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Die Corona-Pandemie hat den Nutzen vieler Branchenmessen infrage gestellt. Im Gegenzug haben sich digitale Formate schneller als erwartet als gleichwertige Alternative erwiesen. Tatsächlich erscheint die klassische Formel „Fläche vermieten, um Gespräche möglichen zu machen“ im Jahr 2022 anachronistisch. Viele Winzer entscheiden sich derzeit gegen eine teure Teilnahme an der Vinitaly oder der ProWein. Was bedeutet das für die Zukunft der großen Weinmessen

Nach zwei Jahren Pause fand Mitte April in Verona die größte Weinmesse Italiens statt: die Vinitaly. Von vielen Weingütern ungeduldig herbeigesehnt, konnte sie bei weitem nicht alle Erwartungen erfüllen. Zwar war die Ausstellerfläche mit 4.400 Betrieben bis auf den letzten Quadratmeter ausgebucht, die Besucherzahlen waren jedoch rückläufig, und zwar mit 30 Prozent signifikant. Entsprechend ambivalent waren die Reaktionen nach der Messe. Viele große Unternehmen zeigten sich in offiziellen Statements „überaus zufrieden“ und feierten enthusiastisch die Rückkehr zur Normalität. 

Jahrmarkt der Eitelkeiten

Doch es wurden auch kritische Stimmen laut. Deutlich negativ fiel etwa die Reaktion von Matteo Ascheri aus, selbst Winzer und aktueller Präsident des Konsortiums Barolo und Barbaresco. Ascheri hatte sich schon vor der Vinitaly skeptisch geäußert: „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gesehen, dass wir unsere Weine auch ohne Messen verkaufen können. Ich würde sogar sagen, dass die Messen uns Winzer mehr brauchen als umgekehrt.“ 

Nun rief er nach Abschluss der Vinitaly erneut dazu auf, über den Sinn oder Unsinn der Teilnahme nachzudenken. Für sein Weingut sei dies definitiv die letzte Vinitaly gewesen. Denn sie stelle ein überholtes Format dar. Sie sei “ähnlich wie Weihnachten ein Ritual, das alle feiern, während es für die meisten jede Bedeutung verloren hat”. Er sehe Unternehmen, die exorbitante Summen ausgeben, um “mit pharaonischen Ständen” auf der Vinitaly vertreten zu sein. Drinnen sehe es aber eher nach einem Jahrmarkt der Eitelkeiten aus als nach einer Weinmesse, während sich außerhalb der Pavillons junge Leute betrinken würden. 

Der italienischen Journalistin Rossana Santolin des Online-Magazins Dissapore sagte Matteo Ascheri: „Messen hatten vor Jahren eine wesentliche Funktion, als dort Geschäfte gemacht wurden. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Wir kommen täglich mit neuen Kunden in Kontakt, und zwar mit viel weniger kostspieligen Mitteln. Heute sprechen wir mit ihnen per E-Mail, Skype oder Zoom. Wenn sie Muster benötigen, liefern wir sie schnell in die ganze Welt. Kurzum, das Geld, das in eine Messe wie die Vinitaly investiert wird, könnte besser angelegt sein.“

Investition in Weinqualität und Tourismus 

Laut Ascheri sei es demnach viel wichtiger, in die Qualität der Weine zu investieren. Dies sei neben einem attraktiven Tourismus-Angebot die beste Werbung - sowohl für ein Weingut als auch für eine Appellation. Bei jeder Marketingentscheidung, die anstehe, müsse man sich fragen: „Mache ich das, weil es alle anderen auch machen? Oder mache ich es, weil es wirklich effektiv ist?“

Viele Weingüter und Konsortien seien zu wenig mutig und hielten an altbewährten Denkmustern fest. Man müsse aber Risiken eingehen und nach neuen Wegen suchen. Die Messlatte müsse höher gelegt werden, wenn es darum gehe, Veranstaltungen zu organisieren. Messen sind kostspielig. Wer einen eigenen, mittelgroßen Stand hat und Personal mitbringt, liegt inklusive Aufbau, Reise und Unterkunft schnell bei einer Investition von 20.000 Euro. Bei diesen Preisen sollte schon die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis gestellt werden. 

Neue Konzepte braucht das Land

Sehr viele Winzer haben in den vergangenen zwei Jahren neue Wege gefunden, die eine Geschäftsanbahnung und Verkauf möglich machen. Gleichzeitig sind diese für alle Beteiligten angenehmer, kostengünstiger und vor allem auch umweltfreundlicher. Das Beispiel Online-Verkostungen zeigt deutlich, dass die Weinbranche trotzdem zusammenkommen kann. Also droht mittelfristig – nicht nur bedingt durch Corona, aber dadurch beschleunigt – ein Messe-Sterben? Die Cebit in Hannover, einst jahrelang wichtigste Informatik-Messe der Welt, gibt es schon seit 2018 nicht mehr. Die Musikmesse, einst weltwichtigste Messe für Instrumente und Technik in Frankfurt: 2022 eingestellt. Könnte damit auch die ProWein in Düsseldorf überflüssig werden?

