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©hsgeisenheim
Prof. Dr. Simone Loose leitet das Institut für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim. Im Auftrag der ProWein erarbeitet sie den jährlichen Business Report zur Situation der Weinbranche. Loose warnt im Gespräch mit Uwe Kauss und Alexander Lupersböck vor zu wenig Einsicht zur Veränderung bei deutschen Winzern.

Laut ProWein Business Report erscheint die Stimmung in der Weinbranche, vor allem in Deutschland, viel schlechter als die wirtschaftliche Lage.
Ist das so?

Loose: Nach dem Corona-Schock setzte 2022 ein Aufholprozess ein. Er war in Südeuropa stärker als in Deutschland zu spüren, weil dort während der Corona-Monate mehr Export weggebrochen war. Zum Zeitpunkt der Befragung im November 2022 war der Ausblick in Deutschland düster, man wusste ja nicht mal, ob das Gas durch den Winter reicht, hohe Energiepreis-Steigerungen standen an. Eine gewisse Lebenseinstellung spielt dabei aber auch eine Rolle: Im Mittelmeerraum ist man generell optimistischer als hier.

 

Hat die Branche also das Schlimmste hinter sich?

Loose: Nein. Es fällt Weingütern sehr schwer, die gestiegenen Kosten, etwa für Glas und andere Rohstoffe, an die Kunden weiterzugeben. So stehen die großen Produzenten und Abfüller unter dem massiven Druck des Handels. Da gehen die Margen nach unten. Für kleinere Weingüter ist es nicht viel besser. Ihre Kundschaft ist jedoch meist weniger stark von der Krise betroffen, weshalb die Umsätze nicht so stark einbrechen. Ihre höheren Kosten können sie aber nur zu einem winzigen Teil weitergeben. Dazu kommt: Die aktuelle Entwicklung der Weinbranche basiert auf einer eher unwirtschaftlichen Basis. Ihre Situation war vorher schon instabil und ist durch jahrzehntelangen Strukturwandel geprägt. Wir sehen es bei den Betrieben der Geisenheimer Unternehmensanalyse und bei den Abschlussarbeiten der Studenten, die wir betreuen. Viele von ihnen kommen im Zuge ihrer Ausbildung darauf: „Oh, meine Eltern verdienen ja praktisch nichts mit dem Weinbau!“ Dennoch machen viele weiter: „Ich gebe nicht auf und versuche es. Das Land gehört uns, ich muss das Erbe der Familie erhalten. Ich fühle mich dazu verpflichtet.“

 

"Die Weinbranche ist in der Produktion nicht profitabel"

Legt die derzeit angespannte Situation mit Ukraine-Krieg, Inflation und enormen Kostensteigerungen das offen, worüber zu lange geschwiegen wurde?

Loose: Ja, diese Schocks verschärfen die schwierige Lage noch einmal dramatisch. Die Weinbranche ist wie ein Eisberg - wir reden vor allem über den sichtbaren Teil der Spitze und die erfolgreichen Weingüter. Darunter gibt es viele Betriebe, die ohne Nebengewerbe oder andere Einkommensquellen gar nicht überleben würden. Da wird die Weinproduktion querfinanziert. Viele der Wein produzierenden Betriebe sind aktuell nicht profitabel, sie werfen nicht genügend Einkommen für die Familie und keine Verzinsung für das eingesetzte Kapital ab. Dabei ist die ökonomische Nachhaltigkeit für das Überleben eines Unternehmens das Wichtigste, denn nur so kann es auch ökologisch und sozial nachhaltig wirtschaften. Das große Problem für deutsche Betriebe: Auf der Welt gibt es, je nach Jahr, rund zehn Millionen Hektoliter Wein zu viel, was die weltweiten Preise drückt. Man könnte salopp formulieren: Die gesamte deutsche Erntemenge ist überflüssig.

Wird sich die Situation weiter verschärfen oder werden sich die Erlöse so weit normalisieren, dass kleine Weingüter überleben können?

Loose: Die Marktbereinigung gibt es nicht nur in der Weinbranche. Der Anpassungsprozess ist hier aber nur langsam möglich. Das hat mit den extrem langen Zeiträumen zu tun, in denen Winzer handeln. Sie müssen Jahrzehnte vorausdenken. Eine Rebanlage steht 30 bis 40 Jahre und kann nur sehr aufwändig verändert werden. Verschärft wird die Lage, weil nicht alle Winzer wirtschaftlich denken. Viele wollen nicht nachrechnen, was sie wirklich verdienen. Dazu hatten wir in den vergangenen 15 Jahren die fatale Situation, dass die Finanzierungskosten bei Null lagen. Die Personalkosten sind in dieser Zeit nur moderat angestiegen. Jetzt stehen wir vor einem perfekten Sturm: steigende Zinsen und durch den zunehmenden Arbeitskräftemangel steigende Personalkosten. Schon jetzt kann jeder zweite Betrieb in der Weinbranche nicht alle offenen Stellen besetzen, vor allem Saisonkräfte fehlen überall. Das wird weiterhin zu einem massiven Druck hin zur Mechanisierung der Weinberge führen. Aber diese Investitionen muss man erwirtschaften können. Vor allem in den Steillagen sagen sich viele Winzer im Alter von 50 bis 60 Jahren: “Ich arbeite noch bis zur Rente, dann höre ich auf. Neue Investitionen lohnen sich für mich nicht mehr.”

Steillagen und Kleinstflächen können kaum noch kostendeckend bearbeitet werden
©123rf
 

Existiert in zehn Jahren nur noch die Hälfte der Weingüter in Deutschland?

