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Viele Weinfreunde fragen sich, was es Weingüter tatsächlich kostet, eine Flasche Wein herzustellen. Tatsächlich ist es überraschend wenig - aber deutlich mehr, als beim Discounter auf den Preisschildern steht. Matthias Stelzig hat's für uns nachgerechnet.

Viele Konsumenten sind auf der Suche nach einem ordentlichen Alltagswein. Er sollte möglichst von einem Winzer kommen, der als Person hinter seinem Wein steht. Nennen wir ihn Bernie Bodenständig. Die Lagen seines 15 Hektar großen Familienbetriebs sind nicht allzu steil, das spart ihm Zeit in der Bewirtschaftung. Klima und Boden passen.

Mit einem Vollernter betragen die Erntekosten ein Drittel der Handlese

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Arbeitsstunden im Weinberg

Für Arbeiten wie den Rückschnitt im Winter, Pflanzenschutz und Laub-Management bis zur Handernte mit fleißigen Helfern fallen rund 500 Arbeitsstunden pro Jahrgang an. Das ist nicht zu viel – vor allem nicht, seit 2022 der Mindestlohn in Deutschland um 30 Prozent von 9,82 Euro auf 12,82 Euro gestiegen ist.

Die 5.000 Kilo Trauben pro Hektar werden von Hand gelesen, Ehrensache. Trotzdem kommen Maschinen wie Schlepper zum Einsatz – mit entsprechenden Unterhaltskosten. Nach der Ernte sind so rund 150.000 Euro Kosten für 750 Hektoliter oder 100.000 Flaschen verschiedener Kategorien zusammengekommen. Umgerechnet auf den Alltagswein sind das 2,14 Euro pro Flasche.

 

Was kostet die Kellerarbeit?

Jetzt wartet auf den Winzer aber jede Menge Arbeit im Keller: Abladen der TTrauben Pressen, Vorklären, Gärung kontrollieren. Dazu der alltägliche Kleinkram: Weinbuch führen, Tanks reinigen, Proben für Laboranalysen füllen, Schwefeln, alles für die Füllung vorbereiten. Das hält Bernie auf Trab und kostet ihn zusätzlich rund 40 Cent pro Flasche. Die zugesetzten Schönungsmittel kosten auch noch etwa neun Cent. Macht zusammen 2,63 Euro. Das wäre es mit den Kosten, der Wein ist jetzt ja fertig. Oder? Nein, nicht ganz.

 

Für die Abfüllung muss man mit 23 Cent pro Flasche kalkulieren

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Maschinen-, Investitions- und Erhaltungskosten

Der Keller muss aber erst mit den richtigen Maschinen bestückt sein, damit Bernie vernünftig arbeiten kann. Fässer, Tanks, Pumpen, Schläuche und anderes kosten mindestens eine halbe Million Euro. Allein für eine gute Presse muss er mehrere zehntausend Euro zahlen. Das macht umgerechnet 18.700 Euro pro Jahr oder neun Cent pro Flasche. Für die Tanklagerung kommen weitere neun Cent hinzu.

Selbst wenn das Weingut seit Generationen in Familienbesitz ist, fallen Kosten wie Steuern, Reparaturen und Renovierungen an, im Schnitt 63.400 Euro im Jahr oder 32 Cent je Flasche. Im Weinberg müssen immer wieder einzelne Rebstöcke oder ganze Flächen nachgepflanzt werden. Mit gepachteten Flächen spart der Winzer zwar den Kredit, muss aber die Pacht bezahlen.

 

Der Wein muss in die Flasche

Für die Füllung brauchen Weingüter eine komplex funktionierende, große Maschine. Sogenannte Lohnabfüller haben sie auf ihren LKW montiert und kommen damit in den Betrieb. Das macht pro Flasche weitere 23 Cent - egal, ob man den Kredit für die Füllmaschine abstottert oder den Vorgang vom Dienstleister erledigen lässt.

 

Und hübsch aussehen soll er auch

Bei der Verpackung sucht Bernie wieder das gute Mittelmaß. Ein bisschen trinkt das Auge ja mit. Die hübsche Flasche kostet 88 Cent, der Korken 60 Cent, die Kapsel sieben Cent, das Etikett 22 Cent, der Versandkarton anteilig neun Cent. Macht mit ein paar weiteren Kleinigkeiten zusammen 2,19 Euro für die Verpackung.

