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Tiflis ist die georgische Metropole der Gegensätze. Hier treffen Tradition und Moderne aufeinander und verschmelzen zu einer pulsierend-kreativen Mischung. Wein spielt dabei eine enorm wichtige Rolle. Raffaella Usai verrät, was Weinfans auf keinen Fall verpassen dürfen.

Abflug 22.00 Uhr! Die unsäglichen Flugzeiten der einzigen Direktverbindung aus München machen die Anreise nach Tiflis nicht gerade angenehm. Doch als ich beim Landeanflug um fünf Uhr morgens Ortszeit, also drei Uhr in Deutschland, die Umrisse des Kaukasus am Horizont erblicke, bin ich hellwach. Georgien! Selten habe ich mich so auf eine Reise gefreut.

Krasse Gegensätze fliegen bei der Fahrt mit dem Taxi an meinem Auge vorüber: Heruntergekommene Baracken, graue Plattenbauten aus Sowjetzeiten, viel kaputte Bausubstanz, dazwischen immer wieder Leuchtreklame von Fastfood-Riesen wie Wendy’s oder McDonald‘s. Hier treffen Ost und West brutal aufeinander.

Ich habe den Stadtplan bereits im Kopf. Sololaki, Wera, Saburtalo: Diese Viertel kenne ich aus den Romanen von Nino Haratischwili, die meine Neugier auf diese Stadt geweckt haben. Die grandiose Geschichtenerzählerin Nino hat ihre Heimatstadt Tbilisi, wie die Einheimischen sie nennen, in mir lebendig werden lassen, lange bevor ich mich zu dieser Reise entschlossen habe.

 
 
Ajapsandali ist ein georgischer Klassiker © Raffaella Usai

Sinnbild für Dynamik und Industrie-Charme

Mein erstes Mittagessen führt mich ins Café Stamba, das zum gleichnamigen 5 Sterne-Hotel gehört: Ein Hotspot der Stadt – und ein „Must-See“. Was Besitzer Temur Ugulava aus dem ehemaligen Verlagshaus gemacht hat, ist beeindruckend. Die industrielle Ästhetik mit hohen Decken, rohem Beton und unverputztem Mauerwerk ist eine Hommage an die Vergangenheit, während neue Akzente dem Hotel einen zeitgenössisch-urbanen Charakter verleihen. Das mit Kletterpflanzen begrünte fünfstöckige Atrium erinnert an ein Gewächshaus und hat Dschungel-Charakter: Design- und Architekturfans kommen hier auf ihre Kosten.

Die Speisekarte ist überschaubar, es überwiegen klassische georgische Gerichte nach dem Konzept „from farm to table“. Das Ajapsandali, ein Aubergineneintopf mit Paprika und frischen Kräutern sowie der Tomatensalat mit Sulguni, einem Mozzarella-ähnlichem Käse, schmecken herrlich. Der dazu kombinierte Quevri-Weißwein Tsolikouri ist mit seinem leichten Tannin, seiner Mineralität und den deutlichen Zitrusnoten ein perfekter Mittagswein.

 

Vom Rustaweli-Boulevard zur Altstadt

Vom Café Stamba sind es nur wenige Fußminuten zum berühmten Rustaweli-Boulevard, der Prachtstraße der Stadt, die bis zum Freiheitsplatz führt. Sie ist nach Georgiens Nationaldichter Schota Rustaweli benannt und war Schauplatz politischer Umbrüche, brutal niedergeschlagener Aufstände und friedlicher Revolutionen. Hier befinden sich das georgische Parlament, die Staatliche Gemäldegalerie sowie die Oper und das Rustaweli-Theater.

Ich lasse mich in Richtung Altstadt treiben. Vor einem Einkaufszentrum, das ebenso gut in Manhattan stehen könnte, bieten Straßenverkäufer auf klapprigen Kinderwagen „Tschurtschchela“ an, traditionelle Süßigkeiten, die ähnlich wie handgezogene Kerzen aussehen. Manche Besucher vergleichen Tiflis mit dem Berlin der 1990er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Kreativität sind überall greifbar. Die Kultur- und Musik-Szene der Stadt ist quicklebendig, so wie auch die sich ständig wandelnde Gastronomie.

 

Weinverkostung mit Sprachseminar

Angelockt von der gut gefüllten Terrasse, betrete ich die Weinbar Vinoground in der Nähe der Sioni-Kathedrale. An einem Tisch sitzen zwei Touristen und verkosten Weine. Nach kurzem Smalltalk geselle ich mich neugierig dazu, lasse mir ein paar Gläser bringen und erklären. Rkatsiteli, Mtsvane, Khikhvi: Ich versuche mich in der korrekten Aussprache der Rebsorten auf den Etiketten, ganz zur Belustigung des Sommeliers, der mich geduldig korrigiert. Georgisch ist nämlich eine Sache für sich. Nur vier Millionen Menschen weltweit sprechen die südkaukasische Sprache, sie hat ihr eigenes Alphabet und eine wunderschöne Schrift – für Europäer ist es allerdings unmöglich, sie zu entziffern.

