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Solarstrom aus dem Weinberg soll Klima- und Rebenschutz verbinden. Prof. Manfred Stoll von der Hochschule Geisenheim leitet das Forschungsprojekt Vitivoltaic. Mit Alexander Lupersböck hat er über die Bewirtschaftung der Zukunft gesprochen.

Dreh- und klappbare Solarmodule über den Reben bieten viele Vorteile.

HS Geisenheim Philipp Stieffenhoffer

Worum geht es beim Projekt Vitivoltaic?

Stoll: Unten stehen Reben, darüber installiert man eine Photovoltaik (PV)-Anlage. Ich nenne es gerne „Zurück in die Zukunft“. Das Zurück ergibt sich aus der Beschattung der Reben: Es wird wieder kühler im Weinberg, die Zukunft aus dem immer höheren Energiebedarf. Oben Strom, unten Reben, also doppelte Flächennutzung. Zudem können elektrisch betriebene Arbeitsgeräte direkt im Weinberg wieder geladen werden – das ist das Konzept von Vitivoltaic.

Was sind die konkreten Vorteile für Winzer?

Stoll: Ein Weinberg ist die prädestinierte landwirtschaftliche Nutzfläche für Agri-PV. Dort gibt es bereits Stützmaterial wie Pfähle und Drähte. Und die Reben leiden immer mehr unter Hitze, Trockenheit, aber auch Spätfrösten. Gegen das alles können die PV-Module darüber helfen.

Wie genau?

Stoll: Über einer bestehenden Rebanlage lassen sich PV-Module dreh- und klappbar auf aufgeständert montieren. Wenn die Sonne voll drauf scheint, klappt man die Module auf, produziert Strom und beschattet das Laub und die Trauben. Das kann man entweder energieoptimierend machen, dann wandern die Module mit der Sonne mit. Oder man benutzt einen Algorithmus, der für den Standort optimiert ist. Damit lassen sich bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit die Module zwischen den Reben kurz wegklappen und sozusagen stoßlüften. Sobald die Luftfeuchtigkeit wieder im gewünschten Bereich ist, klappen die Module wieder aus und erzeugen Strom.

Wie helfen Solarzellen gegen Trockenheit?

Stoll: Bei Trockenheit können die Module die Verdunstung reduzieren und die Bodenfeuchtigkeit erhöhen. Bei Niederschlägen führen sie das Wasser einer größeren Fläche über eine Tropfkante ab und erhöhen dadurch die Eindringtiefe des Wassers in den Boden. Da sich die Module drehen, haben sie nicht immer die gleiche Abtropfkante. Im Idealfall leiten sie das Wasser über eine Regenrinne ab in eine Zisterne. Das verwenden wir zum Bewässern. Wir installieren derzeit eine Anlage in Geisenheim.

Wie kann Agri-PV bei Spätfrösten helfen?

Stoll: Ende April 2024, kurz nach dem Austrieb, hatten wir Frost. In unserer PV-Anlage sind Heizdrähte eingebaut. Tagsüber wurde Strom erzeugt und in Batterien gespeichert. Damit konnten wir die Heizdrähte und die nähere Umgebung der Fruchtruten erwärmen. Dazu kommt der physikalische Schutz durch die Anlage selbst. So wie es tagsüber darunter kühler unter den Paneelen ist, wird es nachts bis zu einem Grad Celsius wärmer. Wir klappen sie auf, um die erwärmte Luft unten zu halten. Das hat uns in diesem Jahr gerettet. Allerdings funktioniert das nur bis zu gewissen Minustemperaturen.

Wie groß ist der Aufwand für Winzer?

Stoll: Der konstruktive Aufwand ist hoch. Man braucht eine gute Statik, um Wind- und Schneelasten standzuhalten. Die Aufständerung muss so hoch sein, dass man mit einem Traktor durchfahren kann. Die maximale Höhe unserer Anlage ist 5,50 Meter. Aber da die Paneele beweglich sind, reduziert sich die Durchfahrtshöhe auf 3,50 Meter. Dafür gibt sie uns alle Möglichkeiten für dezentrale Energieversorgung und kann bestandsoptimiert gesteuert werden. Es gibt aber auch eine einfachere Möglichkeit.

Wie sieht sie aus?

Stoll: Das sind mobile Anlagen. Sie lassen sich einfach auf die bestehenden Pfähle montieren. Die PV-Module können in der Nacht oder bei starkem Wind eingefahren werden wie eine Ziehharmonika. Das ist vor allem für Junganlagen interessant. Mit weniger konstruktivem Aufwand kann man also untersuchen, wie sich die Anlage auf die jungen Reben auswirkt. Nach zwei bis drei Jahren kann man sie abbauen und in einer anderen Lage wieder aufstellen. Das kann Neuanlagen wichtigen Schutz geben.

Die kleinere mobile Anlage VitiCULT-PVmobil schützt Junganlagen.

Manfred Stoll

Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Stoll: In den Hitzewellen des Jahres 2024 zeigte sich, dass es unter der PV drei bis vier Grad Celsius kühler war. Sie verhindert direkte Sonneneinstrahlung, und das wirkt sich auf die Traubenentwicklung und die Beereninhaltsstoffe aus. Die Einlagerung von Zucker geht langsamer. Im Jahr 2024 haben wir eine Reifeverzögerung von ein bis zwei Wochen. Gleichzeitig erreichen wir eine höhere Säurekonzentration. Wir können also den Wein mit geringeren Zucker- und höheren Säurewerten lesen. Vor allem für aromatische Sorten wie Riesling bringt das Vorteile. Und die Trauben bekommen keinen Sonnenbrand und bleiben länger gesund. In der Kontrollfläche, die gleich daneben liegt – mit gleichem Pflanzmaterial, der gleichen Bearbeitung und dem gleichen Alter – sehen wir hingegen Schäden.