 

Barriques kosten ab 750 Euro aufwärts

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Preissteigerungen machen Winzern das Leben schwer

So weit die Theorie. Doch für viele Betriebe sieht die Realität inzwischen anders aus. „Seit Corona und Ukraine-Krieg sind Energie- und Rohstoffpreise in die Höhe geschossen“, erklärt Dr. Jürgen Oberhofer vom Institut für Weinbau und Oenologie im pfälzischen Neustadt an der Weinstraße, „in Einzelfällen bis zu 100 Prozent“. Das reicht von Düngemitteln bis zum Agrar-Diesel. Als die Glashütten in der Ukraine nach dem russischen Angriff plötzlich nicht mehr liefern konnten, sprang die Konkurrenz ein - und machte damit richtig Umsatz. „Eine verlässliche Kostenkalkulation ist im Moment kaum möglich“, räumt Oberhofer ein, „wir müssen die Daten grundsätzlich neu erheben.“ Er hat aber eine Kostenaufstellung in Tabellenform mit aktuellen Daten ausgearbeitet und zur Verfügung gestellt. Experten gehen von einer allgemeinen Preissteigerungsrate von rund 30 Prozent seit 2019 aus.

 

Wie kommt der Wein zu den Kunden?

Jetzt fehlen nur noch: die Kunden. Bernie braucht ein Logo, Etiketten-Design und eine gut gemachte Website mit Online-Shop. Das ist heute der minimale Auftritt eines Winzers. Um Abnehmer wie Gastronomen und Händler zu finden, muss er Stände auf Messen buchen, Kunden und vielleicht auch Journalisten zu Verkostungen einladen.

Das alles liegt ihm als Weinbauern gar nicht. Es muss aber sein und ist nicht billig: 33.000 Euro kommen damit im Jahr zusammen. Das ist bitter für Bernie, der das ganze Jahr über jeden Cent umdreht. Zum Glück verteilt er die Kosten auf rund 100.000 Flaschen, das sind zusätzliche 33 Cent pro Flasche. Ein kleinerer Betrieb mit nur fünf Hektar Weinbergen muss denselben Betrag auf ein Drittel der Flaschenzahl umlegen.

 

Händler, Versand oder lieber direkt?

Der Versand kostet grob etwa 80 Cent pro Flasche, was sich aber je nach Versender, Paketzahl und Vertrag deutlich unterscheiden kann. Das ist für Kunden fast immer billiger, als mit dem Auto zum Winzer zu fahren. Beim Händler ist es etwas teurer. Dafür kann man sich bei ihm im Vorfeld durchprobieren sowie von seiner Vorauswahl profitieren. Etwas günstiger geht es im Netz: keine Mietkosten, aber auch keine Verkostung. Die Direktvermarktung ist also nicht zu schlagen.

 

Handarbeit verteuert jeden Wein

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Was den teuren Wein ausmacht

Was darf ein Wein also maximal kosten? Für seinen Spätburgunder-Lagenwein investiert Bernie in Arbeiten wie grüne Ernte und mehr Laub-Management. So kommt er auf 670 Arbeitsstunden im Weinberg. Bei anderen Weingütern kommen da auch schon 1.000 Stunden zusammen. Bernie erntet bei diesem Wein nur 30 Hektoliter pro Hektar. Zudem macht Rotwein mehr Arbeit im Keller, unter anderem wegen des Biologischen Säureabbaus. Ein Barrique-Fass kostet zwischen 750 Euro und 1.000 Euro und wird meist dreimal benutzt. Umgerechnet sind das rund 1,20 Euro pro Flasche.

Dazu kommt die Wartezeit, die man kaufmännisch einrechnen muss: Ein Barolo etwa kommt erst nach über drei Jahren überhaupt in den Verkauf. Auch die feine Ausstattung kann viel Geld kosten. Eine edle Relief-Flasche kostet über einen Euro. Für Etiketten gibt es die feinsten Materialien und aufwändige Verfahren, vom Büttenpapier bis zur Metallic-Lackierung. Und ein guter, langer Korken kann deutlich mehr als einen Euro kosten. Aber Bernie hat Augenmaß. So kostet sein Top-Wein in der Herstellung 12,72 Euro. Damit liegt er immer noch im Rahmen.

