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Wie probiert man einen Wein?
Wein probieren, Wein verkosten, Wein degustieren – drei Begriffe für denselben Vorgang. Einen Wein probiert man üblicherweise, um seine Qualität zu beurteilen. Professionelle Weinkritiker, Sommeliers (Weinexperten, die in der Gastronomie tätig sind) oder Verkoster (die z.B. als Einkäufer im Weinhandel arbeiten) tun das hauptberuflich – doch Wein probieren und beurteilen kann jeder. Daraus muss man keine Wissenschaft machen, denn Wein trinken soll in erster Linie Freude und Genuss bereiten. Eines der wesentlichen Elemente ist, dass beim professionellen Weinprobieren nicht geschluckt, sondern gespuckt wird, damit man nüchtern bleibt und das Urteilsvermögen nicht durch den anderenfalls einsetzenden Rausch getrübt wird.
Niemand käme auf die Idee, wenn er nach einem Essen gefragt wird, ob es ihm geschmeckt habe, zu antworten: “Weiß ich nicht. Dafür kenne ich mich zu wenig mit Essen aus.” Genauso unvoreingenommen, wie man sagt, ob einem ein Essen schmeckt oder nicht, kann und sollte man auch beim Wein äußern, ob er einem schmeckt oder nicht. Leute, die sich intensiver mit Wein und mit dem Verkosten beschäftigen, gehen dann nur einen Schritt weiter und fragen, warum der Wein ihnen schmeckt oder nicht schmeckt.
Insofern ist es hilfreich zu wissen, worauf man beim Weinprobieren achten kann, um für sich selbst zu erkennen, warum einem ein Wein schmeckt oder nicht, um sich darüber mit anderen austauschen zu können und um das nächste Mal beim Weinhändler zu wissen, in welche Richtung man sich weiter durch die weite Welt der Weine probieren möchte. Ob einem ein Wein zusagt oder nicht, hängt von den folgenden Kriterien ab:
Aussehen
Bereits der optische Eindruck entscheidet mit darüber, ob ein Wein gut schmeckt oder nicht. Schließlich schmeckt ein ansprechend angerichtetes Essen auch besser als eine lieblos auf den Teller geworfene Mahlzeit. Folgende Kriterien sind beim Aussehen wichtig:
- Ein klarer oder sogar funkelnder und glänzender Wein macht einen besseren Eindruck als ein matter oder gar trüber Wein.
- Die Farbtiefe lässt – in Abhängigkeit von der Rebsorte – Rückschlüsse auf den Extrakt und damit auf die Geschmacksintensität und die Qualität zu: Ein Wein, der tiefrot oder kräftig goldgelb ist, ist vielversprechender als ein Wein mit blasser, unscheinbarer Farbe.
- Der Farbton gibt Hinweise auf das Alter des Weins: Je dunkler ein Weißwein und je bräunlicher ein Rotwein ist, desto älter ist er, und das bedeutet, desto mehr ist die Primärfrucht im Geruch und Geschmack in den Hintergrund gerückt.
Geruch
Beim Riechen am Wein geht es um die Überprüfung der folgenden Fragen:
- Ist der Duft klar und reintönig oder gibt es störende Komponenten?
- Ist der Duft eher kräftig oder kaum wahrnehmbar?
- Lassen sich bestimmte Aromen (z.B. von Früchten) identifizieren? Ruft der Duft bestimmte Assoziationen hervor, etwa an Obst, Blumen, Gemüse, Gewürze, Holz oder – was bei Rotweinen vorkommen kann – vielleicht an einen Pferdestall?
- Ist das Duftspektrum vielfältig und spannend oder eher langweilig?
Alle diese Faktoren bestimmen, ob man den Geruch als angenehm wahrnimmt oder eher nicht. Es gibt Weine, die riechen nach nichts, andere duften so animierend und komplex, dass man ewig nur dran riechen möchte, andere wiederum haben eine geradezu abstoßende Nase.
Um den Geruchseindruck zu verstärken, kann man das Glas in der freien Hand oder auf der Tischoberfläche kreisen lassen, um dem Wein Sauerstoff zuzuführen, der die Aromen aufschließt.
