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Zehn Prozent der weltweiten Weinproduktion gehen jedes Jahr durch Naturkatastrophen verloren. Das schätzt das Karlsruher Technologie-Unternehmen Risklayer, das einen globalen Risikoindex für Weinregionen entwickelt hat. Risklayer-CEO James Daniell hat Markus Blaser den innovativen Ansatz erläutert.

In der Woche nach Ostern 2021 brennt es wieder in vielen Weinbergen Europas: Nicht nur im Burgund, auch in der Toskana beheizen die Winzer ihre Reben mit Fassfeuern, um die zarten Knospen und Triebe vor dem Erfrieren zu schützen. Tatsächlich ist Frost sehr oft die Hauptursache für schwere Ernteverluste, dicht gefolgt von Hagel. Erdbeben und Vulkanausbrüche, Hitze und Waldbrände sowie Stürme, Starkregen und Hochwasser sind weitere Naturgefahren, die den Weinbau weltweit bedrohen.

Wie groß diese Risiken in einem Anbaugebiet sind, lässt sich mit Hilfe des Winerisk Index auf einen Blick erfassen: Klickt man in der interaktiven Karte beispielsweise auf den Punkt für Bozen in Südtirol, tauchen bei Erdbeben je zwei grüne, bei Frost fünf gelbe und bei Hagel acht rote Gläser auf. Die Ampelfarben stehen für geringes, mittleres und hohes Risiko, die Zahl der Gläser für die verschiedenen Faktoren, die das dortige Risiko beeinflussen. Sie werden im Gesamtindex des Risikos für Bozener Wein zusammengefasst: Neun rote Gläser. Auf diese leicht verständliche Weise zeigt Risklayer das Risiko für Orte in über 7.500 Weinbaugebieten in 131 Ländern.

35.000 Katastrophen-Daten weltweit

Das Unternehmen ist ein Spin Off des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Hier startete vor einigen Jahren das internationale und interdisziplinäre Forschungsprojekt für den Winerisk Index unter der Leitung des australischen Geophysikers James Daniell gemeinsam mit Klimaforschern, Seismologen, Ingenieuren und Wissenschaftlern weiterer Disziplinen. „Wir haben inzwischen mehr als 35.000 historische und aktuelle Katastrophen-Daten in unserer CatDat-Datenbank gesammelt“, erklärt der heutige Risklayer-CEO. „Daraus ließ sich recht schnell ableiten, welche Katastrophen in der Vergangenheit bereits Schäden im Weinbau verursacht haben. Daraus konnten wir eigene Katastrophen-Modelle entwickeln.“ Diese einzelnen Daten haben die Forscher mit geographischen Daten zu Weinregionen und angebauten Rebsorten sowie Angaben zu Produktion, Umsatz und investiertem Kapital verknüpft. Daraus haben sie mit komplexen Rechenmodellen ihren Risikoindex ausgearbeitet.

Das Risikomodell von Risklayer basiert auf drei Komponenten: Ausgangspunkt ist das Schadensrisiko von Trauben und Wein, aber auch von Weinbergen, Anlagen und Gebäuden. Dabei geht es global um hunderte Milliarden Euro Jahresproduktion und investiertem Kapital. Wie hoch ein potenzieller Schaden ausfallen kann, hängt zudem von seiner Exposition ab. Weiter ist es dabei wichtig, wie stark die Vermögenswerte bestimmten Gefahren ausgesetzt sind. Eine wichtige Rolle spielt zudem, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich Katastrophen an einem Ort ereignen können. Erst aus der Bewertung all dieser Elemente lässt sich der potenzielle Schaden und damit das Risiko abschätzen.

