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Bordeaux, Jahrgang 2007. Robert Parker, der Papst aller Weinpäpste, lässt verlauten: „Es ist zweifellos überhaupt nicht nötig, diese Weine als „en primeur” zu kaufen, es sei denn, ein drastischer Preisnachlass findet statt. Den erwarte ich aber nicht, um ehrlich zu sein.” Parker hat recht, einen Preissturz gibt es nicht. So um 10% kosten durchschnittlich die Weine weniger als im Jahr zuvor, vielleicht 15 % weniger als bei den „besorgniserregenden, horrenden Preise des Jahrgangs 2005”(Parker). Der Bordeauxliebhaber ist ratlos. Soll er subskribieren, soll er nicht?

 

 

Das Orakel: Margerite oder Gänseblümchen


Als Kinder liebten wir es, das Orakel zu befragen. Von einer Margerite oder einem Gänseblümchen zupften wir alle Blütenblätter: „sie liebt mich - sie liebt mich nicht - sie liebt mich…”, bis nur noch das gelbe Köpfchen übrig blieb. Wenn das letzte gezupfte Blütenblatt mit „sie liebt mich!” begleitet war, konnten wir glücklich und zufrieden sein, andernfalls wiederholten wir das Spiel, bis es so endete, wie wir erhofften.

Bordeaux-Liebhaber sind versucht, vor der Subskription des recht mittelmässigen Jahrgang 2007 das Kinderspiel zu wiederholen: „subskribieren - nicht subskribieren - subskribieren….”. Wenn das Orakel etwas anderes besagt, als die eigenen Wünsche möchten, kann es ja beliebig wiederholt werden.

 

 

 

 

Herbst 2007% kurz nach der Lese im Haut-Médoc


Was ist los mit dem Bordelais? Auch wenn es niemand so recht wahrhaben will - auch ich nicht! - hat die Bordeaux-Freaks doch eine tiefe Verunsicherung erfasst. Nichts ist mehr so, wie es bisher war. Nicht einmal auf Parker kann man sich verlassen.

Ich bin überzeugt, diese allgemeine Irritation war der Hauptgrund, weshalb kürzlich weit über 200 Weinliebhaber zu einem Anlass pilgerten, der als „Bordeaux-Parcours” ausgeschrieben war und von René Gabriel ausgesteckt wurde. 18 Posten, verteilt über das Kerngebiet von Bordeaux: Haut-Médoc, Graves, Sauternes, St-Emilion und Pomerol, mit einem Abstecher zur Cotes de Blaye und nach Entre-deux-Mers. Aber nicht vor Ort, konzentriert im Weinkeller eines bekannten Weinhauses.

 

 

 

 

Bordeaux-Parcours


Gewonnen hat niemand auf diesem Parcours, es sei denn an Erkenntnissen, die (wenigstens für mich) im Satz gipfelten: „alles ist anders geworden im Bordelais”. Solche Radikalaussagen sind zu überprüfen, selbst wenn sie nicht einfach nachgeplappert sind, sondern dem eigenen Überlegen und den eigenen Erfahrungen entspringen. René Gabriel hat zwar etwas Ähnliches gesagt und andere Bordeauxkenner tun es auch: Bordeaux hat sich gewandelt. Tüchtig gewandelt in den letzten Jahren.

Bei den Châteaux: Die Zeit der „Familienbetriebe” ist - zumindest bei den namhaften Weingütern - längst vorbei. Es sind nicht mehr nur die Lurtons, welche eine stattliche Zahl bedeutender Weingüter besitzen. Es sind heute Handelshäuser, Investoren, Versicherungen, Global Players, Warenhausbesitzer, Vermarkter von Luxusgütern, Schauspieler…., die den Ton angeben und die vorerst einmal fast unbeschränkt investieren: in die Anlagen zur Vinifikation, in die Keller, in die Aufbereitung, in die Rebberge, in die Beratung. Sie können es sich leisten, auch in sogenannt „schlechten Jahren” ein Höchstmaß an Aufwand zu betreiben und den Ertrag drastisch zu reduzieren. Resultat: hat es vor 10, 15 Jahren nur etwa 50 Châteaux in der „oberen Liga” der Bordeaux-Gewächse gegeben, so sind es heute gut und gerne 200 Châteaux, die dazu gehören. Der Spitzenwein in Bordeaux wird immer mehr - unabhängig von der oft launischen Natur - einfach „nur” gemacht, erarbeitet durch präzise Analysen, sorgfältige Selektion und mit Hilfe aller nur erdenklichen technischen Mittel: Ionenaustausch, Umkehrosmose, Schleuderkegelkolonne, Zentrifugieren, Flotation, Mikrooxigenation, Elektroporation, Konzentration, Fraktionierung und, und, und...

