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Wer hip sein will, verzichtet auf Alkohol: „Cool sober drinking“ heißt der Trend. Die steigende Nachfrage nach alkoholfreiem Wein und Sekt beginnt die Weinszene zu verändern. Raffaella Usai berichtet über ein Thema, das längst im Mainstream angekommen ist.

Keine Tageszeitung, keine Illustrierte, kein Fachmagazin, das nicht in den ersten Januartagen über das Thema Alkoholverzicht berichtet hätte. Klar, dass nach den Feiertagen viele einen Gang zurückschalten, die Leber schonen, das Gewissen beruhigen wollen. Doch immer mehr Menschen verzichten nicht nur während des „Dry January“ auf Alkohol. Nein, das sogenannte „Mindful drinking“, die neue Nüchternheit, ist für viele zum selbsterklärten Lebensstil geworden.

„Das steigende Interesse am Dry January ist Ausdruck der Tatsache, dass cool sober drinking, also der bewusste alkoholfreie Genuss, immer mehr zum Thema für viele Konsumenten wird“, bestätigt auch Cathrin Duppel, Marketing-Verantwortliche bei Rotkäppchen-Mumm. Besonders in den Altersgruppen unter 40 Jahren seien laut dem GfK Haushaltspanel 2021 alkoholfreie oder entalkoholisierte Getränke oftmals die erste Wahl. Und spätestens als im vergangenen Sommer der Lieblings-Primitivo der Deutschen, der „Doppio Passo“, als „alkoholfreie“ Variante in den Handel kam, war klar: Entalkoholisierte Weine sind aus den Supermarktregalen nicht mehr wegzudenken.

Vor allem junge Frauen verzichten immer öfter auf Alkohol
© hofstätter
 

Neue Trink-Kultur entsteht

Dass entalkoholisierter Wein, Sekt, Bier, Cider sowie Spirituosen samt ihrer alkoholreduzierten Varianten in den kommenden Jahren massiv im weltweiten Verkauf zulegen werden, belegt auch eine Studie des auf alkoholische Getränke spezialisierten Marktforschungsinstitut IWSR in London. Die Analysten gehen davon aus, dass der jährliche Konsum bis 2026 um ein Drittel steigen wird. Dabei seien alkoholfreie Getränke mit über 90 Prozent des Verkaufs der wichtigste Treiber des Trends. Alkoholreduzierte Weine und Sekte, denen nur ein Teil ihres Alkohols entzogen wurde, spielen derzeit kaum eine Rolle.

Deutschland ist seit Jahren der weltweit größte Markt für alkoholfreie Weine, Biere, Sekte und Spirituosen, es folgen Japan, Spanien und die USA. Diesen Trend fördern zudem Politiker in vielen Staaten der westlichen Welt: In der EU tobt seit langem ein heftiger Streit über Richtlinien zur Einschränkungen bei der Werbung, dem Verkauf und dem Zugang zum Wein. Seit Anfang dieses Jahres setzen Irland sowie Kanada auf stärkere Alkoholprävention. Beide Länder planen - ebenso wie Schottland - deutlich strengere Vorgaben, um den Alkoholkonsum zu reduzieren. Das wird mutmaßlich den Verkauf an alkoholfreien Alternativen dort weiter steigern. In vielen weiteren Ländern laufen politische Debatten über das Thema, die bislang folgenlos geblieben sind. Doch die Zustimmung der Verantwortlichen wächst langsam, aber stetig.

Kein Wunder also, dass die führende Branchenmesse ProWein in diesem Jahr erstmals Ausstellern und Besuchern mit der „World of Zero“ dem Thema entalkoholisierte Weine eine eigene Halle widmet. Bisher waren diese an den Ständen der jeweiligen Produzenten oder der Importeure und Exporteure auf der gesamten Messe verteilt. Nun werden sie in Halle 1 fokussiert zu finden sein. Zudem wird es eine eigene Verkostungszone sowie Vorträge und Publikumsdiskussionen zum Thema geben.

Das Weingut St. Antony in Rheinhessen hat seit vergangenem Jahr entalkoholisierte Weine im Programm. Geschäftsführer Dirk Würtz spricht von einem Boom: „Seit 2019 ist die Nachfrage nach alkoholfreien Weinen in Deutschland um 30 Prozent gestiegen. Das ist längst keine Nische mehr, sondern ein ernstzunehmender Markt.“

 

Politik gegen Wirtschaft - Italien stellt sich quer

Während mehr und mehr deutsche sowie auch spanische Weingüter den Trend als Chance verstehen und alkoholfreie Weine in den Handel bringen, sind sie in Italien bislang nur selten zu finden. Die meisten italienischen Produzenten, vor allem aber die kleineren und mittleren Betriebe, stehen entalkoholisierten Erzeugnissen skeptisch gegenüber. Es ist daher nicht überraschend, dass der italienische Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida sich in der EU-Kommission dafür einsetzen will, dass alkoholfreier Wein nicht als solcher bezeichnet werden darf. „Wenn man Wein ohne Alkohol herstellen will, sollte man ihn nicht Wein nennen dürfen“, sagte Lollobrigida kürzlich auf einer Pressekonferenz.

