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In der traditionellen Thermenregion (Österreich) geben immer mehr Familienweingüter auf, die Rebfläche schrumpft. Über die Gründe sprach Alexander Lupersböck mit Heinrich Hartl, ÖTW-Winzer und Obmann des Gebiets.

Heinrich Hartl

Weingut Hartl

Die Geschichte des Weinbaugebiets Thermenregion südlich von Wien reicht bis in die Römerzeit zurück. Im 16. Jahrhundert galt die Gegend als „Vornehmstes Weingebiet“ im heutigen Österreich (Johannes Rasch: Weinbuch). Noch bis in die 1970er-Jahre war der „Gumpoldskirchner“ berühmt. Mit Zierfandler und Rotgipfler besitzt die Region weltweit einzigartige Rebsorten. Doch obwohl die Weinwelt nach autochthonen Sorten giert, nimmt deren Rebfläche immer weiter ab. Neben den wenigen großen, exportorientierten Betrieben sind kleine, oft nur über Buschenschänken vermarktende Familienweingüter das Rückgrat des Gebiets. Sie stehen bereits seit 15 Jahren unter Druck. Viele haben inzwischen aufgegeben, und mit der Krise im europäischen Weinbau sind viele weitere Betriebs- und Flächenaufgaben zu erwarten. Über die Gründe sprach Alexander Lupersböck mit Heinrich Hartl, dem Obmann des Gebiets. Der Winzer aus Oberwaltersdorf bewirtschaftet rund 15 Hektar, ist Vizepräsident des Niederösterreichischen Weinbauverbandes und gehört seit 2022 den Österreichischen Traditionsweingütern (ÖTW) an.

Die Rebfläche ist von ohnehin schon kleinen 2.700 Hektar im Jahr 2007 in 15 Jahren beinahe um ein Drittel geschrumpft, der Zierfandler ist von 80 Hektar auf 60 zurückgegangen. Warum?

Hartl: Unsere Betriebe sind sehr klein strukturiert und hängen stark vom Direktverkauf ab. Die großen, gut aufgestellten Weingüter kaufen fast keine Trauben zu, denn sie haben ihre optimale Betriebsgröße erreicht. Faire Traubenpreise sind die Voraussetzung, dass Flächen weiter bewirtschaftet werden. Doch überall dort, wo Trauben auf dem freien Markt verkauft werden müssen, liegen die Preise derzeit weit unter den Produktionskosten. Da ist es klar, dass Betriebe lieber gestern als morgen aufhören.

 

Erwartest du, dass noch viele Betriebe in nächster Zeit aufhören?

Hartl: Ja, definitiv.

 

Gibt es einen so großen Traubenüberschuss im Gebiet?

Hartl: Die starken Veränderungen am Markt, die wir nun in vielen Ländern sehen, hat es bei uns schon vorher gegeben. Die ältere Generation hat sich weniger um Traubenpreise gekümmert. In den vergangenen Jahren war das für viele eher eine Freizeitbeschäftigung, sie lebten von ihrer Rente und nicht vom Erlös des Traubenverkaufs. Aber die Kinder, die noch regulär im Arbeitsleben stehen, müssen die Bewirtschaftung der Weingärten in ihrer Freizeit erledigen und das tun sie sich eher nicht mehr an, wenn es sich nicht rechnet. Da wird der Rechenstift angesetzt. Und dann raus mit den Reben.

 

Wird der Winzerberuf in der allgemeinen Wahrnehmung zu sehr romantisiert?

Hartl: Es ist ein großartiger Beruf. Man muss sich aber dessen bewusst sein, dass man den Launen der Natur ausgesetzt ist und diese womöglich immer unberechenbarer wird. Das Geld ist nicht leicht zu verdienen. Wir haben geringe Hektarerträge bei uns im Gebiet. Somit ist man gefordert, eine gute Vermarktungsstruktur zu schaffen, um gute Wertschöpfung zu generieren und so gut über die Runden zu kommen.

 

Der Durchschnittskonsum liegt bei zwei Gläsern

 

Die Hektarerträge in der Thermenregion sind gering

Weingut Hartl

Die Thermenregion lebt stark vom Direktverkauf beim Heurigen. Weshalb funktioniert das nicht mehr?

Hartl: Der Absatz ist massiv zurückgegangen. Bei 100 Tagen Heurigenbetrieb pro Jahr konnte man früher den Wein von zehn Hektar Weingärten vermarkten – beim Heurigen in Kombination mit Ab Hof-Verkauf.. Heute reichen dafür zwei Hektar aus. Der durchschnittliche Konsum beim Heurigen beträgt zwei Gläser Wein pro Gast. Es wird einfach weniger Wein getrunken und weniger Wein direkt beim Winzer gekauft. Natürlich fragt man sich da: Wozu zehn Hektar bewirtschaften, wenn man nur zwei braucht?

 

Die wenigen Weingüter, die auch exportieren, brauchen nicht mehr Wein?

Hartl: Die meisten haben ihre Betriebsabläufe optimiert und die Maschinenausstattung sowie die notwendige Infrastruktur an ihre Kapazitätsgrenzen angepasst. Auch wenn es am Markt gut etablierte Marken sind: Würden sie Flächen dazu nehmen, bräuchten sie womöglich mehr Personal – aber das finden sie oft nicht. Es würden wahrscheinlich weitere Investitionen notwendig werden, und das bedeutet wirtschaftliches Risiko in fordernden Zeiten. Ich glaube, dass im Moment am Heimmarkt bei allen Weingütern Stagnation und Rücklauf ist – Wachstumspotenzial sehe ich derzeit nur im Export.