Gibt es einen Unterschied in den Erträgen?

Stoll: Das können wir derzeit nicht beziffern, dafür ist der Versuch noch zu jung. Aber: Die Trauben, die darunter hängen, sind lockerbeerig und gesund. Da gibt es einen Unterschied zu den Vergleichsflächen.

Gibt es schon Weingüter, die Viti-PV anwenden?

Stoll: Es gibt in Deutschland drei Anlagen. Eine am Weinbauinstitut in Freiburg, eine in Ihringen am Blankenhornsberg, eine in Geisenheim. Unsere ist die älteste. Wir haben auch schon den ersten Wein in kleiner Menge aus dieser Anlage produziert.

Können Sie Angaben zu den Kosten machen?

Stoll: Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Unsere Anlage ist für verschiedene Forschungsfragen konzipiert. Wir testen auch emissionsfreie autonome Fahrzeuge im Weinberg, die sich selbstständig laden. Wir untersuchen, wie sich der Pflanzenschutz verändert und viele andere Aspekte. Unsere Anlage ist mit Sensoren gespickt, sie ist sozusagen der Rolls-Royce unter den Viti-PV-Anlagen, weil sie fast alles können muss. Ein Winzer muss nicht so viele Bereiche mit seiner Anlage abdecken, da geht es sicher günstiger. Und: Jeder Weinberg braucht eine individuelle Lösung. Aber die kleinere mobile Anlage VitiCULT-PVmobil bietet ja auch Möglichkeiten.

Thema Landschaftsbild: Gab es schon Beschwerden?

Stoll: Die Bauhöhe kann man sich nicht aus der Landschaft wegdenken. Aus der Ferne sieht so eine Anlage aus wie ein geschlossenes Gebäude. Je näher man kommt, sieht man, wie luftig und licht das tatsächlich ist. Unsere knappste Ressource ist die Akzeptanz selbst. Niemand möchte das im Vorgarten haben, aber wir brauchen für eine Energiewende neue Lösungswege und müssen Kompromisse finden. Ich denke nicht, dass im Weinbau Großinvestoren großflächig Agri-PV ausbauen werden. Denn der Weinbau bei uns ist aufgrund seiner Betriebsgröße und Struktur zu kleinteilig. Fast jede Parzelle hat einen anderen Zeilenabstand, andere Rebsorten. Das sind Variationen, die individuelle Lösungen brauchen. Jede Sorte hat andere Anforderungen. Daher sind das Insellösungen. Aber: Sie bringen den Strom dorthin, wo wir ihn brauchen würden, hätten wir neue Formen der Bewirtschaftung.

Wie sollte diese Bewirtschaftung aussehen?

Stoll: Gewisse monotone Tätigkeiten wie Pflanzenschutz oder Mähen kann man von autonomen, elektrisch betriebenen Fahrzeugen erledigen lassen, die sich selbsttätig im Weinberg aufladen. Das gibt dem Winzer mehr Zeit, um sich auf wirklich wichtige Details zu konzentrieren. Er kann die Reben persönlich genauer beobachten. Das blieb durch die Effizienzsteigerung und Mechanisierung, die aber immer den Menschen zum Steuern brauchte, etwas auf der Strecke. In einer Traktorkabine hört man weder die Vögel zwitschern, noch den Draht, der sich verhakt, noch sieht man kleine Unterschiede im Gesundheitszustand. Die Fahrzeuge ohne Fahrer sind trotz der Batterien um einen Faktor drei bis vier leichter als herkömmliche Traktoren. Auch Arbeitsschutz ist ein Thema, denken Sie an Spritzmittel. Und der Winzer kann wieder mehr mit Weinberg, Mikroklima und Rebe interagieren.

Gibt es auch negative Aspekte?

Stoll: Der Teufel steckt im Detail. Die Glasmodule über der Laubwand absorbieren Strahlung im kurzwelligen Bereich. Eine Strahlung von 300-450 Nanometer kommt fast nicht mehr durch. Die ist aber wichtig, damit Blätter ihre Schutzpigmente und Beeren die Phenole bilden. Bei Riesling hat das nicht so viel Einfluss, aber bei anderen Sorten wie etwa Pinot Noir könnte sich das so auswirken, dass wir wieder reagieren müssten. Das müssen wir uns genauer ansehen.

Kann man das Geisenheimer Projekt besichtigen?

Stoll: Klar. Die Botschaft an die Praxis lautet: Kommt, seht es Euch an und erzählt uns Eure Gedanken! Meine Co-Projektleiterin Prof. Claudia Kammann, Doktorandin Lucia Garstka und ich freuen uns über Besuch. Je mehr wir uns austauschen, desto mehr Informationen können wir sammeln und das Projekt weiterentwickeln. Man kann sich viel in der Theorie ausrechnen, aber erst, wenn man so eine Anlage installiert hat, sieht man, wie sie wirklich funktioniert, wie sie sich auswirkt, wie die Akzeptanz zum Landschaftsschutz aussieht. Erst, wenn Sie im Sommer mal darunter arbeiten, merken Sie, wie angenehm das ist.

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