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Er gehört zu den bekanntesten biodynamischen Winzern der Welt: Gérard Bertrand erzählt mit seinem Biodynamie-Verantwortlichen Gilles de Baudus im Interview über Neugier und Verpflichtung, die pflanzliche Haut ihrer Weinberge und Rebstöcke, die wie kleine Bäume aussehen.

Die Gruppe Gérard Bertrand im Languedoc-Roussillon ist das weltgrößte Weinunternehmen, das biodynamisch arbeitet. In der südfranzösischen Region besitzt Gérard Bertrand insgesamt 17 Weingüter, die auf über 850 Hektar Weinbergen 26 Rebsorten anbauen und Weine mit zwölf geschützten Herkunftsbezeichnungen produzieren. Das Languedoc-Roussillon gilt als eine der größten Bioweinbau-Regionen der Welt: Aktuell arbeiten dort rund 1.600 Weingüter auf etwa 25.000 ha Weinbergen biologisch oder biodynamisch. Die Region bietet dazu beste Voraussetzungen: Die geografische Lage, das heiß-windige, mediterrane Klima sowie die vielen Rebsorten helfen den Winzern, Infektionen und Krankheiten zu minimieren.

Im Interview mit Werner Rüttgers erzählen der 1965 geborene Gérard Bertrand und sein Biodynamie-Verantwortlicher Gilles de Baudus über ihren schon über 20 Jahre dauernden Lernprozess und die Arbeit in Zeiten des Klimawandels.

Derzeit gibt es in der Weinszene große Diskussionen, ob Bio-Anbau und biodynamische Wirtschaftsweise im Zuge des Klimawandels genug zur Nachhaltigkeit beitragen können. Wie ist Ihre Position?

Bertrand: Biodynamie und Nachhaltigkeit sind für mich eng miteinander verbunden. Beide brauchen einen langfristigen Ansatz und eine Vision, einen Prozess, der von Dauer ist. Im Jahr 2002 beschlossen wir, das Weingut Cigalus auf biodynamische Verfahrensweisen umzustellen. Die Umstellungsphase, die wir vor 20 Jahren begonnen haben, wird noch viele Jahre weitergehen.

Warum dauert das so lange?

Bertrand: Bei der Biodynamie geht es nicht nur darum, keine synthetische Chemie zu verwenden, sondern die Natur durch Beobachtung und Interesse wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Es ist eine Geisteshaltung der ständigen Neugier, des Interesses an der Natur und der Umwelt - nicht nur an der Rebe. Es ist die Suche nach dem Gleichgewicht.

 © Gérard Bertrand

Ihnen gehören inzwischen 16 Weingüter im Languedoc-Roussillon, im September dieses Jahres kam ein weiteres im Cahors dazu. Wie funktioniert diese Suche in einer solchen Größenordnung?

Baudus: Uns stehen für die Bearbeitung der Weinberge 15 verschiedene biodynamische Düngemittel zur Wahl. Jedes Jahr erzeugen wir in fünf Kompostanlagen 2.000 Tonnen Dung von Schafen, Pferden und Rindern. 460 Hektar Rebfläche sind begrünt, wobei die Begrünung an den jeweiligen Boden angepasst ist und wie eine pflanzliche Haut wirkt, die den Boden schützt. Auf den Flächen von acht Weingütern weiden 960 Schafe, und drei Weingüter bewirtschaften ihre Rebgärten mit Maultieren, für sie gibt es eigens drei Tierpfleger. Für Biodiversität in den Weinbergen sorgen wir mit Mohn, Olivenbäumen und Bienenstöcken.

Bertrand: Biodynamie ist eine menschliche Erfahrung und Wahrnehmung. Es geht um den Kreislauf des Lebens. Die innere Einstellung und Hingabe des Menschen beeinflussen den Umgang mit dem Weinberg und den biodynamischen Präparaten deren Energie.

Biodynamie ist eine persönliche Verpflichtung

Nach welchen Kriterien treffen Sie Entscheidungen, wann und wo welche Arbeiten zu tun sind? Und wie verändern Sie diese Anforderungen – etwa im Hinblick auf Klimawandel und Ressourcenverbrauch?

Bertrand: Die Biodynamie, wie auch die Nachhaltigkeit, fordert die Verantwortung aller. Die Gemeinsamkeit ist dabei die soziale Dimension. Als wir anfingen, waren es nur Gilles de Baudus und ich. Heute sind es 80 Experten und 350 Mitarbeiter, die an diesem menschlichen Abenteuer beteiligt sind. Die Umstellung auf die Biodynamie bedeutet Lernen und Umlernen. Unsere Teams mussten die Arbeit im Weinberg und im Keller völlig neu erlernen, um sich zu 80 Experten der Biodynamie zu entwickeln. Es bedeutet ständiges Hinterfragen, Weiterbildung, kontinuierliche Verbesserung. Jeder musste den Schritt wagen, neue, umweltfreundliche Praktiken zu erlernen und umzusetzen. Diese Umstellung verlangte von jedem meiner Mitarbeiter Verantwortung. Es ist eine persönliche Verpflichtung. Ein Weinberg ist wie ein Kind, das wir viele Jahre lang erziehen.