 
Besitzer David Dukashvili ist ein leidenschaftlicher Gastgeber © Raffaella Usai

Außen schäbig, innen einladend

Ein verstecktes Juwel ist das Café Chaduna in der Altstadt, ein Tipp, den ich von einer Einheimischen bekommen habe. Es liegt in einem alten Gebäude, das wie so viele Häuser in Tiflis einen heruntergekommenen Eindruck macht. Zunächst bin ich skeptisch. Doch Besitzer David Dukashvili hat es verstanden, aus diesem Ort etwas Besonderes zu machen. Im Chaduna kann man frühstücken, ein paar Kleinigkeiten essen – und vor allem Wein trinken.

Fast zwei Stunden nimmt sich David Zeit, um mit mir zu verkosten. Dabei holt er eine Überraschung nach der anderen hervor. Sein Wissen über georgische Weine ist enorm und es sind äußerst spannende Weingüter darunter, von denen ich bislang noch nie gehört hatte. Ein echter Geheimtipp!

 
Die Mutter Georgiens wacht über ihre Stadt © Raffaella Usai

Auch die Mutter Georgiens trinkt Wein

Von der Altstadt aus erklimme ich die unzähligen Stufen zur Monumentalstatue Kartlis Deda, auf Deutsch: die Mutter Georgiens. Seit 1958 thront sie auf dem Sololaki-Gebirgskamm und wacht über die Stadt. Dass der Wein in Georgien eine wichtige Rolle spielt, wird auch hier sichtbar: Kartlis Deda hält eine Schale Wein für die Freunde in der linken Hand, ein Schwert gegen die Feinde in der rechten.

Der Aufstieg bei 36 Grad im Schatten ist zwar mühsam und meine Wasserflasche schon auf halber Strecke leer, aber er lohnt sich. Von hier oben hat man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt. Von der Statue aus führt ein Panoramaweg hinüber zur Festung Nariqala, der wichtigsten mittelalterlichen Burg Georgiens, dahinter geht‘s über kleine Gässchen talwärts ins Bäderviertel Abanotubani. Die berühmten Schwefelbäder mit ihren heißen Quellen bieten ein ungewöhnliches Wellness-Erlebnis!

 

Naturwein-Mekka

Am späteren Abend geht’s in die wohl bekannteste Weinbar der Stadt, Vino Underground in der Altstadt, nur einen Katzensprung vom Freiheitsplatz entfernt. Dieser kleine, mit Ziegeln ausgekleidete Weinkeller, ist eine Kultstätte der Naturweinszene und wird von einem Kollektiv georgischer Winzer geführt. Bevor die Bar 2012 eröffnet wurde, konnte man praktisch nirgendwo in Tiflis traditionelle Qvevri-Weine trinken, hier nahm alles seinen Anfang. Da das Personal sehr gut in der georgischen Weinszene vernetzt ist, erhält man hier auf Wunsch viel Fachwissen und tolle Insidertipps.

 
Im Vinotel wird der Gast mit viel Liebe zum Detail empfangen © Raffaella Usai

Nomen est omen

Über die 2010 fertiggestellte Friedensbrücke komme ich auf die linke Seite des Mtkvari-Flusses und laufe durch den Rike-Park zum Hotel-Restaurant Vinotel. Das 2017 als „Bestes Boutique-Hotel Georgiens“ ausgezeichnete Vinotel ist nicht nur ein beliebter Ort für Stars und Sternchen, sondern beherbergt auch einen imposanten Weinkeller mit einer erstklassigen Auswahl georgischer und internationaler Weine.

Im angeschlossenen Restaurant kann man typisch georgische Küche – von Khachapuri bis Pelamushi – auf hohem Niveau genießen. Sehr empfehlenswert!

 
Lässige Atmosphäre in der Fabrika © Raffaella Usai

Treffpunkt der Kreativen

Ebenfalls auf der linken Flussseite liegt das Kulturzentrum Fabrika – Dreh- und Angelpunkt der kreativen Avantgarde der Stadt. In der ehemaligen sowjetischen Kleiderfabrik treffen sich heute Grafiker und Architekten, Designer und Künstler zum Rooftop-Yoga und zu Workshops. Die „Fabrika“ ist der richtige Ort, um in die dynamische und innovative Szene von Tiflis einzutauchen. Es gibt diverse Bars und Cafés, im integrierten Hostel kann man zudem günstig übernachten. Jedes Jahr im Mai findet hier das Natural Wine Fest statt, bei dem sich die Weinszene trifft.

 

Ich komme bald wieder

Mein schweigsamer Taxifahrer bringt mich nach drei aufregenden Tagen wieder zum Flughafen. Es ist mitten in der Nacht. Als ich losfliege, geht die Sonne über Tiflis auf. Ich bin glücklich. Und in Gedanken bereits bei der nächsten Georgien-Reise.

 

Empfehlenswerte Adressen

 

Hotels

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