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„Man nehme Nelken und zerstoße sie im Mörser. Gieße schwarzen Tee darüber und lasse ihn ziehen. Rotwein in einem Topf erhitzen. Zitrone und Orange auspressen und dazugeben. Fruchtfleisch mitverwenden. Tee dazu geben und fast zum Kochen bringen. Mit Honig süßen.“ Ein Rezept, das ich immer hervorhole, wenn es kalt wird draußen und die Nacht schon früh den Tag besiegt; Zeit der kommenden Festtage, Zeit vor Weihnachten. Es ist nur eines von mehr als 500 Rezepten, die ich auf Anhieb im Internet gefunden habe. Sie gleichen sich zwar, setzen aber immer wieder andere, neue  Akzente. Da gibt es zum Beispiel Kirschsaft, Holunderbeeren, Zimtstangen, Anissterne, Vanilleschoten, Kardamom gemahlen und, und, und – auch Wein. Es ist fast nicht zu glauben, was da alles zugefügt werden kann und darf.

Jetzt aber noch eine Schreckensmeldung: „Streit in Meißen! Figurbewusste Winzer süßen ihr Getränk mit einem kalorienarmen Süßungsmittel. Das schmeckt dem Landratsamt überhaupt nicht.“ So gibt es eben – der Amtsschimmel wiehert – in Meißen ein neues Getränk, das „Heiße Rebe“ heisst. Eigentlich ist es aber das gleiche wie das, was es auf jedem „Christchindlimarkt“ gibt: Glühwein.

Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt (Foto: P. Züllig)

Es ist kaum zu glauben, doch das Dekret aus Meißen ist selbst der ARD (MDR Sachsenspiegel) eine Minute und 56 Sekunden wert. Hier der Beweis: http://www.ardmediathek.de/mdr-sachsen/sachsenspiegel/gluehweinstreit-in-meissen?documentId=12714418. Muss das wirklich sein, darf mein Urgefühl für Weihnachten so mit Füßen getreten werden? Heiße Rebe statt Glühwein. Was wäre Weihnachten ohne den Zimt-Anis-Orangen-Nelkenduft, der dem Wein in der Weihnachtszeit entströmt? Der Weinliebhaber – ich zähle mich auch dazu – hat seit je mit dem Glühwein Probleme, und die sind viel gravierender als jene von Meißen. Wein, verschnitten mit Fruchtsäften, Nelken, Zimt und wer-weiß-nicht-was-allem, erhitzt bis knapp vor dem Siedepunkt, serviert in verzierten Tassen oder gar im Becher, darf das sein?

Für viele Weintrinker darf es nicht! Für sie ist der Wein wichtiger – vielleicht sogar edler – als jede vorweihnachtliche Adventsstimmung mit Glühwein. Jedenfalls bestehen sie darauf, dass Glühwein kein Wein ist. (Wahrscheinlich sind sie mit der „Heißen Rebe“ noch weit weniger einverstanden.) In der Öffentlichkeit meiden sie jeden Glühweinstand, und wenn es schon sein muss – wegen der Kälte, dem Partner oder der Partnerin – achten sie darauf, dass kein anderer Weinfreund dies sieht.

„Heiße Rebe“ gegen die Kälte (Foto: P. Züllig)

Nun ist aber allen heimlichen Sündern Absolution erteilt worden, und zwar durch die Chefsommelière des Fünf-Sterne-Hotels Excelsior Ernst in Köln. Sie hat im Auftrag des „Kölner Stadt-Anzeigers“ die Glühweine auf den Kölner Weihnachtsmärkten getestet und festgestellt: „... ein extravaganter, vielschichtiger Glühwein, der – geprägt von den Aromen Sternanis, Nelke und Süßholz – trotz deutlich mehr Süße außergewöhnlich gut schmeckt...“. Ein anderer Glühwein aber „überzeugt durch seine klare, kräftige Nase und schönen Weingeschmack bei dezenten Kräuternoten und geringer Süße.“ Fachlich einwandfreie Urteile in korrekter Weinsprache. Es fehlen nur noch die Parker-Punkte.

Was mich persönlich am meisten irritiert, das sind die weißen Glühweine, die es offenbar auch gibt. Für mich ist der Glühwein rot, so wie der Tannenbaum grün ist und der Schnee weiß. Alles andere ist – für mich – eine Fälschung. Doch kein Wunder, im Land der Rieslinge können sich Glühweine auch weiß färben, gut für alle erklärten Weißweintrinker.

