Lange Zeit waren die Fronten ziemlich klar: Bier war etwas für den Stammtisch, die Baustelle, den Fußballabend, den Grillnachmittag, Bier war der profane Durstlöscher, dem immer etwas proletarisches anhaftete. Guter Wein dagegen war und ist für Viele der Inbegriff der Hochkultur, noch das ausschweifendste Bacchanal bekommt den Anstrich der Distinguiertheit, wenn die Weine nur edel genug sind. Vor allem zur gehobenen Küche ist Wein - neben Wasser und vielleicht noch einem edlen Destillat - bislang wie selbstverständlich das einzig akzeptierte Getränk. Geht es nach einigen ambitionierten Brauern, soll sich das bald ändern.
Vor allem in einigen europäischen Ländern und in Nordamerika stemmen sich immer mehr kleine Brauereien gegen die fortschreitende Konzentration des Biermarkts auf wenige Großunternehmen und die damit einhergehende Banalisierung dieses Jahrtausende alten Getränks. Traditionelle Stile und Brauverfahren werden von ihnen gepflegt und perfektioniert, und so mancher Braumeister scheut sich auch nicht davor, Neues auszuprobieren sowie die Zutaten zu variieren und zu ergänzen. Wie beim Wein hängt auch beim Spitzenbier der Geschmack erheblich von seiner Herkunft ab, der Qualität, aber auch des Charakters seiner Zutaten. Wasser, Gerstenmalz und Hopfen sind die Grundstoffe für sämtliche Biere. Doch schon die Wahl des Hopfens prägt ein Bier entscheidend, vom Malz ganz zu schweigen, aber die Liste möglicher weiterer Zutaten und Produktionsverfahren ist lang - und längst nicht alles, was im deutschen Reinheitsgebot nicht aufgelistet ist, schadet auch dem Ergebnis.
Die Frankfurter Firma Braufactum hat es sich zur Aufgabe gemacht, den inzwischen ziemlich drögen deutschen Biermarkt ein klein wenig zu revolutionieren. Dafür trägt sie nicht nur einige der feinsten Biere von den engagiertesten Braumeistern der Welt zusammen, sondern lässt auch selbst wieder Bier nach alten Rezepten brauen. Dabei wollen Macher und Vertreiber ihre Biere nicht vor allem als Thekengetränke verstanden wissen, sondern auch als anspruchsvolle Begleiter guten Essens. Vom leichten Aperitiv und Vorspeisenbegleiter bis zum hochkonzentrierten und schweren Dessert-Bier umfasst die Bandbreite der Stile nahezu alles, was wir auch vom Wein her kennen.
Wir hatten Gelegenheit, einen Teil der Biere des derzeitigen Braufactum-Sortiments zu probieren, und obwohl wir fest entschlossen waren, so neutral wie möglich an die Sache heranzugehen, konfrontierten uns einige der Proben mit tief in uns steckenden Vorurteilen - um mit ihnen gründlich auszuräumen!
Die Probe fand in unserem Verkostungsraum in Erlangen statt. Die Reihenfolge unserer Auflistung entspricht jener der Verkostung und beginnt daher bei den leichteren, geradlinigen Exemplaren und endet bei den konzentrierten Schwergewichten.
Colonia, Braufactum, Deutschland, 5,1% | ||
Goldgelb. Deutlich an Honig erinnernder Duft mit floralen und kräuterigen Aromen, viel Hopfenblüte sowie Wacholder und ätherisches Öl. Im Mund gleichzeitig cremig und sehr herb, deutlich vom Hopfenbitter geprägt, etwas Rauch, hefige Aromen und Kräuter, cremiger Schaum, Zitrusnuancen, gewisse Tiefe, sehr guter Abgang, |
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Progusta, Braufactum, Deutschland, 6,8% | ||
Bernstein bis Rostrot. Karamell und Hefe in der Nase, etwas Honig, Südfrüchte und eine Spur Malz, aber vor allem ein eher warmes, sehr würziges Hopfenaroma. Auch im Mund würzig und dabei fast ein wenig süßlich, Aromen von Hopfen, Malz, getrockneten Blüten und bitterlichen gewürzen, dazu Noten von getrocknetem Steinobst und Zitrusfrüchten, auch deutlich dunkle Töne, ziemlich komplex, tief und lang. |
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Sorachi Ace, Brooklyn Brewery, USA, 7,6% | ||
Dunkelblond bis gold. Intensiver, ziemlich eigenwilliger, ja schon fast schräger, aber doch feiner Duft nach hellem Honig, unreifer Mango, Sellerie, Bambus, Zitronen und Zitrusschalen, Soja und hellen Blüten. Im Mund zart cremig und elegant, feinfruchtig und herb-würzig, feine Hopfen- und Kräuteraromen sowie süßlich-florale Spuren, auch Kandistöne und an alten Madeira erinnernde Aromen, ziemlich komplex, gewisse Tiefe, im sehr guten Abgang ein sehr animierendes Bitter. Aufgrund der ziemlich eigenwilligen Aromatik, wird man das Bier wohl entweder lieben oder hassen, dazwischen gibt es wenig. |
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Nora, Baladin, Italien, 6,8% | ||
Leuchtendes Gold. Süßlich-würziger Getreideduft mit hefigen Aromen, Noten getrockneter Aprikosen und kandierter Zitrusfrüchte, etwas Banane und im Hintergrund süßliche Kräuter. Fruchtig, süßlich-schmelzig und zart gewürzig im Mund, eine Spur Honig, feine Hefetöne, cremiger, zurückhaltender Schaum, moderates Hopfenbitter, gute Nachhaltigkeit, aber nur eingeschränkte Tiefe, ganz leicht verschwommenes Geschmacksbild am Gaumen, sehr guter Abgang. |