 

Teurer geht immer

Warum aber kosten manche Flaschen 50 oder 200 Euro? „Hier übersteigen die Marketing-Kosten oft die Produktionskosten“, sagt Jürgen Oberhofer vorsichtig. Dinners in Luxus-Restaurants sind dazu angesagt, am besten rund um die Welt. Premium-Kunden sind keine Messebesucher. Mit schweren Flaschen, Flügen und Hotels kommt so ein hübscher CO2-Abdruck zusammen, aber auch in der Bilanz eine feine Marge.

Der Handel schlägt normalerweise 100 Prozent auf, der Zwischenhändler ebenfalls. Bis der Wein beispielsweise bei einem amerikanischen Kunden im Keller ist, hat sich der Nettopreis ab Hof schnell vervierfacht.

Besonders feine und begehrte Flaschen verkaufen sich allerdings oft ohne all das. Berühmte Crus wie Le Pin, Pétrus und Domaine de la Romanée-Conti sind so knapp verfügbar, dass sich der Preis hauptsächlich darüber definiert. Selbst wer die 15.000 Euro für einen „La Tâche“ hinlegen will, muss erst mal einen Händler kennen, der ihn ihm verkauft. Spekulanten setzen dabei auf saftige Preissteigerungen, was die Flaschen noch teurer macht.

 

Messen und Marketing gehören zu den größten Kostenfaktoren für ein Weingut.

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Billig kann die Existenz bedrohen

Allerdings kann Bernie auch billiger produzieren. Maschinen sparen viel Arbeitslohn. Höhere Erträge, zum Beispiel mit Sorten wie Müller-Thurgau oder Dornfelder, ergeben mehr Wein. Auch im Keller verzichtet er auf jeden Schnickschnack.

Eine einfache Literflasche, Etikett und billiger Korken kosten zusammen nur 80 Cent. Hier können schon Kleinigkeiten den Unterschied machen: Für jede Abfüllung braucht Bernie einen Tank. Je größer er ist, umso mehr kann er auf einmal abfüllen. Das kann die Kosten von neun auf 4,5 Cent pro Flasche senken.

Am Ende bekommt der Kunde seinen Einstiegswein für gut fünf Euro. „Alles, was darunter liegt, ist nicht kostendeckend“, warnt Monika Reule, Geschäftsführerin des Deutschen Weininstituts (DWI). Trotzdem passiert es. Viele Winzer vergessen Fixkosten wie Verkaufsräume, Proben und vor allem den Zeitaufwand beim Ab-Hof-Verkauf. „Die Kunden haben immer mehr Informationsbedürfnis und kaufen durchschnittlich immer weniger“, hat auch Kostenexperte Oberhofer herausgefunden. Das müsse der Winzer einkalkulieren. „Im Durchschnitt rechnen die Betriebe laut Agrarbericht nur mit 26,6 Prozent Fixkosten“, so Oberhofer, „doch es müssten 30 Prozent sein“.

 

Ganz billig für die Discounter

Trotzdem findet man im Discounter unzählige Flaschen für unter fünf Euro. Solche Weine werden in Millionenauflagen hochautomatisiert produziert. Bevorzugt kommen sie aus Regionen mit weiten Ebenen, warmem, trockenem Klima und niedrigen Löhnen. Allein mit dem Vollernter kostet die Ernte nur ein Drittel. Statt Barriques nimmt man Holzlatten oder einfach Chips für zwei bis drei Cent pro Flasche. Als Pulver kostet das Aroma fast nichts. Es gibt endlose Tricks und Präparate, die einen traurigen Tropfen besser aussehen lassen und seine Schwachstellen überdecken.

Dazu kommt, dass es auf dem Weltmarkt derzeit zu viel Wein gibt. Irgendwann verkauft jeder. Wenn es sein muss, mit Verlust. Die ganz billigen Weine schnappen Makler für nicht mehr als zehn Cent pro Liter, berichten Branchen-Insider. Auf vollautomatischen Abfüllstraßen fließen sie in Tetra-Packs, manchmal eine Million Liter am Tag. Manche kosten nur 99 Cent. Dafür kommt aber nur Wein für zehn Cent ins Glas. Mit diesem Umsatz wäre der Herzblut-Winzer Bernie Bodenständig nach einem Jahrgang pleite.

 

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