifen: Viel Zitrone, Wacholder, Seifenduft und eine feine Chilinote im Nachhall. Durchaus komplex. Aber am Gaumen fehlt der Druck. Es fehlt nicht nur der Alkohol, der auf der Zunge anschlägt – auch seine Funktion als Aromen-Booster fällt weg. „Die alkoholfreien Gins werden gezielt für Gin-Tonic konzipiert“, winkt die Fachfrau ab. Also nehmen wir Fever Tree-Tonic mit viel Basilikum-Aroma, das den „FreeGlider“ deutlich aufpeppt. Der Drink oszilliert sehr angenehm zwischen Schärfe und Süße. Nun bemerke ich den fehlenden Alkohol nicht mehr so deutlich. Gin ist der Inbegriff eines ziemlich alkoholischen Drinks – und im Test ist er die größte Überraschung: Denn er schmeckt. So könnte man geschmackvoll in einen netten Abend ohne Alkohol einsteigen.

 

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