 

Die gestiegenen Fixkosten belasten kleine Weingüter mehr.

Hartl: Ja, denn man muss sie im Weinpreis unterbringen, egal, ob Du 10.000 Flaschen oder eine Million verkaufst. Der Stand auf der Weinmesse VieVinum kostet jeden gleich viel. Wenn der Traktor kaputt ist, der Stapler oder eine Maschine steht: Die Reparatur kostet für jeden dasselbe. Wenn Du sie nicht reparieren lässt, kannst Du nicht arbeiten. Du hast also nur die Wahl: Lass es reparieren, egal was es kostet oder kauf es neu. Diese Kosten belasten kleine Betriebe wesentlich stärker als jene mit hohen Flaschenzahlen.

 

Fehlerfreier Wein ist zu wenig

 

Es ist kaum zu erwarten, dass wieder mehr Wein getrunken wird – beim Heurigen oder zu Hause. Wie kann man dem begegnen?

Hartl: Wir müssen den Gästen etwas bieten, die in die Region kommen. Nur fehlerfreien Wein zu machen, ist zu wenig. Das können heutzutage alle. Ein gelungenes Konzept ist die Genussmeile im Spätsommer, wo zehntausende Menschen in der Region wandern, die Aussicht auf das Wiener Becken genießen und an Ständen verkosten können. Da verbindet man ein Natur- mit einem Weinerlebnis. Zudem müssen wir die Gastronomie viel besser ansprechen. Unsere Weine sind vielseitige Speisenbegleiter – aber unterdurchschnittlich gut platziert. Zierfandler, Rotgipfler und St. Laurent laufen auf vielen Weinkarten unter „Sortenvielfalt“ – wer bestellt das? Wir müssen viel mehr in die glasweisen Weinbegleitungen kommen. Das ist viel Überzeugungsarbeit, aber jeder Sommelier möchte seinen Gästen doch etwas Neues und Rares zeigen. Das ist eine Chance, aber unsere Weine sind nicht zwingend als Selbstläufer einzustufen.

 

Wie bekommt man die Kunden wieder in die Region?

Hartl: Nur das Tor aufzusperren und Wein anzubieten ist jedenfalls zu wenig. Wein Einkaufen wird einem heute sehr einfach und bequem gemacht – im Lebensmitteleinzelhandel und Online-Verkauf – den auch die Winzer selbst betreiben können. Wer den Weg aufs Weingut auf sich nimmt, möchte auch etwas erleben.

 

Vielleicht müssen wir Österreichs Positionierung weiterentwickeln

 

Ist österreichischer Wein zu kompliziert zu verstehen? Als Mitglied der Österreichischen Traditionsweingüter forciert ihr eine Lagenklassifikation. Viele stellen sich die Frage, ob sie überhaupt gebraucht wird.

Hartl: Jeder Betrieb hat die Chance, eine Marke aufzubauen. Das schaffen aber nicht viele. Von einer Herkunft, die durch mehrere Leitbetriebe gemeinsam kommuniziert wird, können auch nicht so bekannte Betriebe profitieren. Denn: Herkunft ist nicht austauschbar und für jeden gleich verfügbar in einem Gebiet. Aber es muss gelingen, jede Herkunft mit Weinstilen und Qualitäten so aufzuladen, dass sie etwas Besonderes ist und nachgefragt wird.

 

 

ÖWM WSNA

Fürchtet ihr nicht, dass diese Überbetonung der kleinsten Unterschiede die Kunden überfordert?

Hartl: Womöglich wirkt das System zu sehr verkopft und kompliziert. Es geht im Detail nicht darum, jede Lage weltberühmt zu machen, sondern den hohen Qualitätsanspruch zum Ausdruck zu bringen. Zur Vereinfachung bei der Vermarktung könnte ich mir vorstellen, Weinbaugebiete in womöglich fünf Regionen zusammenzufassen, deren Geschichten und Typizität man international einfacher kommunizieren könnte. Wenn es uns gelingt, österreichischen Wein als Gesamtheit sehr wertig zu positionieren, profitieren alle davon. So könnten wir die Reputation insgesamt heben: Österreich ist gut, wir haben Weltklasse-Spezialitäten.

 

Wo siehst Du die Thermenregion und Österreich in zehn Jahren?

Hartl: Ich wünsche mir, dass wir in der Gesellschaft die nötige Wahrnehmung und Wertschätzung für unser Naturprodukt bekommen. Der österreichische Wein sollte als wertiges Kulturgut und Genussmittel von unserer Wohlstandsgesellschaft geschätzt werden. Man sollte ihn als Bereicherung und Abwechslung sehen und noch dazu als ein handwerkliches Naturprodukt, das ganz stark von Herkunft geprägt ist. Das sollten wir auch international vermitteln. Im Inland können wir auch die Themen Kulturlandschaft, Regionalität, kleine Wirtschaftskreisläufe, Beschäftigung vor Ort und damit gesellschaftliche und wirtschaftliche Impulse anführen. Diese Kleinteiligkeit sollte von der Bevölkerung mehr wertgeschätzt und honoriert werden. Denn sonst sind in ein paar Jahren noch weniger von uns in dieser Branche.

 

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