 

 

 

 

René Gabriel bei der Bordeaux-Analyse

Auch wenn diese Möglichkeiten noch recht unterschiedlich zur Anwendung kommen, so ist die Entwicklung für mich - Bordeauxtrinker - unübersehbar: Der Unterschied von den höchstbezahlten Spitzenweinen zur nächsten Qualitätsstufe (etwa die Superseconds) wird immer kleiner. Ja, oft überflügelt sogar die zweite Garde die hochgejubelten „gekrönten Häupter”. Selbst sogenannt „kleine Weine” - namenlose, wie man im Bordeaux sagt - finden immer häufiger den Anschluss an die Spitze. „Selbst in einem Jahrgang wie 2007 gibt es unter den namenlosen Kleinen einige schöne Weine. Sie werden nur selten „en primeur” angeboten, verdienen aber die Aufmerksamkeit der Konsumenten angesichts der Leistung der Produzenten.”(Parker) Um dies gleichsam zu unterstreichen, gibt Parker einem Supérieur aus Entre-deux-mers, „Bouscat Les Portes de l'Ame”, 91-93 Punkte, mehr als dem renommierten Gruaud-Larose (87-90 Punkte) aus Saint Julien, einem Weingut, das generell immer mehr zur Spitze aufrückt.

Der Wandel im Bordeaux-Bereich zeigt sich auch bei den Konsumenten. Generationenwechsel, nennt es René Gabriel. Die „alte” Generation, die einst in den Siebzigerjahren dem daniederliegenden Bordelais mit ihrer „Sammelwut” und Zuneigung auf die Beine geholfen hat, stirbt allmählich aus. Was an Weinen übrig geblieben ist, taucht nun auf Auktionen auf.

 

 

 

 

Château Margaux - einmal aus anderer Perspektive


Die folgende Generation, die dann Bordeaux als Leidenschaft für hohe Qualität entdeckt hat, betrachtet ungläubig den aktuellen Marktwert der einst noch zu „vernünftigen” Preisen eingekellerten Weine. Selbst Weine im mittleren Bereich, von sogenannt guten Jahrgängen, werden jetzt um das x-fache gehandelt. Da ist die Versuchung nahe, zu verkaufen und Gewinn zu machen.

Ich gehöre zwar offensichtlich dieser Generation an, denn ich ertappe mich immer häufiger beim Gedanken an den Preis, wenn ich „an einem ganz gewöhnlichen Tag” abends noch eine Flasche öffne. Ist dies also der „berühmte Alltagswein”, der heute gut 50 oder 70 Euro kostet? Die Versuchung liegt nahe, die gehorteten Flaschen auf den Markt zu bringen. Ich mache es nicht, sondern genieße viel lieber den Augenblick, begleitet vom sonst seltenen Bewusstsein, mir täglich einen „Luxus” leisten zu können. Diese Generation hat weitgehend (für sich) entschieden: keine Subskription bei mittelmäßigen Jahrgängen und überhitzten Preisen.

 

 

 

 

Bordeaux immer früher trinkreif

Und die neue Generation? Die ist größtenteils in fernen Ländern zuhause. Parker: „Es gibt Spekulationen, dass einige asiatische Länder, vor allem Indonesien, Südostasien und Korea sowie Russland und Indien an der Subskription interessiert sind. Im Großen und Ganzen tendieren aber die größten asiatischen Märkte dazu, abgefüllte Flaschen zu kaufen und nicht Verträge für Weine abzuschließen, die noch fast zwei Jahre auf den Châteaux in Barriques ruhen.”

Zu dieser „neuen Generation gehören auch all die Luxustrinker, für die Wein letztlich nur Wohlstand, Prestige, Erfolg bedeutet. Diese neue Generation setzt ihre Interessen durch: Der Wein muss ein Luxusgut und recht bald -- nicht erst in 10 Jahren - mit Genuss zu trinken sein. Darauf richtet sich das Bordelais ein. In der Preisgestaltung und bei der Vinifikation. Parker: „Die meisten Weine des Jahrgangs 2007 können konsumiert werden, sobald sie in Flaschen sind (viele sind so frühreif, dass sie dies schon bei der Fassprobe verraten)… Die meisten Verbraucher werden wahrscheinlich diesen Stil lieben, denn die Topweine des Jahrgangs sind trotz allem schmeichelhaft und verführerisch”. Damit verabschiedet sich das Bordelais vom Ruf nach langsamer Reifung und langer Lagerpflicht.

Und jetzt? Soll der 2007er subskribiert werden? Am besten zieht man doch die Margerite zu Rat und entscheidet dann. Bei mir hat das Schicksal entschieden: Der letzte Versuch am Blütenkranz endete auf des Stichwort „nicht subskribieren”! Und es ist wie bei jedem Orakel, man muss nur fest daran glauben.

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)
 

 

 

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