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Die Portionen sind in Belgien etwas größer, das Bier ist Weltkulturerbe. Für Wein war das Land bislang aber kaum bekannt. Doch inzwischen ist es ein echter Geheimtipp für Weinfans, berichtet Matthias Stelzig.

„Wir hätten gern mehr Regen“, sagt Patrick Nijs und hebt den Blick nach oben, wo die Sonne am knallblauen Himmel lacht wie in einem Kinderbuch. Dazu passt auch sein Weinberg Steenkuyl. Hinter einem Holztor betritt man einen Hektar Rebzeilen am leichten Hang, der von Büschen und Bäumen eingerahmt wird. „Das macht ein paar Grad Temperaturunterschied aus“, erklärt der Winzer. Es ist Frühjahr – und dort dafür schon erstaunlich warm. Wer die belgische Küste mit ihrem kühlen Wind kennt, ist überrascht – und wer im Winter durch den knietiefen Schnee der Ardennen gestapft ist, kann es kaum glauben.

Sonnenuntergang über der Weite der belgischen Kornfelder.

Thomas C. Golenia

Der Osten Belgiens ist eine kleine Sonneninsel, auf der es nur wenig regnet. Deshalb klappt’s hier auch gut mit dem Weinbau. Die staubigen Böden, auf denen wir stehen, waren geologisch einst Meeresboden, später Sandbank. Heute besteht er aus den typischen Elementen solcher Formationen: Kalk, rostender Eisensandstein, Kiesel, manchmal Lehm. All das sind gute Grundlagen für Weine wie seinen roten Chansaar. Die Cuvée aus Pinot Noir und der robusten Piwi-Sorte Cabernet Dorsa hat Finesse und eine deutliche Eisennote.

Der “Kontreir” hingegen besteht aus weißen Burgundersorten und exotischen Sorten wie Phoenix und Orleans. „Zwei Lesegänge“, erklärt Patrick Nijs die Produktion, „getrennt vergoren mit wilden Hefen und spontane malolaktische Gärung.“ Der Wein hat weichen Schmelz und schmeckt nach saftigen Äpfeln, reifer Ananas und wieder Eisen. Die Säure ist frisch, die Tannine sind reif. „In fünf Jahren ist er perfekt“, schwärmt er. Nijs ist, wie einige seiner Kolleginnen und Kollegen, eine sympathische Mischung aus Quereinsteiger​ und Einzelkämpfer​. Den Keller seiner Wijnfaktorei betreibt er in Antwerpen, wo er auch einen Weinladen führt. Diese Kombination erlaubt ihm die Weinproduktion im kleinen Maßstab – und seinen Besuchern zeigen sich die zwei Seiten Belgiens.

 

Über 800 ha Weinberge - und es werden mehr

Patrick Nijjs ist einer von 290 Winzern in Belgien, die inzwischen knapp 900 ha Weinberge bewirtschaften und 2023 die größte Erntemenge des Landes einbrachten. Ähnlich wie in England begann die Weinkultur in den 1990er-Jahren zunächst mit der Sektproduktion, und nun lässt der Erfolg der Winzer und das milde Klima die Rebflächen immer weiter wachsen. Das haben auch die Kritiker des Gault Millau registriert, die 2023 dort erstmals einen Wein-Guide publizierten. Das Anbaugebiet Massvallei Limburg beiderseits der Maas ist die erste grenzüberschreitende Weinbauregion, die mit der Ursprungsbezeichnung „Appellation d'Origine Controlée“ (g.U.) anerkannt wurde.

Durch das flache Land ziehen sich schnurgerade Straßen bis zum Horizont, hinter dem die Nordsee wartet. 98 Prozent aller Belgier leben in Städten, und das gar nicht mal so schlecht. Dort wechseln sich gewundene Kanäle, mittelalterliche Architektur, Museen und kopfsteingepflasterte Gassen voller Läden und Restaurants ab. In Gent kommt dazu Belgiens größte Studenten-Population, eine kreative Musikszene und rekordverdächtig viele vegetarische Restaurants. Antwerpen, Sitz der Königlichen Akademie der Schönen Künste gilt als die coolste Stadt des Landes mit Fashion-Szene und Modemuseum. Hier mischt sich moderne Architektur mit Mittelalter-Flair. In Brüssel findet man beim Schlendern durch kleine Seitengassen auf der Grande Place gleich mehrere Rathäuser aus dem 15. ​bis 18. Jahrhundert mit Barockgiebeln, vergoldeten Statuen und kunstvollen Zunftsymbolen.

 

Bert Vandeurzen macht Weine aus Rebsorten wie Albarinho, Blaufränkisch und Tempranillo.