Die offiziellen Ausstellerzahlen der diesjährigen ProWein scheinen auf den ersten Blick einen negativen Trend aufzuzeigen. Erwartet werden 5.500 Unternehmen aus 60 Nationen, das sind 20 Prozent weniger als 2019. Die gesamte Ausstellungsfläche ist geringer als vor drei Jahren, viele deutsche Aussteller haben auf eine Teilnahme verzichtet, auch aus China sind keine Unternehmen anwesend. Doch aus Italien beispielsweise ist das Interesse ungebrochen. 

Nicole Funke, Senior Project Manager bei der Messe Düsseldorf und für die italienischen Aussteller der ProWein verantwortlich, erklärt: „Die Zahl der italienischen Aussteller ist zwar rückläufig, allerdings liegt das in erster Linie am neuen Sicherheitskonzept der Messe. Es gibt aktuell keinen Stand mit weniger als neun Quadratmetern und keinen Aussteller, der nicht mindestens sechs Quadratmeter für sich hätte. Dadurch mussten wir viele Aussteller aus Italien vertrösten, aber ich bekomme ständig Anfragen nach Standfläche, auch noch zwei Wochen vor der Messe. Die Warteliste ist enorm.“

Für Nicole Funke werden Branchenmessen auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung haben. „Echte Partnerschaften und ein gutes vertriebliches Netzwerk beruhen auf zwischenmenschlichen Beziehungen, die man nicht über den Bildschirm aufbauen kann. Während der Pandemie konnte man zwar bestehende Kontakte pflegen, aber Neukunden zu gewinnen, ist schier unmöglich.“ 

Sie sieht aber auch, dass die Weingüter sich ihre Veranstaltungen besser aussuchen werden. „Viele werden sich für die eine oder die andere Messe entscheiden, je nachdem welche Zielgruppe sie ansprechen wollen. Natürlich gibt es auch alternative Kommunikationsstrategien, aber auf lange Sicht sind Messen doch die bessere Wahl. Allerdings müssen die Winzer ihre Hausaufgaben machen und sich gut vorbereiten. Wer einfach wartet, dass Händler zufällig auf den Stand stolpern, wird nie alle Möglichkeiten ausschöpfen.“

Die Messen der Zukunft werden “hybrid” sein

Vielleicht werden die Branchentreffen nicht verschwinden, sondern sich nur verändern. Denn das Bedürfnis der Menschen ist weiterhin groß, sich persönlich kennenzulernen, bevor sie ein Geschäft abschließen. Das gilt vor allem für ein so emotionales Thema wie Wein, bei dem sensorische Erlebnisse im Vordergrund stehen. Die Messewelt von morgen wird aber nicht mehr die von gestern sein. Die Messeveranstalter müssen sowohl analoge als auch digitale Konzepte anbieten, “Hybride” Messen mit digitaler und persönlicher Kommunikation werden immer beliebter werden. Der direkte Kontakt, das Anfassen von Produkten und das persönliche Erlebnis werden jedoch Stärken der Präsenz-Messe bleiben. Wenn die Organisatoren alternative, noch bessere Rahmenbedingungen schaffen, die für Aussteller und Besucher attraktiv sind, werden sie weiterhin bereit sein, auch aus dem Ausland anzureisen. 

Die Gegenposition formuliert ein aktuelles Thesenpapier des deutschen Bundesverbandes Industriekommunikation zur Zukunft von Messen: “Aussteller werden kritischer hinterfragen, in welcher Form und in welchem Umfang sich eine Vor-Ort-Beteiligung noch lohnt, wenn immer mehr Besucher die Online-Teilnahme bevorzugen. Eine Messeteilnahme mit opulenten Ständen ist daher keine Selbstverständlichkeit mehr, zumal sich der Return on Investment teurer Messeauftritte ohnehin nur schwer messen lässt.” Die Messelandschaft verändere sich derzeit insgesamt: “Mehr als die Hälfte der in einer vom Weltmesseverband UFI befragten Branchenvertreter geht davon aus, dass es weniger internationale Messen vor Ort und weniger Teilnehmer geben wird”, heißt es in dem Papier. Das bedeutet: Messen werden spezieller, kleiner und lokaler. Diese Entwicklung ist in der europäischen Weinszene längst zu beobachten: Die Bedeutung regionaler Veranstaltungen sowie Spezialmessen, beispielsweise für Bio- und Naturweine, wächst stetig.

Die Konkurrenz zwischen den großen Weinmessen wird daher immer größer werden. Nur wenige Weingüter werden bei den aktuellen Stand-Preisen überall dabei sein können  - die meisten werden sich entscheiden müssen. Vor allem die aktuelle Krise in der europäischen Weinbranche mit massiven Logistik-Problemen, rasant steigenden Kosten sowie hoher Inflationsrate wird die Messeveranstalter vor große Probleme stellen: Denn die Zahl kleinerer und mittlerer Weingüter, die ihre Messestände aus Kostengründen absagen, wird mutmaßlich rasant steigen. Jetzt müssen Messegesellschaften ihr Profil und ihre Marke mit attraktiven Angeboten sehr schnell schärfen, um sich unverzichtbar machen.

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(C) Foto: Messe Düsseldorf

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