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Newcomer und Quereinsteiger sind die Keimzelle der noch jungen Naturwein-Szene im traditionellen Rheingau. Thomas Ehlke war für uns dort abseits der etablierten und renommierten Weingüter unterwegs. Er traf junge Winzerinnen und Winzer, die anders arbeiten - und ihren Weg gehen wollen.

Yvette Wohlfahrt und Florian Franke lassen ihren Naturweinen sehr viel Zeit.

Thomas Ehlke

Bei Rheingau denkt man an Riesling, Schlösser, jahrhundertealte Weinbautraditionen. Naturwein kommt einem da nicht in den Sinn. Doch hier tut sich etwas auf dem Gebiet. Eine Gruppe junger Winzerinnen und Winzer hat begonnen, das Thema in der Region zu etablieren. Noch stecken sie in den Anfängen: Bewirtschaftete Fläche und erzeugte Weinmenge sind noch gering, aber die Protagonisten haben ihr Ziel, diese Art von Weinbau und Weinen im Rheingau zu etablieren, fest ins Auge gefasst. Erste wahrnehmbare Impulse setzten sie bei der Premiere einer Naturwein-Messe in Oestrich-Winkel. Unter dem Namen „Die Glugg“ präsentierten dort sieben Weingüter ihre Naturweine.

„Egal wer sich in welcher Phase befindet - ob er oder sie am Anfang steht oder schon fest im Sattel sitzt: Wir wollen das Thema gemeinsam angehen, damit nicht jeder für sich allein kämpfen muss“, erklärt Yvette Wohlfahrt. Zusammen mit ihrem Partner Florian Franke betreibt die examinierte Önologin ein 0,8 Hektar kleines Weingut in Geisenheim. Yvette und Flo(rian) stehen sinnbildlich für die noch junge Szene. Beide sind Quereinsteiger in den Weinbau, kommen aus Familien ohne Weintradition und stammen auch nicht aus der Region. Kennengelernt haben sich die Thüringerin und der Bayer beim Weinbaustudium in Geisenheim. Das ist auch der Ort, an dem sie heute ihr Weingut betreiben. Dass dies im Nebenerwerb geschieht – sie ist Dozentin an der Hochschule Geisenheim, er arbeitet als Kellermeister und Außenbetriebsleiter beim Sekthersteller Schloss Vaux -, eröffnet dem Paar ökonomische Freiräume zur Weinerzeugung.

 

“Man muss mutiger und geduldiger werden”

Cosima Lindenauer und Niklas Eisenacher wollen mit ihrem Weingut Prana Naturwein und Yoga verbinden.

Thomas Ehlke

In ihrem öko-zertifizierten Betrieb liegt der Fokus auf der akribischen Arbeit im Weinberg. Im Keller arbeiten die beiden mit Maischestandzeit sowie Spontan- und Maischegärung. „Man muss mutiger und geduldiger werden und darf nicht direkt eingreifen, wenn mal was nicht so läuft“, lenkt Flo Franke den Blick auf einen für ihn und Yvette Wohlfahrt wichtigen Faktor im Keller: Zeit. Die meisten ihrer Weine lagern mindestens zwei Jahre im Fass, bevor sie unfiltriert auf die Flasche kommen. „Da kommt nichts rein und nichts raus – und möglichst auch kein Schwefel“, bringt Flo die Naturwein-Philosophie ihres Gutes auf den Punkt.

Das Ergebnis sind klar strukturierte Weine mit einem Geschmacksprofil, das die Rebsorte widerspiegelt. „Unser Ziel ist ein klarer und sauberer Geschmack“, betont der 48-Jährige. Flockig-kreative Formulierungen von Yvette beschreiben die Weine, Sekte und Pet-Nats des 2013 gegründeten Gutes, die Namen wie „Orange Utan“, „Gewürz-Tapir“, „Lippen-Bärti“ oder „Trübe Trulla“ tragen. In der Weinliste des Gutes firmieren diese Weine unter „New shit raw“.

Niklas Eisenacher hat einen Bachelor-Abschluss in Maschinenbau. „Doch das war nicht mein Ding. Ich will draußen mit der Natur arbeiten“, sagt der gebürtige Mainzer. 2019 lernte der heute 28-jährige beim Weinbaustudium in Geisenheim Cosima Lindenauer kennen. Das Paar eint zwei Passionen: Wein und Yoga. Zwei Semester vor Studienabschluss machten sich die beiden auf die Suche nach einem Weingut – und wurden schneller fündig, als sie es geplant hatten. Das Weingut Eiserhof in Oestrich-Winkel suchte einen neuen Besitzer. Kurzentschlossen schlugen die beiden zu und gründeten dort 2021 am Ortsrand ihr Weingut Prana – mit angegliedertem Yoga-Studio. Der Begriff “Prana” kommt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie Lebensenergie. „Wir wollten eine Verbindung zwischen lebendigen Weinen und dem Yoga schaffen“, sagt Nik. Das Studium ruht seither, denn die Arbeit im Betrieb fordert die beiden enorm.

