Als ihr Vater 2021 unerwartet starb, übernahm Federica Boffa Pio mit 23 Jahren das renommierte Familien-Weingut Pio Cesare im Piemont. Raffaella Usai hat mit ihr über die Zukunft des Barolo gesprochen.
Du bist mit 26 Jahren eine der jüngsten Winzerinnen der Welt in einer Leitungsposition. Wann war es für dich klar, dass du diesen Weg einschlagen würdest?
Federica Boffa Pio: Ich bin im Weinberg und im Keller groß geworden. In unserer Familie war es üblich, Geschäftspartner und Freunde zuhause zu empfangen, meine Eltern haben mich auch schon als Kind auf Reisen mitgenommen. Daher war die Weinwelt früh mein natürliches Umfeld. Dass ich am Ende so jung Verantwortung übernehmen musste, hätte ich mir so kurz nach dem BWL-Studium zwar nicht gewünscht. Aber ich hatte keine andere Wahl.
Als dein Vater im Jahr 2021 starb, warst du plötzlich verantwortlich für das Weingut. Wie hast du das geschafft?
Federica Boffa Pio: Ich habe bereits während des Studiums im Betrieb gearbeitet. Nicht in Vollzeit, aber ich konnte in alles reinschnuppern. Obwohl mein Vater eine sehr dominante Persönlichkeit war, hat er versucht, mir Raum zu geben. Manchmal hat er mich auch ins kalte Wasser geschmissen. Wenn er das zu Lebzeiten nicht getan hätte, wäre ich heute womöglich nicht in der Lage, das Unternehmen zu führen.
Was war sein wichtigster Ratschlag?
Federica Boffa Pio: Mein Vater hat mir immer geraten, bescheiden zu bleiben und meine Taten für mich sprechen zu lassen. Die Marke Pio Cesare war nie grell und laut, sondern stets von Understatement gekennzeichnet. Außerdem hat er mich gelehrt, nie Kompromisse bei der Qualität zu machen. Und diese Einstellung hat uns seit seinem Tod gerettet.
Inwiefern?
Federica Boffa Pio: Als ich das Weingut übernommen habe, waren nicht alle Kunden davon überzeugt, dass ich Pio Cesare**** im Sinne meines Vaters weiterführen werde. Auch viele Weinjournalisten waren skeptisch. Es gibt immer noch einige, die seit seinem Tod nicht mehr zu uns kommen, um zu verkosten. Am Anfang war es sehr hart. Aber wir haben gezeigt, dass wir die Tradition fortführen.
Wer ist wir?
Federica Boffa Pio: Meine Cousins Cesare und Augusto stehen mir zur Seite. Es gibt bei uns keinen Exportmanager oder Technischen Direktor, sondern die Familie bespricht alles gemeinsam. Am Ende bin ich es aber, die Entscheidungen trifft – und die Verantwortung dafür trägt. Wein lebt zwar vom Storytelling, ist aber hartes Business. Die Zahlen müssen stimmen und ich muss meine 30 Angestellten bezahlen. Dafür bin ich fast 200 Tage im Jahr unterwegs.
Pio Cesare steht vor allem für Barolo und Barbaresco. Kann man in diesen Appellationen noch investieren?
Federica Boffa Pio: Die Hektarpreise sind in den vergangenen Jahrzehnten mit der Nachfrage und dem Erfolg der Weine gestiegen. Doch in den vergangenen zehn Jahren sind sie regelrecht explodiert. 2014 haben wir zehn Hektar Weinberge in Monforte d’Alba gekauft. Damals lag der Hektarpreis bei rund einer Million Euro. Heute, zehn Jahre später, sind die Preise auf bis zu drei Millionen Euro pro Hektar gestiegen. Es gibt auch kaum noch Flächen zu kaufen.
Woran liegt das?
Federica Boffa Pio: Irgendwann hatten alle verstanden, dass man mit Barolo gutes Geld machen kann. Also wurde spekuliert und der Preis in die Höhe getrieben. Das Konsortium und die Region regeln aber ganz genau, um wieviel Hektar die Appellation Barolo pro Jahr wachsen darf. 2024 waren es maximal 22 Hektar. Die Behörden kontrollieren sehr streng, ob die Weinberge die Anforderungen erfüllen.
Es hat in diesem Jahr untypisch viel geregnet im Piemont. Doch in den vergangenen Jahren hat die Region unter Dürre gelitten. Besteht das Risiko, dass die Langhe durch den Klimawandel Weinberge verlieren?
Federica Boffa Pio: Es ist durchaus möglich. Die fehlenden Niederschläge sind aber nicht allein dafür verantwortlich. Das Klima hat sich in den vergangenen 50 Jahren extrem verändert, wie überall ist es sehr unbeständig und wärmer geworden. Es schneit im Winter kaum noch, die Sommer sind heißer. Das große Problem ist, dass wir das Wasser nicht speichern können, es fehlen Stauseen und Wasserauffangsysteme. Zudem erlauben es die Produktionsregeln nicht, die Weinberge zu bewässern.
