Rheinhessen zählt zu den beliebtesten Reisezielen der deutschen Weinregionen. Das mit rund 27.000 Hektar Rebfläche größte deutsche Anbaugebiet ist auch eine der dynamischsten touristischen Gebiete im Bundesland Rheinland-Pfalz. Die meisten Besucher sind Tagesgäste und Wochenend-Ausflügler. Sie kommen nicht nur, um Weine und Winzer, sondern auch die Landschaft kennenzulernen. Das funktioniert hervorragend auf dem gut ausgebauten Rad- und Wanderwegenetz.
Besonders eindrucksvolle Natur- und Landschaftserlebnisse erleben Weinfreunde auf den neun „Hiwweltouren“. „Hiwwel“ ist das rheinhessische Wort für Hügel. Und davon gibt es im Städtedreieck zwischen Mainz, Worms und Bingen jede Menge – sanft geschwungen, auch für Ungeübte gut zu bewältigen. Die „Hiwweltour“ durchs Aulheimer Tal bei Flonheim kürten die Leser der Zeitschrift “Wandermagazin” 2022 zu Deutschlands zweitschönstem Wanderweg. Reizvoll ist auch die „Hiwweltour“ Heideblick durch die Rheinhessische Schweiz - am besten im August und September, wenn die Heide blüht. Ein Muss ist hier eine Rast an der Winzeralm oberhalb von Siefersheim, wo die Wanderer mit grandiosen Blicken auf die Weinkulturlandschaft belohnt und vom Weingut Zimmermann mit Wein und kleinen Snacks versorgt werden.
Wer das Besondere sucht, findet es in Lonsheim. Winzer Andreas Mohr lädt dort zu Wein-Safaris ein. Mit dem im Zebra-Look lackierten Land Rover Defender 110 aus Beständen der britischen Rheinarmee, Baujahr 1988, geht Mohr mit seinen Gästen auf Genuss- und Entdeckungstour durch die Rebenlandschaft. Beim Rasten zwischendurch werden Weine des Gutes verkostet und kleine Snacks gereicht. Doch Rheinhessen bietet deutlich mehr als seine Rebenhügel. In Orten und Städten der Region lassen sich interessante Sehenswürdigkeiten besichtigen. Allen voran Mainz als „Great Wine Capital“ mit Martinsdom, Gutenberg-Museum oder den berühmten Chagall-Fenstern in St. Stephan. Bei einem Bummel durch die pittoreske Altstadt stößt man auf viele urige Weinstuben, in denen man zu einem guten Schoppen die Spezialität „Mainzer Handkäs“ genießen kann – je nach Belieben mit oder ohne “Musik”, also einer Vinaigrette mit rohen Zwiebeln.
Ins Mittelalter tauchen Besucher bei einer Tour durch das Oppenheimer Kellerlabyrinth ab. Unter den 500 Grundstücken der am Hang gelegenen Altstadt gibt es bis zu 20 Keller in fünf Ebenen. Anschließend lohnt ein Besuch der Katharinenkirche, die mit dem Kölner Dom und dem Straßburger Münster eines der bedeutendsten gotischen Bauwerke am Rhein ist. Im Restaurant Völker gleich nebenan kann man nicht nur exquisit speisen, sondern auf der Theaterbühne drei Geschosse unter der Erdoberfläche auch den deutschen TV-Klassiker „Dinner for one“ erleben – und zwar im rheinhessischen Dialekt. Eingebettet ist das kulturelle Kleinod in ein Drei-Gänge-Menü im Restaurant. Wer sonntags unterwegs ist, sollte unbedingt einen Abstecher in das in direkter Nachbarschaft gelegene Nierstein machen. Am Marktplatz liegt das Paläontologische Museum – ein Juwel für alle, die sich für Millionen Jahre alte fossile Funde begeistern. Bei einer Wanderung über den Roten Hang, einer der weltweiten Top-Terroirs für Riesling, wird man mit Panoramablicken ins Rheintal, auf die Mittelgebirge Taunus und Odenwald sowie die Skyline von Frankfurt („Mainhattan“) belohnt.
Reizvolle touristische Entdeckungen gibt es auch in den Städten Worms, Alzey und Bingen. In der Stadt des Mäuseturms im Rhein - eines der bekanntesten Fotomotive der Region - etwa ist ein Bummel über die Rheinpromenade gleichermaßen entspannend wie anregend. Denn die zur Landesgartenschau gestalteten Gärten sowie die Museen und die gut sortierte Vinothek machen die Flaniermeile direkt am Rhein mit Blick auf die steilen Weinberge des Rheingaus zu Treffpunkt, Kulturerlebnis, Open Air-Bühne, Spielplatz, Wein- und Kulinarik-Location in einem. In den größeren Städten finden Gäste auch das, was in den Dörfern werktags, und hier vor allem tagsüber, ein großes Problem ist: Einkehrmöglichkeiten. Speisegaststätten und Weinstuben haben in der rheinhessischen Provinz vor allem abends und oft nur am Wochenende geöffnet.