 

Zugängliche, trinkbare Naturweine

Die 4,5 Hektar Rebfläche sind mit Riesling, Müller-Thurgau und Spätburgunder sowie neuerdings auch einigen Piwi-Sorten bestockt. Im Keller verstehen sich beide als Begleiter ihrer Weine: „So wenig Eingriffe wie möglich, keine Schönung, kein Filtrieren – und absolut sauber arbeiten“, nennt Cosima Lindenauer die Parameter auf dem Weg, zugängliche, trinkbare Naturweine zu erzeugen. Wichtig für den Weinabsatz ist die Straußwirtschaft des Gutes. Für Nik und Cosi ist sie ein wichtiger Gradmesser, wie ihre Weine bei den Kunden ankommen. „Wir sagen erstmal nicht, dass es Naturweine sind. Den meisten Leuten es fällt gar nicht auf, dass sie Naturwein trinken“, sagt die aus Karlsruhe stammende 25-jährige. Manche Gäste stellten fest, dass der Wein anders schmecke, nicht typisch Rheingau. „Aber dieses Echo ist oft positiv gemeint“, verdeutlicht Niklas Eisenacher.

 

“Die Neugier ist da“

Alexander Saltaren Castro ist Kolumbianer. Wein hat er erstmals als 18-jähriger in seiner Heimat getrunken, in der nur sehr wenig Wein angebaut wird. Er war davon aber so fasziniert, dass er zunächst im Nachbarland Argentinien eine Ausbildung zum Sommelier absolvierte, um 2013 mit seinem Ehemann, einem Hamburger, nach Deutschland zu gehen. Hier wollte er den Winzerberuf erlernen – und zwar im Rheingau. Heute arbeitet der 35-jährige im biodynamisch arbeitenden VDP-Betrieb Peter Jakob Kühn. Dort verbrachte er auch sein drittes Lehrjahr. „Hier habe ich eine neue Weinwelt kennengelernt, die mich sehr beeindruckt und geprägt hat“, sagt Alex Saltaren. Die intensive Arbeit im Weinberg, das Bemühen um die optimale Versorgung des Bodens sind auch für ihn wichtige Eckpfeiler bei der Bewirtschaftung seiner Parzellen in der Lage Mittelheimer St. Nikolaus. Auf 0,7 Hektar baut Saltaren seinen Riesling an, 2019 brachte er den ersten Jahrgang ein. In einem autodidaktischen Lernprozess wollte er seine Kenntnisse im Weinbau durch eigene Erfahrung vertiefen. Saltaren ist ein reflektierter Mensch, der Prozesse überdenkt, hinterfragt und evaluiert. Intuition, Beobachtung und Wissen sind die Grundlagen bei der Entwicklung seines Weinstils.

Der Kolumbianer Alexander Saltaren baut Riesling auf 0,7 ha an.

Thomas Ehlke

Drei Rieslinge füllt der Kolumbianer auf die Flasche. Alle eint eine ausgeprägte mineralische Struktur, wobei auch die Frucht nicht zu kurz kommt. Im Keller ist Alex Saltaren bei Gärung und Reife nur Beobachter seiner Weine: „Sie zeigen mir den Weg. Ich vertraue ihnen und gebe ihnen die Zeit, die sie brauchen“, sagt der Winzer. „Wir werden schon wahrgenommen. Die Neugier ist da“, beschreibt er das Feedback der Winzer aus dem Rheingau. Sein Arbeitgeber Peter Bernhard Kühn steht der Naturwein-Bewegung ohnehin offen gegenüber. Er findet es gut, dass es die „Glugg“-Gruppe gibt. „Es ist sehr positiv für den Rheingau, dass dieses Flämmchen entzündet wurde“, sagt Kühn. Mittlerweile gebe es viele talentierte Winzer, die solche Weine produzierten. Sie hätten klare Ideale, ohne zu dogmatisch zu werden. „Es geht letztlich darum, die Traube authentisch auszudrücken. Umso weniger Manipulation, desto besser.“ Gleichwohl werde Naturwein ein Nischenprodukt bleiben, da nicht jeder Winzer diesen Weg der Weinerzeugung gehen wolle: „Dazu sind die Geister zu verschieden.“

Ulrich Bachmann veranstaltet seit rund 20 Jahren weinkulturelle Events im Rheingau und ist profunder Kenner der dortigen Weinszene. Im September moderiert er in Eltville eine Talkrunde zum Thema Naturwein. Bei Recherche und Konzeption des Talks hat Bachmann festgestellt, dass es im Rheingau fast nur Newcomer sind, die Naturwein machen. „Ich bin ein großer Freund davon, Dinge auszuprobieren und zu sehen, wie sie sich am Markt bewähren“, zeigt sich auch Bachmann offen. Es sei zunächst wichtig, dass man sich dem Thema stelle und Erfahrungen sammele. Dann könne man immer noch entscheiden, wie man dazu stehe. Denn vielen Weinfreunden schmeckten diese Weine erst, wenn sie sich darauf einlassen: „Das ist ein Prozess. Das geht nicht von jetzt auf gleich.“

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