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Die Frage beschäftigt mich: wann wird der Weinkonsum zum Erlebnis? Braucht es einen Ausnahmewein? Einen besonders guten Jahrgang? Eine möglichst teure Flasche? Ein berühmtes Weingebiet? Die gleiche Frage etwas anders gestellt: Kann nicht jeder beliebige Wein letztlich zum Erlebnis werden? Zugegeben, eine kecke Vorstellung, die bei Weinliebhabern und –kennern Kopfschütteln und Unverständnis auslösen wird. Zumindest darf ein Wein keine Fehler haben, sagen sie. Aber: wo beginnen die „Weinfehler“ und wo enden sie?

Degustationsrunde: Pape Clément-Vertikale. Welches ist der beste Jahrgang?

Braucht es wirklich viel Erfahrung und besonders geschulte Sinne, um die feinen Nuancen und Qualitäten eines Weins zu erkennen, oder liegt das Erleben einfach im Wissen um die Qualität oder gar beim „berühmten ersten Mal“? So leicht ist die Frage also doch nicht zu beantworten und deshalb vielleicht auch nicht ganz so dumm, wie sie auf Anhieb erscheinen mag. Bevor ich diese schon fast philosophischen Gedanken weiter entwickle und in die Theorie abdrifte, erzähle ich einfach von einem Erlebnis, das wohl nur für mich ein Erlebnis war. Der Auslöser: eine „alte“ Flasche Burgunder, Jahrgang 1983, Mercurey – „Clos des Barraults“ von Michel Juillot.

 

Mercurey Clos des Barraults% Michel Juillot

Der Name des Winzers sagt mir nichts, das Weingebiet kenne ich nur flüchtig. Auf unserer Tour durch Burgund haben wir die Côte Chalonnaise, wo Mercurey liegt, nur „gestreift“ – zu stark haben uns andere Grand Cru Lagen angezogen: fast immer fixiert auf ganz große Namen und berühmte Winzer.

Der Wein, von dem ich also jetzt berichte, kommt beim Besuch guter Freunde auf den Tisch. Der Hausherr kennt meine Schwäche für Altweine und nutzt die Gelegenheit, dem Bordeauxfreund einen Burgunder vorzusetzen, einen aus dem „Museum“, wie er sagt. In den frühen Achtziger-Jahren – etwa gleichzeitig wie ich zum Bordeaux – ist auch mein Freund zum Wein gekommen. Im Schweizer Jura aufgewachsen, liegt ihm aber das Burgund näher als das Bordelais. Und so ist es bis heute geblieben: er ist der Burgunderkenner und ich befasse mich vor allem mit dem Bordeaux.

Streifzug durch die verschiedenen Weinlagen im Burgund

Drei verschiedene Weine stehen bereit. Zum Aperitif ein Vin de Pays d’Oc 2008 von der Domaine de Chabrier in Bourdic bei Uzès. Ein Weißwein aus Sauvignon Blanc und Muscat: „Petit Grain“. Ein Alltagswein, aber kein alltäglicher. Ein Wein, der sich abhebt vom Alltag und doch nicht groß und berühmt ist. Mein Freund weiß, dass ich kein Weißweintrinker bin, also setzt er mir keinen „großen“ Wein vor, zum Beispiel keinen weißen Burgunder, den er bestimmt im Keller hat. Nein, es ist ein Stück Südfrankreich: das Erlebnis liegt im Wiedererkennen, bei den Aromen: Gewürze, vor allem Muskat, Orangenblüten, Garigue… Ich fühle mich zuhause, angekommen im Süden, dort, wo ich auch zuhause bin.

Erinnerung an einen herrlichen Sommerabend in einem Innenhof in Bourdic

Da wird mir bewusst: es braucht nicht unbedingt einen großen Wein um ihn zu erleben. Viel wichtiger ist der Bezug zum Wein; viel wichtiger ist das, was ein Wein bewegen kann. In mir, in meinen Gefühlen, in meinen Erinnerungen, in meinen Vorstellungen von Genuss. Und als ob die Bestätigung dieser Erkenntnis geplant worden wäre, wiederholt sich das „Erlebnis Wein“ bei der zweiten Flasche des Abends, begleitet von ganz anderen Gefühlen.

Ein „alter Burgunder“! Nicht mehr ganz taufrisch. Die beiden Damen der Runde rümpfen die Nase, wohl zu recht, denn der Wein riecht gar nicht so, wie sonst ein Burgunder die Nase betören kann. Stinkig ist wohl noch das freundlichste Urteil. Im Gaumen setzte sich dieser Eindruck fort, wird behauptet. Doch da muss ich energisch protestieren. Zwar dominieren die etwas dumpfen Kellertöne, ein ganz klein wenig oxidativ ist er auch. Doch für das Alter noch erstaunlich frisch. Etwas Mühe bereitet mir zwar seine leichte Verstaubtheit, sein Duckmäusertum. Ich kann sogar Jungweintrinker ein stückweit verstehen, die sich abwenden und den Wein verschmähen.

 

Jeder stellt seinen eigenen Wein auf den Präsentierteller% jeder hat sein eigenes Weinerlebnis% auch im Burgund

Ich aber bleibe – als bekennender Altweintrinker – unbeirrt beim offerierten Wein. Im Gaumen zeigt sich plötzlich: eine erstaunlich präsente Struktur, leicht rauchig, mit süßen, an Crème caramel erinnernden Noten. Eleganz und Präsenz fehlen zuerst, doch sie kommen während des Abends allmählich zurück. Für mich wird der Wein immer besser, die versteckten, leisen Aromen entwickeln sich, nicht zum Sturm, vielmehr zum stillen Vergnügen. Still vergnügt schnüffle ich, betaste den Wein mit der Zunge, lasse ihn im Gaumen „zergehen“ und ahne immer mehr, was ein Weinerlebnis sein kann. In diesem Fall kein Paukenschlag, eher ein Tremolo – lang anhaltend, immer wieder leise ausschlagend…Der Wein bewegt mich, ich genieße das Erlebnis.

Die Damen sind längst zum nächsten Wein übergegangen. Cos d'Estournel 1990, ein wunderschöner Bordeaux, ein großartiger Jahrgang, eine bestens gelagerte Flasche. Zweifellos der beste Wein des Abends – nach den gängigen Kriterien. Auch für mich ist dieser Bordeaux ein Genuss. Es ist ein vorzüglicher Wein, wie ich ihn schon öfters im Glas hatte. Zugegeben, nicht jeden Tag, nicht bei jedem Besuch bei und mit meinen Freunden. Der Cos d'Estournel ist schon etwas Spezielles, etwas Großartiges, vielleicht auch ein Weinerlebnis An diesem Abend für mich aber nicht.

Gesellige Runde mitten im Burgund. Wer kann schon sagen% welcher Wein zum Erlebnis wird

Mein „Wein des Abends“ bleibt der alte Burgunder, weil ich ihn so noch nie getrunken habe, weil er ganz anders ist als fast alle andern Weine, die ich je getrunken habe. Da nützen alle gerümpften Nasen nichts, da hilft keine noch so abfällige Weinkritik. Ich kann ganz allein entscheiden, was und wie ich beim Weingenuss empfinde. Es ist mein Erlebnis, nur meines, ganz allein. Es gehört mir und jetzt zu mir. Und das ist gut so!

Herzlich

Ihr/Euer

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