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Sonntagmorgen: andächtig, etwas steif, verlegen meinen Fotoapparat verbergend (Blitz ausgeschaltet), so sitze ich in einer hinteren Reihe in der Eingangshalle im Schloss Reichenau (Schweiz). Vor dem großen Tor zum Hofpark ist ein Teppich ausgebreitet. Bühne für das Ensemble „Fiacorda“, das eine Begegnung mit Schubert verspricht. 12 Stuhlreihen davor sitzen etwa 80 Konzertbesucher auf harten Stühlen, die etwas wackeln, denn der Boden besteht aus einem Mosaik von unbehauenen Steinen. Soeben werden wir vom Arthur Godel, einem anerkannten Musikwissenschaftler, in Schuberts „Oktett in F-Dur D 803“ eingeführt.

Einführung in Schuberts Oktett in F-Dur D 803 durch Arthur Godel. Dargeboten auf Schloss Reichenau.

Von einer „klanglichen Farbpalette“ spricht er, gefordert sei „ein Ohr für die feinsten klanglichen Schattierungen, ein Sinn für gewagte Übergänge, sowie ein ausdauernder, aber auch flexibler rhythmischer Puls“. Und ich meine all das – und noch einiges mehr – in den sechs Sätzen des Werks zu hören, wahrzunehmen. Zugegeben, Robert Parker, Michel Bettane oder René Gabriel sind mir als Experten vertrauter, als Arthur Godel, der langjährige Leiter des Kulturprogramms am „Schweizer Radio“.
Ich höre das Tänzerische im Menuetto, das Dramatische im Andante molto, das Geheimnisvoll-leise, Erhabene, Sinnliche im Adagio, und ich merke, wie schwer ich mich tue, selbst bei einem doch sehr bekannten Werk, die richtigen Worte zu finden, um Eindrücke zu beschreiben und mit den Gefühlen des Erlebens umzugehen.
Ergriffen, aber auch etwas beschämt, starre ich auf den Boden, auf die zu einem Ornament gefügten Steine, mit denen wohl vor rund 250 Jahren das Schloss zugänglich gemacht wurde. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass genau da – ein paar Meter tiefer – Weinflaschen und –fässer lagern, dass da unten ein anderes „Konzert“ gegeben wird, nicht zu hören, doch durchaus in der Phantasie vorstellbar.

Konzert in der Eingangshalle des Schlosses. Unter dem Mosaikboden ruhen die Weine

Der Schlossherr - Gian-Battista von Tscharner – ist auch Winzer und erst noch einer der sehr guten in der Schweiz. Sein Werk: Schlossabfüllung, mit den Sätzen Maienfeld, Jenins, Goldrush, „z‘blau Wunder“, Mariafeld, Anna, Waisenhaus-Winget und noch ein paar mehr. Sie werden im Keller des Schlosses, ausgebaut, vinifiziert. Sie können hier, nur ein paar Meter tiefer, zu Kunstwerken heranwachsen, reifen, ihre bezaubernden Kräfte entwickeln.
Musik und Wein, zwei Kulturgüter, die ich bis heute kaum je in Verbindung gebracht habe. Doch schon bei den einführenden Worten zum Konzert fällt mir die Sprachverwandtschaft auf: „ruhig gehalten, bewegt, schwer, rassig, lebendig, feurig, elegant, tiefgründig, gefällig, harmonisch ….. Arabesken, Tonalität, Nachhall, Klang, Tiefe….“. Auch in der Weinsprache finden wir diese und ähnliche Begriffe wieder; wir verwenden sie, als wären sie dafür geschaffen, das zu beschreiben, was im Weingenuss zu erleben ist. Jean-Jacques Rousseau soll die sinnliche Wahrnehmung einmal „als Vorstufe zum Glück“ bezeichnet haben.