Thomas C. Golenia

Weltkulturerbe und Chardonnay

Ein Spaziergang oder eine Bootsfahrt durch Brügge ist wie eine Reise in ein Märchen durch ein verschlungenes Netz von baumgesäumten Kanälen, Kopfsteinpflaster und roten gotischen Back​steinfassaden, die aussehen wie Lebkuchenhäuser. Kein Wunder, dass flämische Malerei hier erfunden wurde und die gesamte Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Für kleine Pausen bietet sich überall ein hervorragendes Bier an, für tiefere Recherchen ein Besuch in Spa oder Waterloo.

Ein Vorteil von Belgien ist dabei, dass es für Besucher kaum mehr als 200 Kilometer Entfernung gibt. Egal, wo man ist, das nächste Ziel ist schnell erreicht, zum Beispiel Clos d’Opleeuw, das „früher wirklich mal ein Schlossgarten war“, beteuert Besitzer Peter Colemont. In den Mauern griff der langjährige Burgund-Importeur irgendwann selbst zur Rebschere und produzierte ein paar tausend Flaschen Chardonnay, den bereits Jancis Robinson schon bejubelte.

Etwas anders sieht es bei Vandeurzen aus. In der modernen Halle mit Glaswand türmen sich glänzende Edelstahltanks samt dazugehöriger Technik, die man sonst von Top-Weingütern kennt. Der erste Eindruck täuscht nicht: Familie Vandeurzen ist mit Software- und Testgeräte-Entwicklungen zu einer der reichsten des Landes geworden. „Wir wollten es außergewöhnlich“, erklärt Bert Vandeurzen, deshalb investierte er groß. In den Edelstahltürmen „wird die Temperatur bis auf ein Zehntel Grad genau gesteuert.“ Darin schlummern Sorten von Albarinho über Blaufränkisch und Tempranillo bis zum Grünen Veltliner. Spannend wird es aber bei einer Serie mit Chardonnay. Im Stahltank entwickelt die Sorte glasklare Sortenaromen wie Apfel, Birne und Pfirsich. Die französische Eiche gibt ihm Eleganz, das grobporige amerikanische Holz macht ihn üppig.

 

Sekt hat Tradition in Belgien seit den 1990-er Jahren. Auch Karel Hencken von der Wijndomein Aldeneyck produziert ihn.

Thomas C. Golenia

Weingüter und weite Kiesgruben

Das weiß Karel Henckens schon lange. Der Sohn eines Obstbauern, „aufgewachsen zwischen Jonagold und Conférence-Birnen“, erkannte das Potenzial der Region bereits vor fast 30 Jahren. Seine Weingärten liegen in Maseik direkt an der Maas, die hier die belgische und die niederländische Provinz Limburg trennt. Der Fluss fließt in weiten Schleifen, die in Seen auslaufen. Die ehemaligen Kiesgruben lieferten Mitte des 20. Jahrhunderts das Material für die lebenswichtigen Deiche an der niederländischen Küste. Auf diesen "maasplassen" haben Wassersportler heute viel Spaß, während die Maas Sedimente und Kiesel am Grund ablagert, die sie aus den Ardennen anschwemmt.

Hencken betreibt seine Wijndomein Aldeneyck mit Event-Programm, Führungen und großer Gastronomie. Die große Terrasse ist beim guten Wetter heute voll besetzt. An der Maas reihen sich noch ein paar Puppenstuben​-Örtchen wie das Dorf Thorn aneinander. Die Gegend ist bei Belgier beliebt als Ausflugsziel. Karel Henckens Pinot Gris zeigt viel mineralische Finesse. „20 Jahre alte Reben“, erklärt er knapp. Das ist hier wichtig: Im kühlen Klima rechnen die Winzer erst nach sieben oder sogar zehn Jahren mit guter Qualität. Anderswo reichen vier. Burgundersorten, einschließlich Chardonnay und Auxerrois, finden auf den Schwemmlandböden ein gutes Zuhause. Hencken hat Weinbau an der Mosel gelernt, in Frankreich gearbeitet und sich, wie viele ​seiner Kollegen, bei besseren Adressen in anderen Weinländern umgesehen. „Feinere Säure als die Franzosen“, will er, „aber etwas mehr Barrique und Malo, als die Deutschen akzeptieren.“ Belgien hat eben Stil.

