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Dekantieren, Karaffieren, Präsentieren, Dekorieren – Begriffe, die Weinliebhaber mitunter in Rage bringen. Dabei geht es auch – aber nicht nur – um den richtigen Umgang mit dem Wein. Soll er in der Flasche auf den Tisch kommen oder in einer Karaffe (die auch ein Dekanter sein kann)? Zumindest das Dekantieren und Karaffieren wird mit der richtigen Weinpflege begründet und endet nicht selten in einem unversöhnlichen „Glaubenskrieg“. Die eine Frage: „Wie viel Luft braucht der Wein?“ Dazu gesellen sich die guten, besonders aber auch die unguten Erfahrungen: Ein Wein hat sich – an der Luft – wunderbar entfaltet, oder – weit häufiger in Erinnerung – er ist in kürzester Zeit zusammengebrochen, hat sich aufgelöst in eine braune, oxydierte, untrinkbare Sauce. Die andere Frage: „Muss ein allfälliger Bodensatz überhaupt vom Wein getrennt, das heißt dekantiert werden?“ Gibt es den Bodensatz (und allfällige Schwebstoffe) bei modernen, meist  jung getrunkenen Weinen noch? Braucht es die rituelle Kerze, die beim Dekantieren den Wein durchleuchtet?

 

Karaffe% Dekanter% Dekantier-Karaffe oder Weinkrug (Foto: Peter Züllig)

Eine jede Antwort, sie mag noch so richtig oder falsch sein, führt unweigerlich zu heftigen Diskussionen. Es beginnt schon beim Begriff: Dekantieren oder Karaffieren? Sprachlich ist es eigentlich klar. Dekantieren bedeutet so viel wie: „Trennen einer Flüssigkeit von der festen Substanz, die sich am Boden abgelagert hat“. Das Karaffieren hingegen hat die Belüftung des Weins zum Ziel, damit sich die Aromen verbessern (oder überhaupt erst entwickeln) können. Doch beides geschieht mehr oder weniger in der gleichen Art, und es werden die gleichen Gefäße benutzt, die beim einen Dekanter und beim anderen Karaffe heißen. Wer dem (aus dem Sprachgebrauch) unweigerlich folgenden Disput ausweichen will, benutzt eben eine Dekantier-Karaffe oder gar einen Weinkrug.

Mir scheint, da geht es längst nicht mehr um den Wein als vielmehr um Prestige. Undenkbar, dass ein besonders kostbarer Wein (teuer, alt oder rar – vielleicht auch all das zusammen) „nur“ in einem anonymen Glasbehälter (eben einer Karaffe) auf den Tisch kommen soll. Wenn dies aus weinpflegerischen Gründen trotzdem geschieht, stellt man auch die Flasche mit auf den Tisch. Ein Bugatti wird schließlich auch nicht verhüllt auf dem Parkplatz vor der Villa geparkt. Wie sehr das Thema in Weinkreisen immer wieder für Aufregung sorgt, zeigt ein Beitrag im angesehenen Blog „Captain Cork“ unter dem Titel „Der dekantegorische Imperativ“, bei dem es um das Dekantieren (pardon: Karaffieren) von Altweinen geht: „Wenn ich nun einen alten Wein dekantiere und ihn über Stunden in der Karaffe lasse, dann dient das Bad in der Kanne nur einem Zweck: Belüftung. Wein braucht das, egal in welchem Stadium. Ich hab es schon unzählige Male erlebt. Aber genau davor warnt mich die Experten-Lobby der Weinblogger und Besserwisser. Irgendwer behauptete mal, dass man Altwein nicht dekantieren dürfe. Seitdem plappern Journalisten, Blogger und andere Schlaumeier diesen Blödsinn nach.“

 

Vorbereitung zur Degustation mit 30 Weinen – alle in einer Karaffe (Foto: Marcello Weiss)

Da ist Captain Cork aber massiv eingefahren, provokativ. Er hat auch prompt 31 „Gefällt mir“ und neun Wortmeldungen. Auf Facebook und in diversen Blogs ging die Diskussion weiter, zum Beispiel so: „Handle immer nur unter der Maxime, als dass du den Wein, den du trinken willst vorher unbedingt dekantierst! Das ist mein dekantegorischer Imperativ! Das Fazit daraus lautet: Dekantiere deinen Wein, immer!“ Dieser absolut anmutenden (aber nicht so ganz klaren) Aussage fügten sich mehr als fünfzig Kommentare an. Und da geht es – wie fast immer bei diesem Thema – um eigene Erfahrung, längst gemachte Meinung und Begriffsdefinition. Zum Beispiel: „Da wird Wein meist mit ordentlicher Fließ-Geschwindigkeit aus der Flasche in eine Karaffe gegossen, damit der Wein möglichst schnell möglichst viel Luft bekommt, weil viele jüngere Weine noch verschlossen sind und denen eine Luftzufuhr durchaus gut tut, sie sich schneller öffnen.“ Und schon ist eine neue Diskussion angezettelt. Thema: „Sturzdekantieren“. Eine der vielen Reaktionen: „Was soll der Blödsinn?“ Man versteht sich nicht, will sich nicht verstehen. Einige der engagierten Debattierer klinken sich spätestens hier aus: „Hey Jungs, wartet mal kurz. Mein Popcorn ist alle. Muss mir neues machen.“