Baudus: Die biodynamischen Präparate für alle Weingüter bereiten wir zentral in einem eigens dafür hergerichteten ehemaligen Weinkeller zu. Bei ihrer Anwendung arbeiten wir sehr präzise, denn die Arbeit in den Weinbergen richtet sich nach den Mondphasen. Nach jeder Ernte gehen mein Team und ich zwei Wochen in Klausur und analysieren anhand des Bodens, der Trauben und des jungen Weins, wie jede einzelne Weinbergsparzelle auf die Maßnahmen in der vergangenen Vegetationsperiode reagiert hat, um anschließend die Behandlung für das kommende Jahr festzulegen.

Welche Bedeutung haben die Folgen des Klimawandels in ihren Diskussionen?

Baudus: Pflanzen können sich ihrer Umgebung anpassen – und die Biodynamie unterstützt sie dabei. Praktisch bringt uns das einen ganz erheblichen Vorteil, auch mit Blick auf den Klimawandel: Biodynamie verdreißigfacht die Aktivität, also die Lebendigkeit des Bodens. Damit kann unser Boden 30-mal mehr Kohlendioxid binden als konventionell bearbeiteter.

Alchemie zwischen Innovation, Qualität und Natur

Wie gehen Sie mit Phasen extremer Trockenheit um?

 © Gérard Bertrand

Baudus: Die biodynamische Bewirtschaftung der Weinberge sorgt für einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt, so dass diese auch in trockenen, sehr heißen Sommern grün bleiben. Die Trauben werden bei Tagesanbruch von Hand gelesen, um die Frische infolge der nächtlichen Temperatursenkung zu bewahren. Dabei wird jede einzelne Parzelle zum jeweils optimalen Zeitpunkt geerntet und separat vinifiziert.

Das genügt bei diesen heißen Temperaturen?

Baudus: Die Entwicklung beobachten wir sehr genau. Ein Beispiel: Die Rebstöcke in den Weinbergen rund um unser Château La Sauvageonne sind etwa 50 Jahre alt. Sie werden im Gobelet-System erzogen und sehen dadurch aus wie kleine Bäume. Bei ihnen schützt ein Blätterdach die Trauben vor starker, direkter Sonneneinstrahlung. Dieses System der Reberziehung ist aber nur mit vier Rebsorten möglich: Carignan, Cinsault, Grenache Noir und Mourvèdre. Nur deren Zweige lassen sich so aufrecht erziehen, wie es für den aktuell nötigen Sonnenschutz erforderlich ist.

Bertrand: Wir formen unsere Zukunft, indem wir eine Alchemie zwischen Innovation, herausragender Qualität und der Natur schaffen.

Ihr Weingut Château l'Hospitalet hat sich zum Gourmet- und Wellness-Resort mit vielen Touristen entwickelt. Trägt das wirklich zur Nachhaltigkeit bei?

Bertrand: Das Resort befindet sich an einem Ort, an dem die Natur Königin ist und an dem die Erhaltung der Artenvielfalt unsere Priorität genießt. Das Château geht über die Vorgaben der Zertifizierung hinaus, um die biologische Vielfalt und die gesamte Umgebung der Weinberge zu erhalten. Seit 2010 engagiert sich das Gut bei der LPO (Ligue de Protection des Oiseaux – Vogelschutz-Vereinigung) in einem Aktionsprogramm zur Erhaltung der Artenvielfalt auf unserem Gelände. Das Landgut engagiert sich auch bei „Safer Occitanie“ für den Schutz der Fauna und Flora im geschützten Gebiet des Massif de La Clape. Mehrere Bienenstöcke wurden in den Weinbergen aufgestellt. Es ist uns wichtig, die Bestäuber-Insekten zu schützen und ihnen gute Lebensbedingungen zu bieten. Dazu gehören das Anlegen von Hecken für die Reben sowie die Erhaltung der Wasserressourcen. Die drei Restaurants des Resorts setzen auf Nachhaltigkeit und bevorzugen Bio-Produkte. Ihre Küchen pflegen die biologische Vielfalt und die Saisonalität und setzen dabei auf lokale Erzeuger, die im Lauf der Jahre zu Partnern geworden sind. Unsere kurzen Lieferketten erstrecken sich von der Küche bis ins Glas.

© Header-Foto: Marie Ormières

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