Sportlich, fit, gesund: das ist die Zielgruppe für alkoholfreie Weine
© hofstätter

Dieser Überzeugung trägt auch das derzeitige Weingesetz Italiens, der „Testo Unico del Vino“, Rechnung. Dieses definiert Wein als „Erzeugnis, das ausschließlich durch die vollständige oder teilweise alkoholische Gärung von frischen, eingemaischten oder nicht eingemaischten Weintrauben oder von Traubenmost gewonnen wird“.

Der Position von Lollobrigida stehen jedoch die großen italienischen Weinunternehmen entgegen, die in Zukunft nicht auf wichtige Marktanteile verzichten wollen. „Es ist ein Zug, auf den wir aufspringen müssen, denn das Interesse der Verbraucher an diesen neuen Produkten ist real und nicht zu übersehen” sagte Giulio Somma, Sprecher des italienischen Weinverbands Unione Italiana Vini, bei der Weintechnik-Messe Simei in Mailand im vergangenen November. Der Verband setze sich seit zwei Jahren dafür ein, dass entalkoholisierte und alkoholreduzierte Weine in der Familie der Weinprodukte bleiben, da sie einen schnell wachsenden Markt für die Erzeuger darstellten. Überließe man der Getränkeindustrie die Produktsparte, würden sich Weinproduzenten “eine gefährliche Konkurrenz” schaffen.

Sandro Sartor, Geschäftsführer von Constellation Brands und Ruffino, bringt das italienische Dilemma auf den Punkt: „Das Problem ist, dass es eine Nachfrage gibt und der Handel uns danach fragt, aber wenn wir, die größten Weinerzeuger der Welt, nicht produzieren können, überlassen wir diesen Markt anderen. Es ist wichtig, dass diese Produkte gesetzlich in der Weinwelt bleiben und reguliert werden. Es herrscht ein starker Druck, den Alkoholkonsum zu reduzieren: sich gegen solche Produkte zu stellen, wäre nicht zeitgemäß.“

 

Trends setzen, nicht hinter ihnen her rennen

Martin Foradori vom Weingut J. Hofstätter in Tramin (Südtirol) ist einer der wenigen italienischen Winzer, der vom großen Potenzial alkoholfreier Sekte und Weine überzeugt ist. Seit 2014 besitzt Foradori auch ein Weingut in Kanzem an der Saar, vor einigen Jahren erweiterte er sein dortiges Sortiment erst mit einem alkoholfreien Sekt, dann mit einem entalkoholisierten Wein.

Martin Foradori, Weingut Hofstätter

hofstätter

Für diese Entscheidung musste er sich schon so manchen Hohn und Spott von Kollegen aus Italien anhören. Aber die Kritik lässt ihn kalt: „Es ist ein typisch italienisches Verhalten. Sie machen eine große Polemik draus und wettern gegen die EU, die angeblich die ‘echten’ Winzer nicht genügend schützt. Und am Ende merken sie gar nicht, dass die Welt sie links und rechts überholt.“

Vor allem die italienische Gastronomie habe sich mit dem Thema noch zu wenig beschäftigt: „Die Gastronomen verstehen nicht, was ihnen für Umsatzmöglichkeiten entgehen. Eine Flasche alkoholfreien Wein könnte man zur gleichen Kalkulation verkaufen wie eine Flasche Wein, sie nimmt der Weinkarte keinerlei Umsatz weg. Bei anderen alkoholfreien Alternativen wie Bier oder Softdrinks ist die Marge längst nicht so groß“, sagte Foradori.

In Deutschland seien die Gastronomen weitaus offener. „Zwar rennen uns die Restaurantbesitzer noch nicht die Türen ein, aber die Nachfrage steigt. Auf immer mehr Weinkarten sehe ich alkoholfreie Sekte oder Weine“, beobachtet Dirk Würtz.

Laut Martin Foradori sei eines der Handicaps entalkoholisierter Produkte die arrogante Einstellung des Fachpublikums: „Sommeliers, Weinhändler und Weinjournalisten haben eine solche Blockade bei dem Thema aufgebaut, dass sie nicht einmal merken, dass sich der Markt und der Konsument verändert haben.“

Dies bestätigt auch Dirk Würtz: „Weinfans und viele Winzer haben dazu eine völlig verkehrte Einstellung. Sie vergleichen entalkoholisierte Produkte zu stark mit dem Original – und vergessen dabei, dass die Zielgruppen komplett verschieden sind. Einen echten Weinfreak wird man mit solchen Produkten nie überzeugen. Aber das ist auch gar nicht der Ansatz. Es gilt nicht, die Weinkritiker abzuholen, sondern die Konsumenten, die auf Alkohol verzichten wollen.“

 

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