 

Meißner Geschirr% Gläser% Kerzen und Karaffe (Foto: Peter Züllig)

Jetzt ist es wohl an der Zeit, auch mein „Bekenntnis“ einzubringen: „Ich besitze 36 Dekantierflaschen, pardon, Karaffen. Und etwa 100mal so viele Weine liegen im Keller. Beide gehören zusammen: optisch, genießerisch, philosophisch, verwandtschaftlich, aus Freude, aus Erfahrung, aus Überzeugung. Weil Wein nicht einfach Wein ist (ob alt oder jung) und Karaffe nicht einfach Karaffe. Beide wollen sich so präsentieren, wie sie am schönsten sind, als Paar, als Traumpaar. Auch dies gehört für mich zum Wesen des Weingenusses.“

Doch dieses Statement – aus den beiden Begriffen „Präsentieren“ und „Dekorieren“ abgeleitet – will schon niemand mehr hören. Wozu auch? Die alles entscheidende Frage ist doch: „Braucht der Wein Luft oder nicht?“ (siehe oben). Und damit beginnt die Diskussion von vorne. Für mich muss jeder Wein auch präsentiert werden. Das sind wir ihm und uns selber schuldig. Doch Weine – zumindest in den oberen Ligen – werden mehr moderiert als präsentiert. Die Moderation ist aber allzu häufig ein Geschwätz von mehr oder weniger unbeholfenen Versatzstücken aus sensorischen Ritualen. Abgeschlossen mit einem Urteil, das sich meist an den dogmatischen Urteilen der hohen Weinkritik orientiert. Meine Antwort darauf ist (eher) die Präsentation des Weins. Er darf – für kurze oder etwas längere Zeit – die Flasche verlassen und in einer Karaffe Platz nehmen: in einer schlichten, einer verzierten, einer modernen, einer historischen, einer stilechten, je nachdem. Dem Wein wird sozusagen ein Sonntagskleid verpasst; ein Kleid angefangen von der einfachen, praktischen und meist auch chicen Art, über das „Prêt-à-porter“ bis hin zur „Haute Couture“, passend zum Wein.

 

Präsentation der Speise (Foto: Peter Züllig)

Ich durfte kürzlich bei der Bewertung eines Restaurants für den Gault-Millau dabei sein, als stiller Beobachter. Dabei sind der Service, die Präsentation, die Tischdekoration und die Zusammenstellung der Menüs genau so in die Beurteilung eingeflossen wie die Zubereitung und der Geschmack der Speisen. Warum soll das beim Wein anders sein?

Seit einiger Zeit steht auch das Foodpairing unglaublich hoch im Kurs, das gekonnte Verbinden von Aromen bei Gerichten und Getränken; sozusagen die Suche nach den perfekten Aromakombinationen. Während sich die Speisen dekorativ auf Platten und Tellern entfalten, soll der Wein in seinem Arbeitskleid – nicht selten verstaubt, schmutzig und oft mit Kellergeruch – in der Einheitsuniform der Flasche zum kulinarischen Wettstreit antreten? Ich kenne den Einwand: Dafür seien ja die Gläser da, diese sollen sich auf dem Tisch präsentieren und ihn dekorieren. Stimmt – doch hier wird (auch in guten Restaurants und noch weit mehr im täglichen Haushalt) recht liederlich umgegangen. Letztlich sind die Gläser auch nur die abschließende Bekleidung. Dieser vorgelagert ist ein mehr oder weniger großes Zeremoniell, die Zelebration von Speisen und Wein. Sie mag schlicht oder barock sein, angepasst der Situation, dem Aufwand in der Küche und der Liga des Weins. Doch nie würde es der Köchin oder dem Koch einfallen, Speisen im Kochtopf auf den Tisch zu stellen (es sei denn, es wird etwas am Tisch zubereitet. Dann aber sind das Kochgefäß und das Zeremoniell meist sehr dekorativ vornehm und fast immer in ein exklusives Ritual eingebettet). Diese Behandlung hat der Wein – aus Sicht eines Weinliebhabers – genau so verdient. Deshalb gehört jeder Wein – ob klein oder groß, alt oder jung – ich sagte es schon, in den Dekanter (der eine Karaffe oder ein schmucker Weinkrug – je nach Terminologie – sein mag.

Herzlich
Ihr/Euer

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