Was kostet es mich, eine Flasche zu produzieren? In schwierigen Zeiten ist es entscheidend, seine Ausgaben zu kennen. Der Berater Diego Weber schafft daher bei seinen Klienten die Mischkalkulation ab - mit oft ungeahnten Folgen.
Wenn man mit Diego Weber spricht, kommt der Unternehmensberater schnell zur Sache: „Die wenigsten Winzer kennen ihre eigenen Produktionskosten”, berichtet er aus seiner Erfahrung, "sie wissen im Allgemeinen nicht, wie viel Geld in der Herstellung einer Flasche steckt. Den Verkaufspreis müssen sie aber trotzdem festlegen. Dabei macht so manches Weingut dauerhaft Verlust.“ Es bleibt also zu wenig Gewinn übrig, um davon zu leben. Oder der Winzer zahlt gleich drauf.
Weber hat rund 70 Weinbaubetriebe in Deutschland sowie international beraten. „Dass die Weingüter keine Ahnung haben, was der Wein kostet, den sie produzieren, ist ein fast durchgehendes Muster.“ Winzer arbeiten mit sehr wenigen Kennzahlen, zum Beispiel dem Jahresumsatz. „Den Kostenanteil, der auf eine Einzelflasche entfällt, kennt keiner“, erklärt Weber.
Zwischen Mischkalkulation und fehlender Rücklage
Doch es wäre der erste Schritt, einen Preis festzulegen, mit dem der Winzer als Unternehmer (über)leben kann. Ein Klassiker ist dabei der Einstiegswein: Oft liegt der Preis für die Literflasche unter einer bestimmten Reizschwelle wie etwa fünf Euro – oder sogar darunter. Viele Winzer wissen längst, dass sie damit unter den Produktionskosten verkaufen. Schulterzuckend sprechen sie daher meist von „Mischkalkulation”. Das ist für Weber „ein anderes Wort für: Ich habe keine Ahnung von meinen Produktionskosten”.
Viele Winzer nehmen an, sie müssten den Literwein billig anbieten, damit ihre Kunden auch die besseren Abfüllungen kaufen. Die Folge ist oft, dass Betriebe mit einem Jahresumsatz zwischen 100.000 und einer Million Euro keine ausreichende - oder gar keine - Kapitaldecke haben. „Von allen Betrieben, die ich beraten habe, hatten nur wenige eine Rücklage von 100.000 Euro oder mehr. Bei einigen reichte es für zwei bis drei Monate, viele hatten gar nichts als Reserve.“
Der Markt wartet auf niemand
Zudem produzieren viele Weingüter einfach zu viel, „oft 130 Prozent, von dem, was sie absetzen können“, weiß Diego Weber. Diese Zahl deckt sich mit der allgemeinen Situation am deutschen und am Weltmarkt. Seit Langem gibt es global zu viel Wein, in manchen Jahren bis zu 30 Millionen Hektoliter. Große Produzenten in Zentralspanien oder Südamerika, die auf tausende Hektar zurückgreifen, stoßen Weine für Literpreise um 50 Cent ab – und können damit zumindest eine Weile leben, weil deren Produktion so günstig ist. Dazu kommen Inflation, Klimawandel, Zukunftsangst, Personalmangel, Krieg, Covid, Kostensteigerungen, Arbeitslosigkeit: All diese Ängste führen zu weniger Weinkonsum. Neue Generationen sehen Alkohol zudem kritisch und konsumieren weniger. Viele deutsche Winzer realisieren erst, dass all diese negativen Faktoren auch bei ihnen ankommen, wenn sie sich mit den aktuellen Fassweinpreisen beschäftigen. Riesling als deutsche Leitrebsorte mit dem höchsten wirtschaftlichen Potenzial wird in Rheinhessen und der Pfalz für nur 75 Cent den Liter gehandelt. „Ein spezialisierter Fasswein-Betrieb kann dafür gerade noch arbeiten. Ein kleiner Winzer zahlt drauf“, weiß Weber.