Angesichts des Touristenstroms rückt auch ein anderes Problem in den Blick: Es gibt in Rheinhessen zu wenig Hotelbetten. Doch da tut sich was, wie das im Juli 2020 eröffnete Hotel „Papa Rhein“ direkt am Binger Rheinufer beweist. Das extravagant gestaltete Haus bietet alles, was ein Tophotel ausmacht – inklusive einer anspruchsvollen Gastronomie, denn Küchenchef im „Papa Rhein“ ist der bekannte frühere Sternekoch Nils Henkel. Beliebt sind indes auch die Übernachtungsangebote auf Winzerhöfen, die es überall in Rheinhessen gibt. Ein Beispiel, bei dem gehobene Gastronomie und Hotellerie sowie exzellentes Winzerhandwerk eine harmonische Einheit bilden, ist der Espenhof in Flonheim-Uffhofen (***). Nico Espenschied erzeugt Weine mit Tiefe und Typizität, seine Schwester Lena bewirtet die Gäste der Weinwirtschaft mit kulinarischen Kreationen. Wer beides genossen hat, findet im Landhotel des Guts zudem ein stilvoll eingerichtetes Nachtquartier. Das trifft er auch in Jordan’s Untermühle in Köngernheim an. Idyllisch im Tal der Selz gelegen, kann der Reisende hier im ebenso großzügig wie stilvoll gestalteten „Herz&Rebe“-Spa entspannen und sich anschließend von der exzellenten Küche verwöhnen lassen.
Da in Deutschland nirgends sonst so viel Wein wächst wie in Rheinhessen, prägen Reben nicht nur das Landschaftsbild, sondern es gibt auch viele Erlebnisangebote - etwa von der Weinprobe über geführte Wanderungen durch die Weinberge bis hin zu Weinbergsrundfahrten. Zu jenen Betrieben, die die rund zweistündigen Touren mit traditionellem „Weck, Worscht und Woi“ (Brötchen, Wurst und Wein) anbieten, zählt das Weingut Sternenfelserhof in Nierstein. Jana Kopp und ihr Vater Rudolf gewähren dem Besucher aber auch bei Weinwanderungen oder einer Kellerführung mit Rotweinprobe genussvolle Ein- und Ausblicke.
Rheinhessen ist nicht nur das größte, es gilt auch als das dynamischste der deutschen Anbaugebiete. Motor der Dynamik sind die Winzer. Deshalb gibt es für Weinfans bei einer Tour durch das „Land der 1000 Hügel“ auch jede Menge Entdeckungen zu machen. Ein Beispiel dafür ist das Cisterzienser-Weingut Michel in Dittelsheim-Heßloch. Das 1173 von Mönchen gegründete Gut wird heute von Ulrich und Karen Michel in der achten Generation mit frischem Wind und feinem Gespür für das Produkt geführt. Ein anderes Beispiel ist das Weingut von Frank und Felix Hemmes in Bingen-Kempten. Rassige Rieslinge treffen hier auf eigenwillige Cuvées der Exkursionslinie des Gutes. In den ehemaligen Klassenräumen der Dorfschule hat Hemmes eine Vinothek samt Weinschule mit interessanten Angeboten eingerichtet. Zwei Beispiele von vielen.
Gastronomisch hat Rheinhessen einiges zu bieten, wenngleich die Dichte an Top-Restaurants in anderen Anbaugebieten deutlich höher ist. Dennoch gibt es sie auch in Rheinhessen. Etwa Steins Traube in Mainz-Finthen oder Kaupers Kapellenhof in Selzen. Hier kommen Gourmets und Weinfreunde gleichermaßen auf ihre Kosten. Denn die Keller beider Restaurants sind bestens sortiert. Der Grandseigneur der Gourmetküche in Rheinhessen ist Wolfgang Dubs. Bereits 1969 eröffnete er seine Rôtisserie im Wormser Stadtteil Rheindürkheim. Heute begrüßt Dubs die Gäste in seinem „Landhaus“ inmitten der Osthofener Weinberge. Französische Küchentradition geht hier eine genussvolle Liaison mit rheinhessischer Bodenständigkeit ein.
Ungezwungen geht es in den vielen “Straußwirtschaften” und Gutsschänken zu. Die gibt es in den meisten der 133 weinbautreibenden Orte der Region am Rhein. Wer gesellige Stunden erleben und mit Einheimischen ins Gespräch kommen will, ist hier genau richtig. Auf der Speisekarte findet man deftige Standards wie das rheinhessische Nationalgericht, den “Spundekäs” (Frischkäse-Zubereitung mit süßem Paprika und Zwiebeln), aber auch ambitionierte Kreationen. Die Weinqualität differiert indes stark. Herausragend sind hier unter anderem die Straußwirtschaften und Gutsschänken der Weingüter Bettenheimer (Ingelheim), Beiser (Vendersheim), Gres (Appenheim) und Geil (***) (Monzernheim).