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Yvonne Heistermann ist vor Kurzem zur Präsidentin der Sommelier-Union Deutschland gewählt worden. Sie ist die erste Frau in diesem Amt seit der Gründung 1976. Vorausgegangen war der Rücktritt ihres Vorgängers Peer Holm aufgrund eines „MeToo“-Vorfalls. Uwe Kauss hat sie getroffen.

Uwe Kauss

Wie ist in der Sommelier-Union Deutschland das Verhältnis zwischen Männern und Frauen?

Yvonne Heistermann: Etwa 60 Prozent sind Männer, rund 40 Prozent sind Frauen.

Die Wahl des Vorstands stand unter einem schwierigen Vorzeichen. Dein Vorgänger Peer Holm musste aufgrund eines „MeToo“-Vorfalls zurücktreten. Mit welchen Erwartungen bist du gestartet?

Yvonne Heistermann: Ich bin angetreten, weil ich die Sommelier-Union gemeinsam mit unserem Vorstandsteam erfolgreich in die Zukunft führen möchte. Dabei wirken die Vorkommnisse der Vergangenheit natürlich auch in meine heutige Arbeit ein. Zum Beispiel werden wir für unsere Mitglieder mehr regionale Veranstaltungen organisieren, um uns und unsere Kolleg*innen weiter zu sensibilisieren. Wir haben etwa in Köln zu einer Awareness-Schulung eingeladen, bei der es um Respekt und jegliche Formen der Diskriminierung ging. Es wird weitere Seminare geben. Abseits davon werden wir nach vorne schauen und uns weiterhin auf unsere Arbeit konzentrieren.

Als Peer Holm zurückgetreten ist, gab es von der Sommelier-Union ein Statement, man wolle den Vorgang intensiv aufarbeiten. Wie hat diese Aufarbeitung ausgesehen?

Yvonne Heistermann: Wir haben ein Vertrauensteam gegründet, einen Ethikkodex verabschiedet, die Leitung des Sommelier College mit unserer wunderbaren Kollegin Stefanie Hehn MS besetzt und eine erste Awareness Schulung organisiert. Weiter sind wir in den intensiven Dialog mit unseren Mitgliedern gegangen – während regionaler Meetings, auf unserer Mitgliederversammlung und in vielen persönlichen Gesprächen.

In den vergangenen Monaten blieb der Eindruck, der Vorgang hätte nie stattgefunden.

Yvonne Heistermann: Es ist eine Menge im Hintergrund passiert. Schon allein die Tatsache, dass nun seit Gründung der Sommelier-Union die erste Präsidentin gewählt wurde, spricht Bände.

Billy Wagner von Nobelhart & Schmutzig hat kürzlich das Thema Belästigung in der gehobenen Gastronomie erneut in die Diskussion gebracht. Ist der Vorgang in der Sommelier-Union ein Einzelfall? Oder wird nur zu wenig darüber gesprochen?

Yvonne Heistermann: Jeder Fall der Belästigung ist ein Fall zu viel, ist ein Opfer zu viel. Völlig unabhängig davon, in welcher Branche es passiert. In der Vergangenheit wurde wahrscheinlich viel zu wenig auf dieses Thema geachtet. Betroffene haben sich oft nicht getraut, sich zu äußern, weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Mir geht es darum, unsere Mitglieder dafür zu sensibilisieren, die Augen im eigenen Umfeld offen zu halten und füreinander einzustehen. Wichtig ist mir auch, dass wir eine Brücke zwischen den Generationen schlagen. In Stresssituationen kann in der Küche, im Service oder auch im Büro ein rauer Ton herrschen. Da muss man versuchen, im täglichen Miteinander am Umgang zu arbeiten. Es geht um Respekt und Rücksichtnahme.

Das neue Präsidium der deutschen Sommelier Union (v.l.): Christian Frens, Michael Wangler, Yvonne Heistermann, Shahzad Talukder und Philipp Künemund

Sommelier Union Deutschland

Ist es möglich, dass aufgrund solcher Vorfälle Mitglieder aus der Sommelier Union ausgeschlossen werden?

Yvonne Heistermann: Wenn es um ein erwiesenes Vergehen eines Mitglieds geht, wie eine sexuelle Belästigung, werden wir auch in Zukunft nicht davor zurückschrecken, ein Mitglied auszuschließen. In unserer Satzung steht dazu Folgendes: Ein Mitglied kann durch Beschluss des Vorstands mit Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden und stimmberechtigten Vorstandsmitglieder von der Mitgliederliste gestrichen werden, wenn es gegen die Ziele und Interessen des Vereins schwer verstoßen hat.

