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Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) sind deutlich abgekühlt: Der Schweizer Bundesrat hatte im Mai 2021 die Verhandlungen über das gemeinsame Handelsabkommen überraschend abgebrochen – und damit die EU-Kommission mehr als irritiert. Mit der Vereinbarung sollten Zölle fallen und auch der Weinhandel deutlich einfacher werden. Markus Blaser erklärt die Hintergründe und Perspektiven.

Die Schweiz ist für Europas Weinproduzenten ein wichtiger Absatzmarkt: Für mehr als eine Milliarde Euro jährlich exportiert die EU Wein in die Eidgenossenschaft. Umgekehrt ist der Import von Schweizer Wein in die EU mit kaum 30 Millionen Euro pro Jahr nur sehr gering. Die EU ist also durchaus stärker am Zugang zum Schweizer Weinmarkt interessiert als umgekehrt.

Allerdings geht der Weinkonsum auch in der Alpenrepublik stetig zurück: 2020 reduzierte er sich Pandemie-bedingt um sechs Prozent auf knapp 2,6 Millionen Hektoliter. Zugleich gewinnen Schweizer Weine dort seit vier Jahren wieder Marktanteile: Vier von zehn getrunkenen Weiß- und Rotweinflaschen stammen aus einheimischer Produktion. Entsprechend ist der Konsum von ausländischem Wein um 154.000 Hektoliter deutlich zurückgegangen. Doch die Einfuhren haben 2020 wieder zugelegt, was selbst Experten erstaunt hat.

Die Schweiz importiert in jedem Jahr etwa doppelt so viel Wein, wie sie selbst erzeugt: Rund 1,8 Millionen Hektoliter kommen aus dem Ausland, davon etwa 1,6 Millionen aus der EU. Die Schweizer Weingüter erzeugen nur etwa 930.000 Hektoliter, wovon sie aber nur etwa 13.000 Hektoliter exportieren. Das liegt an den hohen Produktionskosten und damit oft anspruchsvollen Preisen. Schweizer Wein wird also fast ausschließlich im Inland getrunken. Daher wollen die Eidgenossen ihre Weinproduzenten vor der Konkurrenz aus dem Ausland schützen: Der Schweizer Weinbau wäre bei vollständiger Liberalisierung des Handels schlicht nicht konkurrenzfähig.

Weinberge im Anbaugebit Wallis (c) Wikipedia - Joachim Kohler / (c) Schweiz Grenzübergang: Wikipedia - Valéry Héritier

Bis zu drei Franken Import-Zoll - pro Liter

Um die einheimischen Winzer zu schützen, erhebt die Schweiz Zölle auf Weinimporte von bis zu drei Franken pro Liter, umgerechnet rund 2,75 Euro. Allerdings hat der Bundesrat schon in den 1990er-Jahren bei der Welthandelsorganisation (WTO) ein Einfuhrkontingent von 1,7 Millionen Hektolitern für Weiß- und Rotweine zu ermäßigten Tarifen ausgehandelt. Dessen Zoll liegt bei unter einem Franken pro Liter. Davon profitieren vor allem gewerbsmäßige Importeure, und so ist das Kontingent bislang nie ausgeschöpft worden.

Importeure wie Karl Schefer vom Schweizer Biowein-Pionier Delinat, der seit einigen Jahren auch in Deutschland präsent ist, bewerten die Situation allerdings sehr vorsichtig: Schefer wünscht sich beispielsweise zunächst die Befreiung von der teuren Doppelbesteuerung. Bei Schaumweinen, die zuerst nach Deutschland importiert werden, fällt die Schaumweinsteuer an. Werden sie später in die Schweiz weiterverkauft, kommt der dortige Zoll obendrauf. „Es wäre wünschenswert, wenn die Schweiz komplett in das europäische Zollsystem ‚EMCS‘ (papierloses Einfuhrverfahren) eingebunden wäre und die Zölle auf Weine gestrichen würden”, betont Karl Schefer, “im Gegenzug müsste auch die Schweiz ihre Zölle abbauen“.

Damit ist in naher Zukunft aber nicht zu rechnen. Die 2008 mit der EU begonnenen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelsektor sind schon 2010 ins Stocken geraten. Seither nehmen in der Eidgenossenschaft nicht nur Widerstände gegen weitere Liberalisierungen zu, sondern auch protektionistische Forderungen. Sie betreffen neben dem Zollkontingent sogar die zollfreie Einfuhr von Wein im privaten Reiseverkehr.