Wird im Barolo-Konsortium über eine Lockerung des Bewässerungsverbots diskutiert?
Federica Boffa Pio: Im Konsortium wird generell viel diskutiert, aber die wahren Probleme, die den Klimawandel betreffen, werden vernachlässigt. Es fehlt an einer gemeinsamen Vision für die Zukunft.
Was wären wichtige Themen für dich?
Federica Boffa Pio: Wenn wir nichts verändern, stellt sich die Frage, ob wir in mittelfristiger Zukunft aufgrund des Wassermangels überhaupt noch Barolo erzeugen können. Jahrelang ging es darum, die Appellation Barolo um die nach Norden ausgerichteten Weinberge zu erweitern. Für mich ist dies der falsche Ansatz, denn diese Lagen sind zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht geeignet. Nebbiolo braucht viel Sonne. Auch das Risiko von Spätfrösten ist zu groß. Und am Ende wurde der Antrag von der Mitgliederversammlung im Frühjahr auch abgelehnt.
Was schlägst du als Alternative vor?
Federica Boffa Pio: Wir setzen auf höhere Lagen. Vor rund fünf Jahren haben wir acht Hektar in der Alta Langa gekauft, auf rund 580 Meter über dem Meer. Dort experimentieren wir mit Nebbiolo in kühlerem Terroir, denn unsere höchsten Lagen im Barolo-Anbaugebiet liegen auf rund 400 Metern. Unsere Hoffnung ist es, die Trauben aus den hohen Weinbergen irgendwann in unseren Barolo mit einfließen zu lassen, um ihm mehr Frische und Eleganz zu verleihen. Dafür müssten allerdings die Produktionsregeln geändert werden. Derzeit fließen die Trauben in unseren Langhe Nebbiolo.
Wie unterscheiden sich diese Lagen von denen im Barolo-Gebiet?
Federica Boffa Pio: Der Vegetationszyklus beginnt rund zwei Wochen später und auch die Weinlese verschiebt sich entsprechend. Die Säurewerte der Weine sind höher und die Tannine knackiger.
Haben sich eure Weine in den vergangenen Jahren verändert?
Federica Boffa Pio: Ja, sie haben aufgrund der höheren Alkoholgrade etwas an Frische verloren. Daher haben wir seit einigen Jahren den Holzausbau unserer Rotweine verkürzt und geben ihnen dafür mehr Flaschenreife. Dies ist vor allem dem Klimawandel geschuldet: Die Trauben sind immer konzentrierter und reifer, wenn wir sie ernten. Die Weine benötigen weniger Zeit im Holz und sind in der Regel schneller zugänglich.
Der neue Präsident des Barolo-Konsortiums, Sergio Germano, ist auch Mitglied der Gruppe „Gli Svitati“, die sich für Schraubverschlüsse bei Spitzenweinen einsetzt. Muss Barolo für dich einen Naturkorken haben?
Federica Boffa Pio: Da gibt es wirklich andere Probleme, die wichtiger sind. Meiner Meinung sollte jeder Winzer den Verschluss wählen dürfen, den er für angemessen hält.
Wenn du für einen Tag die „Königin des Barolo“ wärst, welche Entscheidungen würdest du treffen?
Federica Boffa Pio: Wie bereits erwähnt, würde ich den Winzern die Chance geben, Trauben aus höher gelegenen Weinbergen zu verwenden. Ich würde außerdem Bewässerungssysteme erlauben – zumindest in den Weinbergen, die stark unter der Trockenheit leiden und dafür sorgen, dass genügend Wasserreserven zur Verfügung stehen. In unserer Region gibt es zu viele verwahrloste Wälder, deren Besitzer sich nicht kümmern. Ich würde sie dazu verpflichten, sie besser zu pflegen, denn sie bringen für die angrenzenden Weinberge erhebliche Pflanzenschutzprobleme. Aber im neu gewählten Verwaltungsrat sitzen viele junge Winzerinnen und Winzer und ich habe die Hoffnung, dass meine Generation die Probleme schnell anpackt. Uns bleibt nicht viel Zeit.
Federica Boffa Pio musste nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters 2021 die Leitung des renommierten Weinguts Pio Cesare übernehmen. Damals war sie 23 Jahre alt, das Diplom der Wirtschaftswissenschaften der Uni Turin gerade in der Tasche. Mit Zielstrebigkeit führt sie seitdem die Tradition ihrer Vorfahren fort. Der international für Barolo und Barbaresco geschätzte Betrieb mit Sitz in Alba gehört zu den ältesten im Piemont. Federicas Ur-Urgroßvater Cesare Pio gründete die Kellerei 1881 und setzte früh auf Qualität und Export. Heute umfasst das Weingut rund 80 Hektar in einigen der besten Lagen der Langhe und erzeugt 500.000 Flaschen. 2018 kaufte die Familie Land in den Colli Tortonesi und pflanzte dort die autochthone Sorte Timorasso. 2023 wurde der erste Jahrgang vinifiziert, voraussichtlich kommt der Wein mit dem 2023er Barolo in den Handel.