 

Die besten Entdeckungen in Belgien

Wijngoed Thorn

Bogenstraat 12A, 6017 AV Thorn

An einem alten Maasarm liegt das Wijngoed von Harry Thorn, dass man auch mit dem Boot erreichen kann; die zugehörigen Weingärten liegen, politisch gesehen, auf niederländischem Staatsgebiet. Das pittoreske Dörfchen Thorn mit seinen weißen Häusern bietet rund 1.600 Sonnenstunden pro Jahr

Wijndomein Hoenshof

Helshovenstraat 18, 3840 Borgloon

20 Rebsorten und immer wieder neue Ideen: Apfel-, Birnen- und Orange Wine aus Eichen- und Kirschholzfässern sowie Behältern aus Granit und Lehm stehen gemeinsam mit klassischen Süßweinen auf der Karte. Besucher des zugehörigen Restaurants Johannietershus kosten sich im riesigen Garten des Vierkanthofs durch die Karte.

Entre-Deux-Monts

Heuvellandse Wijn

Diese Weinberge aus Lehm und Feuerstein mit Fossilien sind mit einer Seilbahn verbunden. In dem Mezzoklima macht Agrar-Ingenieur Martin Bacquaerts neben Weißen hervorragende Schaumweine. Dazu hat er nach dem Vorbild der Champagne schon Reserveweine eingelagert, die den Sekten eine elegante Reifenote geben. Führungen und Verkostungen nach Vereinbarung. 

Wijnkasteel Genoels-Elderen

Kasteelstraat 9, 3770 Riemst

Ein echtes Schloss mit Rosengarten und dem größten Weinberg Belgiens. Auf der Terrasse gibt es noble Häppchen. Zu den wundervollen Weinen. Unbedingt den Sekt und den Pinot Noir probieren. Schlossterrasse mit Gastronomie, Führungen, Verkostungen und Veranstaltungen nach Vereinbarung.

Wijnfaktorij – Patrick Nijs

Sudermanstraat 6a, 2000 Antwerpen

Bei einem Besuch im Weinkeller in Antwerpen kann man Verkostung, Shopping und Stadtbummel kombinieren. Sein Flessengeluk ist außerdem eine Weinschule mit Workshops, Kursen, Verkostungen und Weinevents.  

Wijnkasteel Vandeurzen

Kerkdreef 1, 3210 Linden

Die Unternehmer-Familie Vandeurzen residiert in einem Schloss. Neben der hochmodernen Kelterhalle gehören zum Weingut mehrere Restaurants, wie das Restaurant De Victoire und ein Wein-Bistro. Vor allem im Herbst gibt es reichlich Weinfeste mit geführten Touren, Master Classes und vielem mehr. 

Wijndomein Aldeneyck

Hamontweg 81, 3680 Maaseik (Aldeneik)

Karel Henckens Burgundersorten setzen Maßstäbe, das gilt auch für Sekte und Pinot Noirs. In der dazugehörenden Weinbar kann man jeden Freitag und Samstag tagsüber alle Aldeneyck-Weine degustieren. Nach Vereinbarung sind auch Weinbergs-Wanderungen und Keller-Führungen möglich.

Oud Conynsbergh Winery

Den Steenen Molen Konijnenbergstraat 2. 2530 Boechout

Nahe Antwerpen liegen die zehn Hektar der Wijndomein Oud Conynsbergh bei der pittoresken Boechout-Mühle, wo man den Wein mit lokalen Tapas genießen kann. Verkostungen jedes Wochenende und nach Vereinbarung.

Clos d’Opleeuw

Martinusstraat 20, 3840 Gors-Opleeuw

Peter Colemont macht nur einen einzigen Wein, dafür ist der aber Spitzenklasse. Seinen Premium-Chardonnay kann man nur nach Vereinbarung verkosten.

Wijnkasteel Haksberg

Kasteelweg 4, 3390 Tielt-Winge

Haksberg ist ein weitläufiges Wald- und Parkgebiet im Hageland mit einem Schloss aus dem 19. Jahrhundert, einer Weinterrasse und hügeligen Weinbergen. Auf der „Weinterrasse“ trinkt man Auxerrois und Souvignier Gris, Pinot Noir und Dornfelder. Das gastronomische Angebot reicht vom Weingenuss auf der Weinterrasse bis hin zu: „Weinschloss mieten“.

Kessthor

Kasteelstraat 17a, 3640 Kessenich

Tonny van Dael und Jan Groenen bewirtschaften einen halben Hektar, ein Teil davon in Kessenich, Belgien, der andere ein paar Kilometer weiter im holländischen Thorn. Aus ihren 18 verschiedenen Sorten produzieren die beiden in jedem Jahr acht Weine in verschiedenen Cuvées. Da die Rentner das Weingut als Stiftung betreiben, kostet jede Flasche bescheidene 7,50 Euro. Zum Tasting kann man Käse- und Schinken-Häppchen bestellen, auf Bestellung auch größere Gerichte.

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