Laut dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gab es 15.200 Betriebe, die 2020 in DeutschlandWein produzierten. Im Jahrzehnt davor hatte etwa ein Viertel davon aufgegegeben. Die Zahl kleinerer Weingüter hat sich von 6.000 auf 3.600 fast halbiert. Im Gegensatz dazu blieb die Zahl größerer Betriebe stabil. Das bedeutet: Die Weingüter in Deutschland müssen größer werden. Die durchschnittliche Anbaufläche von 6,5 Hektar ist nicht mehr profitabel genug. Daher werden weitere Insolvenzen folgen. „Es gibt in Deutschland etwa 8.000 kleinere Direktvermarkter, meist in der Größe eines Familienbetriebs. Solche Einzelkämpfer sind am Limit“, umreißt Weber die Situation.
„Wo kommt der Euro her?“
Vor allem diese Betriebe könnten Hilfe gut gebrauchen. Marketing-Ratschläge und -Agenturen gibt es in der Weinszene genug. Doch wer wirtschaftlich am Limit ist, dem ist nicht mit Werbekonzepten und PR-Stunts gedient. „Die Frage ist einfach: Wo kommt der Euro her?“ erklärt Weber seinen Ansatz.
Ein System, das sämtliche Kosten erfasst und auf die Produkte umlegt, wäre viel mehr angesagt. Kurz: Die Vollkostenrechnung. „Das lernen Winzer oberflächlich im Alter von 19 bis Mitte Zwanzig in der Berufsschule“, erklärt Weber, „sie brauchen es in einem Familienbetrieb aber erst mit Mitte dreißig“. Das ist das Alter, in dem die Eltern meist den den Betrieb übergeben. „An der Universität ist ihnen die Kostenrechnung dagegen zu theoretisch und zu komplex”, umreißt Weber die Lücke.
Weber hat dazu eine Modellrechnung für Selbstvermarkter entwickelt, die, vereinfacht, sämtliche Kosten des Betriebs erfasst. Schon das öffnet manchem Winzer die Augen, der bislang nicht selbst auf die Idee gekommen wäre, den Familienbesitz samt Haus und Grund einzurechnen.
Die Gesamtkosten werden unterschiedlichen Warengruppen zugerechnet. Die Produktion von Spätburgunder-Lagenweinen mit alten Reben in der Steillage benötigt deutlich mehr Feldarbeit als Literweine, für die dazu keine Kosten für Barriques anfallen. Auch die Abschreibungsmodelle für Fuhrpark, Flächen und die Ausstattung der Weingüter orientieren sich nicht an steuerlichen Abschreibungszeiträumen, sondern an der tatsächlichen und individuellen Nutzungsdauer.
Es wird schwerer, sich selbst zu betrügen
Einige Kosten, wie etwa Neuanpflanzungen, können nach den Preisen von Lohnunternehmen geschätzt werden. Die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ermittelt Weber Schritt für Schritt „im Dialog mit der Betriebsleitung und den Arbeitskräften nach ihrem wöchentlichen, monatlichen oder saisonalen Stundenaufwand“.
„Viele Winzer verstehen hier zum ersten Mal, wie hoch – und wie unterschiedlich – die Kosten für einzelne Lagen und Weine sind“, resümiert er seinen Ansatz. Mit konkreten Zahlen vor Augen wird es für sie schwer, sich mit den immer gleichen Phrasen von Mischkalkulation, Einstiegspreis und Kundenbindung selbst anzulügen. Oder, wie Weber ausdrückt: „Sie macht der Betriebsleitung eine valide Vollkostenrechnung möglich. Sie ist die Basis für wesentliche, strategische Entscheidungen.“
Jedenfalls weiß der Winzer damit schon mal, wie er seinen Verkaufspreis setzen muss. Er kann sogar auf den Cent genau abgleichen, wie viel er übers Jahr investiert und wie viel er eingenommen hat. „Dabei kommt es immer wieder vor, dass einzelne Weine defizitär sind. Im nächsten Schritt legen wir fest, wo es Einsparungspotenzial gibt. Da werden die Augen manchmal groß.“
Wir behandeln die Vollkostenrechnung im Weingut in drei Teilen. Wie Weingüter von der Vollkostenrechnung im Modulsystem profitieren, erfahren Sie im nächsten Beitrag.
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