Viele Wahrscheinlichkeiten, Risiken und Bedingungen

„Der Index selbst ist sehr grob“, gibt Daniell zu bedenken. „Wenn wir das Risiko für einen einzelnen Betrieb abschätzen, berücksichtigen wir jedoch viele spezifische Bedingungen und Details, die sich auch von Jahr zu Jahr ändern können und das Risiko damit stark beeinflussen. Solch detaillierte Berechnungen lassen sich allerdings nicht für die ganze Welt anstellen.“

Die allgemeine Einschätzung muss also an die bedingungen des jeweiligen Standorts angepasst werden. So ist klar, dass die Winzer am Ätna, der zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder ausbricht, der Bedrohung durch den Vulkan unmittelbar ausgesetzt sind. Umgekehrt aber gedeihen Traubensorten wie Nerello Mascalese auf den jungen Böden vulkanischen Gesteins besonders gut. Dort entstehen dort deshalb charaktervolle, ja einzigartige Weine. Der Tanz des Vulkans birgt also durchaus Chancen - und nicht bloß Gefahren, gegen die man sich überdies wappnen kann. Denn die große, alles zerstörende Katastrophe ereignet sich sehr selten, während kleinere Naturereignisse oft Schäden nur wegen fehlender Prävention anrichten. „Gegen kleinere Schäden kann man ziemlich viel unternehmen“, weiß Daniell, “etwa das Fixieren von Stahltanks, Fässern und Flaschen, aber auch der Einsatz von Netzen gegen Hagel sind recht kostengünstig. Es bedarf nur der nötigen Informationen, um die richtige Entscheidung treffen zu können, wie man 1.000 oder 5.000 Euro am besten dazu einsetzt.“

Vorschläge für besseren Schutz gegen Ernte-Risiken

Die von Risklayer gelieferte Risikoabschätzung – beispielsweise in Form des zu erwartenden, durchschnittlichen Schadens pro Jahr – dient dem Winzer als Entscheidungsgrundlage: Will ich das Risiko so hinnehmen, Schutz ergreifen oder eine Versicherung abschließen? „Darüber hinaus können wir Vorschläge für besseren Schutz machen und die nötigen Kosten mit dem Schadensrisiko vergleichen. Aber mit der konkreten Umsetzung von Sicherungskonzepten für Weingüter oder Kellereien befassen wir uns nicht“, präzisiert Daniell seinen Ansatz.

Die Kosten der Risikoabschätzung durch Risklayer hängen laut Daniell stark vom Analyseaufwand ab: „Eine ungefähre Schätzung anhand unserer Daten kann man schon für unter 1.000 Euro erhalten, die detaillierte Analyse der genauen Standorte von Weinbergen und Gebäuden etwa für das Portfolio einer weltweit tätigen Kellerei kostet deutlich mehr.“ Risklayer arbeitet aber nicht nur als Daten-Dienstleister für Kunden, sondern ist auch in Forschungsprojekten gemeinsam mit Organisationen der Weinregionen aktiv. Das Ziel: Bis 2023 will Risklayer eine neue Version des Winerisk Index auf noch besserer Datengrundlage veröffentlichen.

Eine besondere Herausforderung stellt dabei der Klimawandel dar, den Daniell als eigenständiges Risiko betrachtet: In Süditalien und Südspanien könnte die Temperatur nach seiner Prognose im Mittel um zwei bis drei Grad ansteigen. „Es ist aber keineswegs ausgemacht, dass Weinbau dort in wenigen Jahrzehnten unmöglich sein wird“, gibt sich Daniell optimistisch. „Die Politik kann den Klimawandel mildern, die Winzer können von neuen Sorten und Anbaumethoden profitieren.“ Generell können die Klimamodelle nur sehr allgemein lokalisieren, wo es für den Weinbau schlimmer und wo es besser wird: „In Deutschland werden sich die Bedingungen für den Weinbau sehr wahrscheinlich verbessern. Zwar dürften tendenziell Starkregen und Hagel-Ereignisse zunehmen, die Zahl der Frosttage wird aber geringer. Der deutsche Riesling ist auf jeden Fall nicht vom Aussterben bedroht.“ Diese Risikoeinschätzung von James Daniell dürfte viele Weinfreunde erfreuen.

Markus Blaser arbeitet als freischaffender Journalist und Historiker in Florenz. Der Schweizer schrieb bis 2016 für „Merum” und publiziert über die ökonomischen, politischen, kulturellen und historischen Hintergründe von Wein und Olivenöl in Italien.

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