Geschmack und Textur
Um den Geschmack und das Mundgefühl des Weins wahrzunehmen, nimmt man einen Schluck und behält ihn einige Sekunden im Mund, bevor man ihn entweder herunterschluckt oder ausspuckt. Für das Spucken stehen bei einer professionellen Weinprobe entsprechende Behälter bereit. Diese sehen meist aus wie ein Sektkühler mit einem abnehmbaren Deckel, der in der Mitte ein Loch hat. Auf Deutsch wird ein solches Gefäß als “Spucknapf” bezeichnet, auf Englisch heißt es “spittoon”, auf Französisch “crachoir”.
Auch im Mund kann man dem Wein Sauerstoff zuführen, um die Aromen aufzuschließen. Dies geschieht durch dezentes Schlürfen, doch es reicht auch bereits aus, den Wein mit der Zunge etwas hin und her zu bewegen. Auch wenn man manchmal das Gegenteil erlebt: Eine professionelle Weinprobe läuft geräuschlos ab; das Schlürfen oder Spucken sollte kaum zu hören sein. Eine hohe Schlürf-Lautstärke ist insofern keinesfalls ein Indiz für einen hohen Wein-Sachverstand; eher umgekehrt.
Beim Schmecken lassen sich folgende Fragen ergründen:
- Schmeckt der Wein intensiv und vielschichtig oder eher neutral (wie Wasser)?
- Hat der Wein eine wahrnehmbare Süße?
- Hat er Wein eine wahrnehmbare Säure? Wenn ja, ist sie harmonisch, erfrischend und anregend oder eher dominant, spitz und unangenehm?
- Hat der Wein Kohlensäure (wie Mineralwasser)?
- Hat der Wein wahrnehmbare Gerbstoffe (Tannine)? Wenn ja, sind sie grob oder fein? Sind sie geschmeidig, harmonisch und weich oder eher pelzig, trocknend und bitter?
- Wie stark ist der Alkohol wahrnehmbar? Ist er gut eingebunden und stützt den Wein oder macht er sich wärmend oder gar schärfend bemerkbar?
Gut schmecken und insofern positiv beurteilt werden wird ein Wein dann, wenn alle diese Faktoren in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und keiner unharmonisch hervorsticht.
Abgang
Der Abgang – oder auch der Nachhall, die Nachhaltigkeit oder die Länge – eines Weins bezeichnet die Zeit, die der Wein im Mund nach dem Schlucken (oder Spucken) nachwirkt: wie lange die Aromen und Geschmacksdimensionen wahrnehmbar sind und wie lange das Mundgefühl anhält. Der Abgang lässt sich in Sekunden messen und kann weniger als fünf (kurz), fünf bis zehn (mittel) oder über zehn, mitunter sogar zwanzig Sekunden oder mehr (lang) anhalten. Dabei gilt: Je länger der Abgang und je nachhaltiger der Gaumeneindruck, desto hochwertiger der Wein.
Buchempfehlung
Ein empfehlenswertes Buch, um sich dem Thema Weinverkosten praktisch und systematisch zu nähern, ist der Leitfaden “Wein degustieren” von Kurt Gibel (Hallwag-Verlag, ISBN: 9783774262522 – 9,90 €).
Kurzbeschreibung des Verlags: “Das kleine Buch ist ein völlig neuer Ansatz zur Weinverkostung. Man büffelt keine graue Theorie, sondern aktiviert mit Hilfe der bildlichen Darstellungen auf den ausklappbaren Wine Maps beide Hirnhälften gleichzeitig. Diese ganzheitliche Methode hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge und die Kunst des Degustierens wird mit Spaß und ohne Anstrengung angeeignet. Die 120 wichtigsten Verkostungsbegriffe und rund 120 Aromen werden dem Benutzer des Werks schnell geläufig. Wie es kommt, dass Weine so verschieden funkeln, riechen und schmecken, erfährt man im zweiten Kapitel. Weitere Buchteile befassen sich mit Essen und Wein sowie Weintemperaturen. Sie sollen dazu animieren, alt gewohnte Pfade zu verlassen und eigene Geschmackserlebnisse zu suchen.”