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Erbringt Spontangärung charaktervollere Weine?  Tim Bernhard hat an den Universitäten Geisenheim sowie Gießen an Studien zur Biochemie des Weins gearbeitet. Heute leitet er das Weingut Paulinenhof in Rheinhessen. Bernhard hat Kristine Bäder erklärt, wie Spontangärung funktioniert.

Was genau macht eine Hefe bei der Weinproduktion?

Tim Bernhard: Hefen sind Mikroorganismen und gehören zu den Pilzen. Sie sind so klein, dass sie nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind, ihre Größe liegt im Mikrometer-Bereich. Man kann sich Hefestämme als kleine Handwerker vorstellen, die etwas herstellen. Beim Wein wollen sie Energie produzieren - und verwandeln dazu den Zucker im Most über mehrere Stationen in Alkohol. Anfangs gibt es sie nur in geringer Zahl. Um aber den Zucker im gesamten Most zu verarbeiten, müssen Hefen eine gewisse Populationsgröße erreichen. Daher betreiben sie zunächst intensiv Zellteilung. Das nennt man Anlaufphase.

 

Welche Hefen sind für die Weingärung wichtig?

Tim Bernhard: Unter den Hefen gibt es Spezialisten, die etwas besonders gut können: Beispielsweise unter kühlen Temperaturen arbeiten. Oder bei hohen Säurewerten. Die Hefen im Most haben also unterschiedliche Begabungen. Die wichtigste unter ihnen ist die Weinhefe: die Saccharomyces cerevisiae. Sie ist die einzige, die Alkoholgehalte über zehn Volumenprozent erzeugen kann. Sie ist der “Super-Handwerker” und wird auch beim Bierbrauen und Brotbacken eingesetzt.

 

Was unterscheidet Reinzuchthefe von „wilder“ Hefe?

Tim Bernhard: Alle Hefen kommen wild in der Natur vor. Auch die Reinzuchthefe ist keine künstliche Hefe, sondern natürlichen Ursprungs. Sie wurde aber gezielt selektiert und vermehrt – zumindest in Deutschland, wo Gentechnik verboten ist. In Amerika gibt es auch gentechnisch veränderte Hefen, die beispielsweise in der Lage sind, Gärung und biologischen Säureabbau (BSA) gleichzeitig durchzuziehen. Wilde Hefen gehören aber nicht zu den Saccharomyceten, also den Weinhefen. Sie können zwar eine alkoholische Gärung in Gang setzen, sie aber nicht komplett zu Ende bringen. Wilde Hefen produzieren teils interessante Noten, es gibt allerdings auch viele, die nicht so tolle Aromen produzieren.

 

Ob “spontan” oder mit Reinzuchthefen: Die Gärung sollte zügig ablaufen

© Deutsches Weininstitut

Es gibt auch Hefen, die bestimmte Aromen ausprägen sollen.

Tim Bernhard: Manche Aromen im Wein sind an bestimmte Moleküle gebunden. Um sie zu entfalten, müssen sie zunächst abgespalten werden. Aromahefen sorgen dafür, dass diese Spaltung schneller sowie früher stattfindet. Aromahefen machen daher den Wein nicht aromatischer, sondern beschleunigen den Reifeprozess. Deshalb haben damit produzierte Weine auch kein langes Reifepotential.

 

Läuft eine Gärung mit wilden Hefen anders ab als mit Reinzuchthefen?

Tim Bernhard: Bei der Spontangärung kommt Most in den Weintank und trifft dort auf sehr viele verschiedene Hefen. Die wollen alle diesen Most besiedeln. Also fangen alle an, den Zucker zu vergären. Aber am Ende setzt sich die Weinhefe Saccharomyces cerevisiae durch und vollendet die Gärung. Beim Gären mit Reinzuchthefe beimpft man den Most mit Saccharomyces cerevisiae, die vorher aus der Natur selektiert und vermehrt worden sind. Sie breitet sich im Most schnell aus und beginnt die Gärung, bevor die wilden Hefen überhaupt aktiv werden können. Denn die brauchen viel länger, um sich zu vermehren. Das ist der große Unterschied zwischen Reinzuchthefe und wilder Hefe: Der Winzer weiß, was die Reinzuchthefe tut, bei den wilden Hefen gibt es immer einen Unsicherheitsfaktor.

 

Unter welchen Umständen gärt ein Most ohne Zusatz von Reinzuchthefe problemlos durch?

Tim Bernhard: Wenn mein Keller in Ordnung ist, nicht in jeder Ecke Schimmel sprießt, wenn die Nährstoffversorgung im Most sehr gut ist und die Temperatur passt. Und wirklich nur bei optimal gesundem Lesegut.

 

Kann man den Unterschied zwischen einer Gärung mit Reinzuchthefe oder natürlicher Hefe im Wein schmecken?

Tim Bernhard: Über die Jahre baut sich im Keller durch die Zusammensetzung der vorhandenen Hefen eine individuelle Kellerflora auf. Das ist eine Mischung aus den Hefen, die schon da sind, aus früher verwendeten Reinzuchthefen und - ganz entscheidend - auch aus den Hefen, die extern hinzukommen. Die können sich alle auch noch weiterentwickeln und verändern. Diese Kellerflora kann man tatsächlich im Wein als individuelle Note schmecken.

 

Wichtig für eine gelungene Gärung ist gesundes Lesegut

© Deutsches Weininstitut

Ergibt diese individuelle Kombination die berühmte Sponti-Note im Wein?

Tim Bernhard: Die sogenannte Spontangärungs-Note, kurz “Sponti-Note”, entsteht, wenn die Gärbedingungen nicht optimal sind. Die Spontangärung braucht länger, und dabei entstehen Unsauberkeiten und kleine Makel. Im Prinzip sind das Schönheitsfehler, die damit die Besonderheit eines Weins prägen. Inzwischen gibt es aber auch „wilde” Hefen zu kaufen, die selektiert und vermehrt wurden, um genau diese Noten in den Wein zu bringen. Sozusagen wilde Reinzuchthefen.

 

Wo verläuft bei der Spontangärung die Grenze zwischen Schönheitsfehler und Weinfehler?

Tim Bernhard: Es gibt Hefen, die nur Fehlaromen produzieren. Oder die Weinhefe schafft es nicht, sich während der Gärung durchzusetzen. Das geschieht, wenn beispielsweise die Versorgung mit Nährstoffen zu gering ist, die Hefestämme sich nicht ausreichend vermehren, es also nicht genug von ihnen gibt. Die Gärung bleibt in der Folge bei fünf bis maximal neun Volumenprozent Alkohol stehen. Das öffnet den schlechten Hefen und den Bakterien die Türen.

 

Oft heißt es: Nur Spontangärung bringt die natürlichen Aromen des Weins zur Entfaltung. Stimmt das?

Tim Bernhard: Der Mythos entsteht vor allem, weil die Kommunikation so schwarzweiß und simpel ist. Dadurch entsteht ein falsches Bild. Bei einer Spontangärung unterscheiden sich die Hefen nicht zwingend von einer Gärung mit Reinzuchthefen. Spontangärung heißt nur, dass der Winzer auf die Hefen setzt, die schon in der Kellerflora präsent sind. Das ist aber in jedem Jahrgang eine “Blackbox”.

Hinweis: Durch ein Versehen in der Redaktion ist in der ersten Fassung zunächst eine Überschrift zu lesen gewesen, die nicht der Intention und Aussage von Tim Bernhard entspricht. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

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