Die Musiker erhalten zum Dank vom Winzerpaar je eine Flasche Wein vom Schlossgut

All dies geht mir durch den Kopf, während der einen Stunde, in der die acht Musiker Schuberts Noten in Töne, Melodien, Tonfolgen, eben in Musik verwandeln; in der achtzig ZuhörerInnen gleichzeitig das gleiche hören und trotzdem wohl etwas ganz anderes erleben. Für mich ist es zuerst einmal die Atmosphäre des Schlosses, die sich mit schöner, erhabener, bewegender Musik füllt. Dann – ich kann es nicht verdrängen – der Gedanke an das, was hier sonst im Alltag geschieht; Alltag auf einem Weingut, Alltag einer „Schlossfamilie“ die längst nicht mehr „herrscht“, sondern Wein produziert, nicht mehr den „Zehnten“ einziehen kann, sondern verkaufen und mit ihrem Angebot in der Weinszene bestehen muss.

Weine vom Schloßgut Tscharner

Ich frage mich: lassen sich überhaupt Töne in Worte fassen? Und sofort taucht eine nächste Frage auf: lassen sich Eigenschaften des Weins in Worten ausdrücken? In Bezug auf die Technik funktioniert dies vielleicht, sowohl in der Musik als auch beim Wein. In der Musik werden Töne zum Beispiel mit Buchstaben bezeichnet: C-D-E-F-G-A-H-C die Halbtöne mit cis-dis-fis-gis-ais-des-es-ges-as-b, dann aber wird bereits zu einem optischen Hilfsmittel gegriffen, zum Notenblatt. Gibt es beim Wein eine ähnliche, verbindliche Ordnung – gleichsam eine Tonleiter oder ein Notenblatt? Bei der Herstellung von Wein kennt man, sowohl im Rebberg als auch im Keller, bestimmte Techniken, Abläufe, Verfahren, die in Worte gefasst werden können: Ertragsreduktion, Entlaubung, Spontanvergärung, Konzentration und, und, und …

Musik in Noten ausgedrückt

In der Rezeption des Weins ist es nicht viel anders als bei der Musik. Worte sind Hilfsmittel, oft klägliche, einfache, missverständliche Bezeichnungen für das, was zu erleben, zu fühlen, wahrzunehmen ist – und was uns und unser Gemüt oft so stark bewegt. Noch während die acht MusikerInnen zum letzten Satz ansetzen: Andante molto – Allegro – Andante molto – Allegro molto ergreifen mich immer klarer, immer deutlicher jene Gefühle, die so schwer zu beschreiben sind, aber auch beim Genuss von ganz tollen Weinen in mir aufkommen: „Langgezogene Klangbögen“ etwa sagt die Musikrezeption, „unendlich langer Abgang“ formuliert der Weinkritiker; „wunderbar fröhliche Klänge“, heisst es bei Musik, „blumige Töne, erstaunliche Dichte“ beim Wein.

Aperitif nach dem Konzert

Nach dem Konzert wird im Rokokozimmer des Schlosses ein Aperitif ausgeschenkt., „Schiller“, eine Bündner Weinspezialität, ein kühl servierter Rosé, der aus vor dem Pressen gemischten roten und weißen Trauben gekeltert wird. Noch von der Musik beseelt begegne ich dem Musikkritiker, der vor einer Stunde die Musik so schön analysiert und beschrieben hat. Ich versuche spontan vom Wein zu reden, den wir beide im Glas haben. Nach zwei drei Sätzen merke ich: Wir nutzen zwar die gleiche Sprache, verwenden ähnliche Begriffe, können uns aber nicht verstehen. „Schöne Musik, ein guter Wein! Wie heisst er? Spielt das Oktett oft zusammen? Schiller!. Ja, die Bündnerweine sind viel zu teuer. Wann ist das Werk entstanden? Einen Gantenbein kann man sich kaum mehr leisten…“ Mehr kommt nicht zustande. Zwei Erlebniswelten, werden reduziert auf ein Produkt, die Herkunft, Kosten. Ich mische mich wieder unter die Gäste, alle haben ein Glas in der Hand, und ich denke: „Wohl eine verpasste Chance“.

 

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)

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