Fünf Liter privater Wein zollfrei in die Schweiz

Als der Bundesrat 2013 plante, die Freimenge von zwei auf 20 Liter pro Kopf zu erhöhen, bekämpfte der Walliser Weinproduzent und FDP-Nationalrat Jean-René Germanier die Initiative - und hatte mit Erfolg: Die Freimenge wurde, seinem Vorschlag entsprechend, auf nur fünf Liter pro Kopf erhöht. Seit Ende 2020 läuft ein Vorstoß der Önologin und FDP-Nationalrätin Simone de Montmollin, die Zollabgaben um zwei Franken pro Liter zu erhöhen, „um so den Interessen der Schweizer Weinwirtschaft stärker Rechnung zu tragen“.

Geringere Freimengen und höhere Zölle liegen allerdings nicht im Interesse der Schweizer Weinfreunde. Private Konsumenten, die ihren Wein beim Winzer oder im Online-Shop aus der EU bestellen wollen, haben die Kosten für die Zollabwicklung des Spediteurs allein zu tragen – sie betragen bis zu 50 Franken (45 Euro) pro Paket. Laut Christoph Schlee von der Weinhalle in Nürnberg macht das deren Schweizer Kunden aber nichts aus: „Dank des Franken-Euro-Kurses und des Unterschieds bei der Mehrwertsteuer entstehen trotz Zoll und Fracht fast keine zusätzlichen Kosten”, sagt er. Die fallen aber beim EU-Händler an: Etwa durch die Arbeit mit zusätzlichen Zolldokumenten oder durch Rücksendungen aufgrund von Formfehlern. „Diesen Zusatzaufwand bezahlt uns niemand,“ erklärt Schlee.

Kritik aus der EU an Schweizer „Rosinenpickern“

Daher wächst in der EU die Kritik an den helvetischen „Rosinenpickern“, die zwar Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wollen, den eigenen Markt aber abschotten. Mit dem beerdigten institutionellen Rahmenabkommens sollten deshalb gemeinsame Regeln für die Beteiligung der Schweiz am EU-Binnenmarkt festgelegt werden. Ohne das Rahmenabkommen ist die EU-Kommission aber nicht mehr bereit, die geltenden Regeln für den Marktzugang der Schweizer zu erleichtern.

Aktuell ist der Weinhandel zwischen der Schweiz und der EU durch das Agrarabkommen von 2002 geregelt, mit dem Handelshemmnisse abgebaut und ein Gemischter Ausschuss zur “Klärung technischer Fragen” geschaffen wurde. Dazu gehören etwa die gegenseitige Anerkennung von Weinbezeichnungen, darunter geschützte Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben, sowie die gegenseitige Anerkennung der Produktionsregeln für Bioweine. Die Bestimmungen dazu müssen permanent aktualisiert werden, und laut dem Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) läuft die Arbeit daran konstruktiv weiter. Ein Statement der Behörde dazu klingt dennoch sehr skeptisch: „Ob die EU-Kommission danach bereit sein wird, die nötigen internen Genehmigungsverfahren einzuleiten und die Beschlüsse zu unterzeichnen, können wir zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.“

“Die Schweiz kann nicht auf EU-Standards verzichten”

Sollte die gegenseitige Anerkennung neuer Weinbezeichnungen oder der Bio-Standards in Zukunft ausbleiben, könnten entsprechend etikettierte Weine Probleme im Handel bekommen. Dazu sagt Karl Schefer von Delinat: „Die Schweiz kann nicht auf EU-Standards verzichten. Die EU hingegen könnte schon Druck machen. Wir halten das aber nicht für wahrscheinlich.“ Denn das Interesse auf beiden Seiten scheint groß, dem Weinhandel zwischen der EU und der Schweiz keine neuen Steine in den Weg zu legen. Die Brüsseler Experten erwarten derzeit keine neuen Probleme für den Weinexport in die Schweiz. Schließlich erklären BLW und GD AGRI (Generaldirektion der EU für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung) übereinstimmend, dass ein Zollabbau weder konkret geplant noch allgemein angesprochen worden sei.

Mit Erleichterungen ist im Weinhandel EU-Schweiz zwar auch nicht zu rechnen, aber solange der Wille zur Zusammenarbeit bleibt und sich die protektionistischen Hardliner in der Schweiz nicht durchsetzen, können sich die Akteure der Weinbranche wohl wieder auf „Business as usual“ einstellen – mit all den bereits bekannten bürokratischen Hindernissen.

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