Loose: Ich denke, dass wir in zehn Jahren nicht alle Rebflächen erhalten konnten, die wir heute noch haben. Mit der Hand bearbeitete Steillagen und Kleinstterrassen sind die ersten, die heute schon meist nicht mehr kostendeckend bewirtschaftet werden können - mit Ausnahmen von ein paar Ikonen. Das zweite ist die Betriebsgröße: Kleine Weingüter sind meist unwirtschaftlich. Expandierende Betriebe haben aber oft Schwierigkeiten, von der Familienstruktur zu einer Organisationsform zu kommen, die eine mittlere Management-Ebene braucht. Das will und kann nicht jeder Winzer. Manche Betriebe bekommen Probleme, weil sie für ein personengeführtes Weingut zu groß sind, aber ihre Organisationsstruktur nicht anpassen konnten. Größe rettet nicht alles. Viele kleine Betriebe müssen auf eine mittlere Größe kommen und dabei ökonomisch sinnvolle Strukturen einziehen. Auch eine noch stärkere Arbeitsteilung der deutschen Branche in effiziente Traubenproduzenten und hervorragende Vermarkter, wie wir sie aus vielen anderen Ländern bereits kennen, würde uns helfen. Es gibt die traditionelle agrarische Denkweise – irgendjemand muss meine Produkte kaufen – und eine marktorientierte Denkweise – ich muss meine Produktionsweise an Veränderungen der Käufer anpassen. Ich glaube, dass die meisten, denen die Wirtschafts-Denkweise fehlt, noch größere Probleme bekommen.

"Größe rettet nicht alles"

Und jetzt kommt auch noch der Klimawandel hinzu.

Loose: Wir haben dadurch vor allem sinkende Hektarerträge und brauchen künftig immer mehr Bewässerungsanlagen. Wer bezahlt deren Anschaffung und Betrieb? Wer baut die notwendige Infrastruktur? Das alles macht den Wein teurer. Doch viele Konsumenten sind wegen preiswerterer Alternativen meist nicht bereit, das zu bezahlen. Zudem müssen wir schon bald 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen. Das bedeutet, wir brauchen viel mehr gut schmeckende Piwi-Sorten. Derzeit werden in jedem Jahr 2,5 Prozent der Rebflächen in Deutschland neu bepflanzt. Würden wir heute schon alle mit Piwi-Sorten bepflanzen, würde die Umstellung 40 Jahre dauern. Wir merken, dass die Weinbranche beginnt, umzudenken. Dennoch wird aktuell nur ein Bruchteil mit Piwis bepflanzt. Teilweise liegt das auch daran, dass manche Piwi-Rebsorten von den Rebschulen auf Jahre nicht ausreichend lieferbar sind. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, frühzeitig in die Zukunft zu schauen und langfristig zu planen. Mutige Winzer gehen das Risiko ein und legen sich über 30 bis 40 Jahre auf eine neue Rebsorte fest, obwohl die Akzeptanz der Konsumenten nicht sicher ist.

Muss sich die Weinbranche in den nächsten 15 Jahren grundlegend wandeln?

Loose: Der Wandel ist schon da, er wird jetzt nur deutlicher sichtbar. Das globale Weinangebot ist größer als die Nachfrage, die Preise der Weine können nur in den seltensten Fällen mit den Kostensteigerungen mithalten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind oft harte Entscheidungen notwendig, wie man das steuert und den Verzehr des Eigenkapitals aufhalten kann. Es gibt aber Winzer, die nicht ganzheitlich wirtschaftlich denken und sich nur am Kontostand orientieren - also, ob noch etwas drauf ist. Dabei merken sie oft nicht, dass sie von der Substanz, also den Abschreibungen vergangener Investitionen, leben. Einen überalterten Betrieb mit hohem Investitionsbedarf übernimmt aber oft niemand. Solche Veränderungen sind verdammt hart. Man hat seine ganze Lebenszeit in den Betrieb investiert, den man schon von den Eltern übernommen hat und denen man sich verpflichtet fühlt. So was gibt man nicht einfach auf. Oft geschieht der harte Bruch erst, wenn keines der Kinder übernehmen will.

Einerseits verdienen viele Winzer nicht einmal den Mindestlohn und geben auf. Andererseits erzielen Luxus-Weinmarken immer neue Rekordpreise. Wird Wein zum exklusiven Hobby?

Loose: Laut Umfragen haben 30 Prozent der Haushalte in Deutschland am Ende des Monats kein Geld mehr übrig. Wenn sie für Energie das Doppelte bezahlen müssen, müssen sie den Betrag woanders einsparen. Im unteren Segment kann man in Deutschland aber nicht noch billiger produzieren, da werden heute schon nicht die tatsächlichen Kosten gedeckt. Diese Erzeuger sind in Gefahr, wegzubrechen. Wohlhabende Haushalte werden aber auch weiterhin guten Wein kaufen. Im Premium-Segment kann man also noch ganz gut auskommen. Premium ist heute aber schon besetzt. Sich dort als Aufsteiger einen Premium-Namen zu machen ist schwer, wenn auch nicht unmöglich. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, dass für alle deutschen Produzenten genug Platz im Premium-Segment ist.

Wie lautet Ihr Resümee?

Loose: Mit einer Ernte von nur 50 Hektoliter pro Hektar kann ein Weingut auf Dauer nur überleben, wenn es schon eine sehr starke Marke hat. Man braucht für einen erfolgreichen Betrieb mehrere Fähigkeiten, und die sind selten in einer Person vereint. Das verlangt nach einer sinnvollen Arbeitsteilung. Aber dazu muss auch die Familie funktionieren: Scheidungen, Krankheiten, Todesfälle oder Erbstreitigkeiten werfen ein Weingut zurück. Das klingt nicht romantisch, ist aber die Realität.

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