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In der Wein-Diskussion um den besten oder den schlechtesten Tropfen kommt etwas sozusagen nie vor: die Politik. Es scheint, als ob alle - Händler, Produzenten oder Konsumenten - einen grossen Bogen um das Thema machen. Politik hat beim Wein nichts zu suchen! Oder vielleicht doch? Es ist die Geschichte, die uns eines Besseren belehrt. Letztes Jahr gedachte das Languedoc der „Révolte des Vignerons” vor hundert Jahren.

 

 

Publikationen zum Winzeraustand im Languedoc im Jahr 1907


Die Fakten: In den Jahren nach 1904 lässt sich der Wein aus Languedoc/Roussillon, der grössten Weinregion Frankreichs, kaum mehr verkaufen. Die Regierung spricht von Überproduktion, die Winzer machen hingegen die Steuern und Importe dafür verantwortlich. Im Februar wird im Herzen der Languedoc (Aude) ein Steuerstreik ausgerufen. Ein Aufstand beginnt. Vom April bis Juni versammeln sich jeden Sonntag Tausende von Winzern immer in einem andern Ort der Languedoc. Bei der letzten Demonstration in Montpellier protestieren bereits 800‘000 Menschen, doch die Regierung hat kein Ohr für ihre Anliegen. Georges Clémenceau, damals Parlamentspräsident, setzt Truppen ein. In der Folge: Strassenschlachten in Dörfern und Städten, bei denen 6 Menschen sterben, darunter ein Mädchen von 15 Jahren.

 

 

 

 

Clémenceau schickt Truppen in den Süden um den Aufstand niederzuschlagen (Publikation „la Révolte des Vignerons”% 1984)


Dies war der traurige Höhepunkt einer harten Auseinandersetzung. Die Regierung zog die Truppen zurück, die verhafteten Anführer erhielten Amnestie, das Parlament verbot die Herstellung von Kunst- und Zuckerweinen. Aus dem neuen Gesetz bildete sich später die Bezeichnung der AOC-Weine, (Appellation d'origine controlée), welche noch heute Güte und Herkunft der französischen Weine garantieren soll.

Warum ich dies alles erzähle, liegt es doch hundert und ein Jahr zurück? Doch - sind uns die Abläufe nicht bestens bekannt, aus jüngster Geschichte? Sonntags-Demonstrationen, die Unfähigkeit der Regierungen, auf die Anliegen der Bürger  zu hören, darauf zu reagieren, die Forderung der Winzer, Überproduktion, Import, Kunstwein, Zerfall der Preise, hohe Steuern….

Das eine oder andere wird heute sicher anders ausgelegt, anders gesehen und in einem kapitalistischen oder marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem auch anders bewertet. Sachbeschädigung, Zerstörung und Gewalt werden als illegale Mittel des Protestes gebrandmarkt. Doch, Hand aufs Herz, ist alles so ganz anders?

 

 

 

 

Kampf der Winzer im Languedoc im Jahr 2007: Ein Anschlag der 3 Millionen Euro Schaden verursacht


Politik hat heute noch genau so viel mit der Weinproduktion zu tun wie einst vor über hundert Jahren: Steuerpolitik, Umweltpolitik, Arbeits- und Sozialpolitik, Handelspolitik… Ich frage mich: Warum darf oder will man nicht darüber reden oder schreiben? Zum Beispiel über die Ausreissaktion der EU, die damit der europäischern Überproduktion Herr werden will. Gleichzeitig aber drängen - von der EU gefördert - neue Märkte in das Wein-Geschäft, gleichzeitig werden Vorschriften gelockert, werden vereinfachende Produktionsmethoden legalisiert….

 

 

Ein Aufschrei geht jetzt durch die Runde. Ich weiss: so einfach ist es auch wieder nicht! Nein, so einfach ist es nicht, aber es ist so politisch, unendlich politisch. Da beginnen meine ernsthaften Zweifel, meine Vorbehalte. Warum darf nicht darüber geredet werden? Warum?

 

 

Weine von den Golan-Höhen aus Galiäa und der Wüste Negev


Kürzlich hat ein Weinfreund im Forum die Ansicht geäussert: „Ich finde Weine aus Israel politisch und ökologisch problematisch. Israel bohrt z.B. seit Jahren urzeitliche, nicht regenerierbare Tiefenreservoirs an, die unter eigentlich palästinensischem Gebiet liegen. Dieses Wasser wird nicht nach einem Schlüssel verteilt, der den Anteil der palästinensischen Bevölkerung fair berücksichtigt, sondern bevorzugt an aus UN-Sicht zionistische illegale Siedler.”  Wow - das war zu starker Tobak! Ich habe es geahnt - die Reaktion fiel entsprechend heftig aus, nicht etwa argumentativ, nein, sie wurde mit „Steinen” oder mit Keulen vorgetragen.

Unabhängig davon, ob der formulierte politische Schluss richtig, zeitgemäss, wirksam oder gar klug ist: Man darf in einer Weindiskussion den Zusammenhang Wein-Politik herstellen. Man darf auch bei „Liebkindern” nach dem politischen Kontext fragen. Oder darf man dies etwa nur bei China anlässlich der Olympiade, während vorher und nachher viele der Protestierenden mit dem gleichen Land die besten „Geschäftsbeziehungen” pflegen ( „made in China”). Oder war dies nur erlaubt bei kommunistisch regierten Ländern während der Jahre des „kalten Krieges”? Nur zulässig, ja sogar tugendhaft, in Bezug auf Südafrika zur Zeit der Apartheid?

 

 

 

 

Schon fast ein politischer Skandal: am 60. Geburtstag des Landes Rheinland-Pfalz wurde Wein aus Hessen ausgeschenkt


Die Frage nach einem politischen Kontext ist nicht nur zulässig, sondern sehr oft auch notwendig. Es müssen nicht immer hochdramatische Grundsatzfragen sein. Sie können auch Reglementierungen, die soziale Wohlfahrt, die Umwelt, das Arbeitsrecht etc. betreffen. Auch in der Preisgestaltung hat die Politik einen nicht zu unterschätzenden Einfluss: sei es durch Steuern, Zölle oder Deklarationsvorschriften.

Auch indirekt wird Politik gemacht: durch Verbände, Handelsabkommen, Grossverteiler, Umweltschützer… Nein, Wein ist definitiv auch ein Politikum. Und weil dies so ist, sollte der Wein-Konsument nicht nur geniessen, sondern auch lernen politisch zu denken. Um vor der eigenen Haustüre zu bleiben: nur politisch ist zu verstehen, dass das Wallis, der grösste weinproduzierende Kanton der Schweiz (ca. 40%), aus lokalpolitischen Gründen und Eigeninteressen den schweizerischen Weinbauernverband verlassen und so die übrige Weinschweiz in bezug auf Werbung, einheitliche Reglementierung und gemeinsame Politik lahm gelegt hat.

 

 

 

 

Grösstes Weinanbaugebiet in der Schweiz% das Wallis


Die verhasste neue AOC Regelung wurde inzwischen im Parlament bereits zu Gunsten des weinstarken Wallis geändert. Vielleicht müssen wir Weinkonsumenten, Weinliebhaber, Weinphantasten doch ab und zu politischer denken und argumentieren. Dann könnten wir das eine oder andere vielleicht auch besser verstehen. Denn Politik und Wein, das darf nicht nur, das muss auch sein!

 

 

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig) 

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