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Rodenbach Classic, Rodenbach, Belgien, 5,2% | ||
Rehbraun bis Bernstein. Holzwürziger, etwas flüchtiger und auch hefiger Duft nach Kandis und Malz mit deutlich getreidigen bis brotigen, an Sauerteig erinnernden Aromen sowie Noten von altem Weinessig. Im Mund deutlich Sauerteig, dazu getrocknete Äpfel, viel frische Hefe, getreidige Töne und etwas getrocknete Kräuter, hat Schmelz, aber auch ein wenig Gerbstoff und altholzige Noten, im Abgang klassische "rancio"-Noten, wie man sie von sehr alten, extrem lange im Holz ausgebauten Riojas kennt. |
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Oude Kriek, Boon, Belgien, 6,5% | ||
Helles, klares Rot. Klarer, süßlich-gewürziger, ein wenig an Räucherstäbchen erinnernder Duft mit Aromen von Cocktailkirschen und etwas Nelken sowie einer Spur Himbeeren und Kräuteraromen. Reintönig, fein, aber auch straff gewirkt, geradlinige Frucht mit gewissem Säurebiss, zarte Kräutertöne am Gaumen, im Hintergrund teils süßliche Gewürze, wieder eine Spur Nelken, sehr feiner Schaum, gewisse Nachhaltigkeit, ausgesprochen animierendes, feines Bitter, das auch im Abgang lange stehen bleibt. Wäre das ein Wein, man hätte der Versuchung wohl kaum widerstanden, aus ihm ein banales, süßlich-saftartiges Kindergetränk mit Alkohol zu machen, und damit seinen Charakter gründlich zu verderben. So jedoch durfte es ein rassiges, herrlich animierendes, herb-fruchtiges und feinbitteres Bier bleiben, das uns schon jetzt ungeduldig auf die nächste Terrassensaison warten lässt! |
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Cassissona, Birrificio Italiano, Italien, 7,0% | ||
Mattes Orange-Braun. Hefig-würzig und getreidig in der Nase, getrockneter Apfel, Kräuter und etwas Hopfenblüte. Herb und würzig im Mund, leicht schmelzige Frucht mit bitterlich-malzigen und hopfigen Aromen sowie etwas Getreide, sehr feiner Schaum, nachhaltig am Gaumen, harmonisch, hat Fülle und gewisse Tiefe, sehr guter Abgang, wieder mit malzigem Bitter. |
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Marzus, Braufactum, Deutschland, 5,5% | ||
Bernsteinfarben. Intensiv frisch-brotige und auch hefige Nase mit würzigen Hopfenaromen, süßlichen Malztönen und Karamell. Herb im Mund, malzig, karamellig und deutlich tabakig, dazu herb-getreidige Aromen und Hefe, nachhaltig am Gaumen, leicht cremig und recht würzig, gewisse Tiefe, mit etwas Luft setzen sich vor allem brotige und bananige Noten durch, guter Abgang. |
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Local 2, Brooklyn Brewery, USA, 9,0% | ||
Braun. Duft nach dunklem Karamell, Hefe, Getreide, etwas Malzwhisky, getrockneten Birnen und Bananen mit Noten getrockneter Orangenschale sowie ein wenig Lakritz und Honig. Rund, schmelzig und fast saftig im Mund, leicht cremige Frucht mit feiner bitterlicher Würze und getrocknet-fruchtigen Aromen, ein Hauch Schokolade am Gaumen, Malztöne und etwas Nougat, beste Balance, hat Schmelz und gute Tiefe, nachhaltig, sehr guter Abgang. Ganz hervorragend und das Schweinebraten-Bier schlechthin. |
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Oscur, Braufactum, Deutschland, 6,9% | ||
Dunkles, tabakiges Braun. Duft nach Rauchspeck und Geselchtem mit sehr herben Hofen- und Malztönen, Leder, bitterem Kaffe sowie ätherischen Noten und Lakritz. Fast ein wenig saftig wirkender Auftakt, dann schnell viel Bitterschokolade und Kaffee, wieder etwas Räucherspeck, dazu geschmorte Kräuter und Lakritz, relativ viel bittere Würze, nachhaltig, dicht und schmelzig, hat Tiefe, sehr guter, ziemlich druckvoller Abgang mit gewisser Alkoholwärme. |
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Ola Dubh Special Reserve 12, Harviestoun, Großbritannien, 8,0% | ||
Dunkles Braun. Intensiver Duft nach Bitterschokolade, Kaffee, Mocca, Malzwhisky, etwas Rauch und altem Holz mit Aromen von Wacholder und Lorbeer, Thymian und Rosmarin. Sehr herb im Mund, deutliche Whiskynote, torfig, bittermalzig, dazu etwas hefig, wieder herbe Provencekräuter-Noten, Lorbeer und Wacholder, viel Havanna-Tabak, etwas Biss und harmonischer Schaum, recht komplex, dicht, kräftig und tief, fest gebaut, oxidative Nuancen, sehr guter bis langer Abgang. |
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2007 Xyauyù Gold, Baladin, Italien, 14,5% | ||
Bernstein-braun, kein Schaum. Rauchig, kandiert, nussig und holzig in der Nase, deutlich oxidative Töne, etwas Malz und Karamell, ätherische Noten und viel Würze. Kräftig, cremig und süßlich im Mund, viel Karamell, kandierte Nüsse und Nougat, auch etwas Schokolade, ätherische Öle, nachhaltig am Gaumen, gewisse Tiefe, cremig und sehr kräftig, sehr guter, süßlicher, würziger, deutlich karamelliger Abgang. |