 

Die Jobbörse im Newsletter ist so lang wie noch nie

 

Die Vorwürfe und Missbrauchsfälle sind ja nur ein Teil der Probleme. Restaurants stecken in der Krise, Weinhandlungen geben auf, Weingüter können die Kostensteigerungen nicht auffangen. Wie erlebst du diese Probleme?

Yvonne Heistermann: Wir müssen uns davon lösen, die Gastronomie zu verteufeln. Zunächst möchte ich eine Lanze für unsere Branche brechen. In der Gastronomie finden ganz viele Menschen ihre Erfüllung. Es gibt kaum eine Branche, die so viel Abwechslung, Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Doch natürlich haben wir auch mit Herausforderungen zu kämpfen. Der Personalmangel lässt sich nicht wegdiskutieren. Viele fragen sich: In welche Branchen sind die Menschen nach der Pandemie abgewandert? Einzelhandel? Logistik? Die Jobbörse in unserem Newsletter ist so lang wie noch nie. Auch an den Schulen kommen ständig Anfragen rein.

Aussicht auf Besserung besteht derzeit nicht.

Yvonne Heistermann: Ich bin ein positiver Mensch und versuche die Situation als Chance zu betrachten. Die Gehälter in der Gastronomie werden besser. Die Arbeitszeiten werden flexibler. Die Arbeit in den Restaurants wird von Dritten immer mehr geschätzt. Kurzum: Die Rahmenbedingungen verändern sich, die Branche wird für viele noch attraktiver werden.

Die Krise als Chance?

Yvonne Heistermann: Ich denke, dass jetzt die Chance besteht, die Berufsbilder in der Gastronomie zu stärken und mehr Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einzubringen. In vielen Hotels erleben wir derzeit, dass Urlaubszeiten eingehalten und Überstunden abgebaut werden. Viele Arbeitgeber machen sich Gedanken.

 

Wir müssen uns davon lösen, die Gastronomie zu verteufeln.

 

Bedeutet das auch, dass die Sommellerie neue Konzepte braucht, wie und unter welchen Bedingungen gearbeitet wird?

Yvonne Heistermann: Wie gerade beschrieben, ist die gesamte Branche im Umbruch, davon profitieren auch Sommeliers in der Gastronomie. Die Kernarbeitszeiten waren klassischerweise von 11 bis 14 Uhr und von 17 bis 21 Uhr. De facto sind viele, die früher in der Sommellerie tätig waren, deutlich länger geblieben – ich kenne das noch aus meiner aktiven Zeit im Restaurant. Das macht doch heute so gut wie niemand mehr mit. Deswegen haben zahlreiche Gastronomen bereits an ihren Arbeitszeit- und Vergütungsmodellen gearbeitet, um attraktiver für Interessierte zu sein. Ein gutes Beispiel ist Ronny Schreiber mit dem Restaurant Troyka in Erkelenz. Das Konzept wurde von A bis Z aus Sicht der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gedacht.

Glaubst du, dass Restaurant-Gäste höhere Preise für mehr Fairness akzeptieren?

Yvonne Heistermann: Vom Drei-Sterne-Restaurant bis zum Imbiss: Die Kernaufgabe für Gastronomen auf allen Ebenen ist es, Preis und Genuss in eine gute Relation zu bringen. Der Gast sollte ein gutes kulinarisches Erlebnis haben und darf sich nicht abgezockt fühlen, das Personal muss davon angemessen entlohnt werden und der Gastronom muss gut von seinem Betrieb leben können.

Früher hat man Sommeliers an der Fliege und dem hochnäsigen Blick erkannt. Was zeichnet sie 2023 aus?

Yvonne Heistermann: Moderne Sommeliers haben ein fundiertes Hintergrundwissen und das Fingerspitzengefühl, sich auf die Gäste einzulassen und deren Wünsche zu respektieren. Sie werden sich niemals arrogant zu den Gästen verhalten. Wenn jemand seinen Rotwein mit Cola mischen möchte, dann mögen Sie das vielleicht nicht. Sie werden es aber trotzdem servieren. Das ist ein extremes Beispiel, aber der Gast wird künftig noch mehr im Vordergrund stehen. Sommeliers schreiben ja nicht nur die Weine auf die Karte, die sie am liebsten selbst trinken, sondern die sie verkaufen können.

Was sind die wichtigsten Aufgaben in den nächsten zwölf Monaten für das Präsidium?

Yvonne Heistermann: Unsere Intention ist es, die Sommelier-Union weiter positiv zu entwickeln und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Dabei sind wir jederzeit offen für Anmerkungen und Kritik unserer Mitglieder. Schließlich sind wir angetreten, um auf dem guten Fundament der Vergangenheit aufzubauen und die Sommelier-Union mit frischen Ideen in die Zukunft zu führen. Eines unserer Kernziele ist es, eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen, so dass wir gegenseitig viel mehr voneinander profitieren können.

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