Kühle Jahrgänge werden von vielen Weinfreunden und auch Fachleuten wegen ihrer schlanken, säurereicheren, mutmaßlich eleganteren Weine gefeiert. Das gilt für den Spätburgunder womöglich noch mehr als für viele andere Sorten. Doch so einfach ist es nicht. Denn ohne echte Substanz und innere Kraft kann Wein nicht elegant sein.
In den vergangenen Monaten probierten wir neben einer stattlichen Zahl älterer Jahrgänge und einigen 2022ern vor allem Spätburgunder der Jahre 2020 und 2021. Sieht man sich die Ergebnisse an, könnte man zu dem Schluss kommen, dass der jüngere Jahrgang dem älteren überlegen ist. Doch das Bild täuscht, weil viele der besten 2020-er bereits früher verkostet und im vergangenen Spätburgunder-Special veröffentlicht wurden. Nach drei für den Spätburgunder besonders günstigen Jahren, mussten viele Winzer 2021 wieder um Substanz und Reife kämpfen. Im direkten Vergleich der besten Weine fällt der Unterschied der Jahrgänge vor allem bei den Spitzenproduzenten deutlich auf, die aus jedem Jahrgang versuchen, das Möglichste herauszuholen.
Dennoch halten viele Beobachter den Jahrgang 2021 für besonders gelungen, weil er leichtere, elegantere und oft säurebetontere Rotweine als in anderen Jahren hervorbrachte. Doch so sehr wir feine und elegante Weine lieben, können wir dieser Ansicht nur bedingt folgen. Wir haben den Eindruck, dass Eleganz oft mit reiner Schlankheit verwechselt wird, ebenso wie Säurereichtum alleine mit Frische und Spannung. Sobald aber Eleganz durch einen Mangel an Körper, innerer Kraft (wir reden hier ausdrücklich nicht von Alkoholkraft), Tiefe und Struktur erkauft wird, ist sie keine mehr. Man stelle sich eine Balletttänzerin ohne Kraft und Körperspannung vor. Achtung, Spoiler: So etwas gibt es nicht.
Zwar ist einer der größten Fehler, die man als Spätburgunder-Produzent machen kann, jener, die Trauben zu spät zu lesen. Dicken, konturarmen, warmen, alkoholmächtigen Weinen aus zu reifem Lesegut verleiht auch beherzte Aufsäuerung oder eine noch so energische Neuholz-Behandlung keine echte Struktur. Der zweite große Fehler jedoch ist das exakte Gegenteil: die Trauben zu früh zu holen. Wer nur die Säurewerte im Auge hat oder alles daran setzt, den Alkohol niedrig zu halten und dabei die nötige Reife vernachlässigt, erhält Weine, die in ihrer Jugend recht animierend sein können; Sie werden von Weinfans und Verkostern, die vor allem auf oberflächliche Effekte achten, vielleicht sogar gefeiert. Doch lange hält der Spaß nicht an, weil den Weinen die nötige Struktur, Tiefe und Substanz fehlen.
Daher werden auch reife Spätburgunder-Jahrgänge jenen, die eine Ausreifung gesunder Trauben erschweren, im Allgemeinen immer überlegen bleiben, auch wenn das für einzelne Weine durchaus anders aussehen kann. Skeptiker brauchen nur einige Jahre in die Vergangenheit zu gehen: während Weine etwa aus den “eleganten” und säurereicheren Jahrgängen 2008 und 2010 ihre besten Zeiten in den meisten Fällen schon hinter sich haben (und das manchmal auch schon etwas länger), stehen ihre 09er Pendants oft noch in vollem Saft.
Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, wie viel guter Spätburgunder auch 2021 entstanden ist. Fast 120 Weine erhielten 88 Punkte oder mehr, ab 90 Punkten sind es immer noch knapp 50, und es steht zu erwarten, dass von jenen Betrieben, die ihre Weine generell etwas später auf den Markt bringen, noch einige hinzukommen werden. Die besten Pinots des Jahrgangs besitzen Energie, Rückgrat, oft eine herrliche Frische und vor allem auch die nötige Substanz, um gut reifen zu können. Hier kann der Jahrgang seine positiven Seiten ausspielen. Im Mittelbau finden sich 2021 viele Weine, die normalerweise etwas höher anzusiedeln wären, die oft auch ausgezeichnet schmecken, denen die nötige Substanz und Tiefe für Spitzenbewertungen am Ende aber doch fehlt. Sie konkurrieren mit den Weinen, die schon immer in der qualitativen Mittelklasse angesiedelt waren, nur oft erheblich günstiger zu haben sind. Diese Kategorie der sehr guten und dabei erschwinglichen Spätburgunder ist 2021 etwas kleiner ausgefallen als gewöhnlich, aber es lohnt sich wie immer, nach diesen Weinen Ausschau zu halten. Nur gilt hier ganz besonders: trinken Sie diese Weine, solange sie schmecken; legen Sie sie nicht erst 10 Jahre in den Keller!
Doch reden wir nicht nur von den Roten. Fast 100 der zuletzt verkosteten Spätburgunder waren roséfarben oder weiß. Und hier ist einiges in Bewegung. Während der klassische Weißherbst eher anspruchslos bleibt, hat sich über die letzten Jahre eine neue Rosé-Kultur entwickelt: weg von banalen, süßlichen Allerweltsgetränken hin zu ernsthaften Weinen mit echtem Charakter. Sie verdienen unbedingt die Aufmerksamkeit auch anspruchsvoller Weinfreunde. Bei den weißgekelterten Versionen ist der Trend weniger ausgeprägt, aber auch hier gibt es Lohnendes, und das häufig zu sehr freundlichen Preisen. Wie gut die Sekte geworden sind, haben wir ohnehin an anderer Stelle schon ausführlich behandelt; wir wollen es aber auch hier nicht unterschlagen.
Weit mehr als 600 Spätburgunder aller Farben haben wir aktuell probiert, von denen wir die besten hier vorstellen. Links zu allen Ergebnissen und den Produzenten finden Sie jeweils am Ende der Bestenlisten.