„Glow“, so lasse ich mich belehren, sei der „Premium“ der Glühweine, hergestellt vom Weingut Friedrich Altenkirch (Rheinhessen) „aus hochwertigen Prädikatsweinen und mit erlesenen Gewürzen der Gewürzmanufaktur ‘Spirit of Spice’ verfeinert“. Der Betriebsleiter des Weinguts erklärt: „Es dominiert nicht die Süße. Der Geschmack des Weines, unterstützt durch eine individuell zusammengestellte Gewürzmischung, macht ihn zu einem Glühwein, bei dem der Wein im Vordergrund steht. Ein Glühwein für alle Weinliebhaber und Glühweintrinker, die Qualität schätzen.“

Hier geht es nicht um Qualität Foto: P. Züllig)

Ein sinniges Weihnachtsgeschenk für Weinliebhaber, denke ich. Dann werde ich aber doch wieder verunsichert. Unter 35 „Geschenkideen für Weinliebhaber“ auf „rotwein-weisswein“, dem Wein Blog für Genießer, ist Glühwein nicht dabei. Und auf der Website des Weinguts von „Glow“ glüht in roten Lettern: „Leider schon wieder ausverkauft!“ Da wäre wohl die Subskription für den Jahrgang 2013 das einzig Richtige. Oder doch nicht? Eine Tasse Glühwein hat – so lese ich weiter – mehr als  200 Kalorien, mehr als eine halbe Tafel Schokolade. Das ist für einen Schweizer hart: Soll ich jetzt auf Schokolade verzichten – auch sie gehört zwingend zur Weihnachtsstimmung – oder noch ein paar hundert Kalorien drauflegen?

Da kommen mir wieder die klugen Köpfe aus Meißen in den Sinn. Ihre Lösung: Stevia, das aus dem „Süßkraut“ gewonnene Naturprodukt, das die 450-fache Süßkraft von Zucker haben soll. Das Produkt ist seit einem Jahr von der EU mit der Bezeichnung „E 960“ als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. Also kann ich fortan auch legalen Glühwein trinken, der viel weniger Kalorien hat.

Da wäre aber noch eine Frage, die meinen Nachbarn, der – aus Überzeugung – keinen Alkohol trinkt, so sehr beschäftigt. Wie viel Alkohol steckt denn noch in einem ausgeglühten Wein? Nicht mehr viel, weil der Alkohol durch das Erwärmen verdunstet ist, sagen die einen, die anderen: „Erhitzen konzentriert den Alkoholgehalt noch weiter... aber das ist ja wohl auch der Sinn der Übung!“ Der Mindestalkoholgehalt ist gesetzlich auf 7 Volumenprozent festgelegt. Und was, wenn er diesen Wert nicht erreicht? Ist es dann kein Glühwein mehr, sondern nur noch „Heiße Rebe“?

Über die Qualität entscheiden auch die Gewürze (Foto: P. Züllig)

Nun ist die Verwirrung perfekt. Was soll ich meinem alkoholkritischen Nachbarn sagen oder ihm gar einschenken? Alkoholfreien Glühwein? Der „Chefkoch.de“ hilft mir aus der Patsche, er hat auch Glühweinrezepte ohne Alkohol auf Lager:

„Man nehme Traubensaft, Apfelsaft, Aprikosensaft, Johannisbeersaft (schwarzen), Holundersaft, Zitronensaft, Quittensaft (entbehrlich), etwas Grenadine, Heidelbeeren, gehackte Mandeln, eine Stange Zimt und einen Glühweinbeutel. Alle Säfte in einen Topf geben; Glühfix und Zimt dazugeben, auf schwacher Stufe erhitzen und 10 Minuten ziehen lassen. Glühfix und Zimt entnehmen; Heidelbeeren und Mandeln dazugeben und servieren.“ Ich schreibe schon mal den Wunschzettel für all diese Säfte, damit sie dann nächstes Jahr, wenn wieder Weihnachten ist, alle auch wirklich da sind. Den „Glühweinbeutel“ kann ich dann immer noch auf dem Weihnachtsmarkt kaufen.

Die Zeit des „Becherns“ ist vorbei. Zum Wohl! (Foto: P. Züllig)
Eigentlich bleibt mir nur, nach all den heißen und weniger heißen Reben, allen Leserinnen und Lesern meiner Kolumne frohe Festtage zu wünschen. Nach all dem Adventsstress rund um den Glühwein darf ich wohl wieder die Becher und Tassen mit Gläsern vertauschen, im Keller einen Wein holen – roten oder weißen – aus Bordeaux, von der Rhône, aus Rheinhessen oder der Pfalz – und anstoßen auf schöne Festtage und ein glückliches neues Jahr wünschen. 2013 ist schon in Sicht, und ich denke, auch da gibt es wieder Wein, Glühwein, vielleicht sogar Heiße Rebe oder, wenn es gar zu heiß ist, kühlen Rosé.

Herzlich
Ihr/Euer

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