wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

„Bordeaux ist das Gebiet, in dem die preiswertesten Weine der Welt produziert werden.“ Bitte, bitte, die Anführungs- und Schlusszeichen beachten. Es handelt sich hier um ein Zitat. Hätte ich selber diese Behauptung aufgestellt, würde ich wohl fortan in Weinfragen als unzurechnungsfähig eingestuft. Doch das, was hier zwischen Gänsefüßchen steht, ist das Zitat eines Bordeaux-Kenners, der als Händler – und wie er selber sagt: „Bordeaux-Freak“ – seit 30 Jahren ins Bordelais reist, um jeden Frühling den neuesten Jahrgang einzukaufen. Dieses Jahr waren es mehr als 600 Weine, die er hier verkostet hat. Sein Fazit: „Bordeaux ist nicht gleich Bordeaux... Ich bin sogar der Meinung, dass es nirgends so gute Weine zu so guten Preisen gibt wie in Bordeaux.“

 

Bordeaux – Hauptstadt der teuren und preiswerten Weine (Foto: P. Züllig)

Eine kühne Behauptung! Ich würde sie schlichtweg in den Bereich der plumpen Werbeanbiederungen verbannen, würde ich den seriösen Weinhändler nicht seit vielen Jahren kennen und seinen Weinkenntnissen und -urteilen vertrauen. Seine Behauptung klingt schon fast abenteuerlich, angesichts der Tatsache, dass er gleichzeitig in seiner Broschüre den Pétrus 2012 für 1550 Franken (eine Flasche!) anbietet. Selbst ein Trotanoy (Pomerol) kommt auf knapp 200 Franken pro Flasche.

Etwas zerknirscht lege ich den Subskriptionskatalog weg. Makulatur im Jargon: „Wir konnten für unsere besten Kunden noch einige Flaschen von ... zu 237 Euro (brutto, pro Flasche) nachkaufen. Melden Sie sich, solange sie noch nicht ausverkauft sind. Die Nachfrage ist riesig!“ Doch dies schreibt ein anderer Weinhändler, nicht mein Gewährsmann. Was ist nun aber richtig? Bordeaux: billig oder unglaublich teuer? 100 und (viel) mehr Franken oder Euro für eine Flasche, kann man da noch von „preiswerten Weinen“ sprechen?

 

Welcher Weinliebhaber möchte nicht da zu Hause sein? (Foto: P. Züllig)

Im Nicht-Fettgedruckten des Katalogs finde ich eine bemerkenswerte Aussage, wohlverstanden von einem Weinhändler, der sein Unternehmen einst „Cave Bordelaise“ genannt hat: „Die Zeiten, als die Premier Crus noch die Zugpferde von Bordeaux waren, sind schon so lange vorbei, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Erstaunlich und rational kaum nachvollziehbare Tatsache ist einzig, dass sich die Preisunterschiede zwischen den hochklassierten und weniger bekannten Weinen seither mindestens verzehnfacht haben. Dies schizophrenerweise, obwohl die Qualitätsunterschiede immer geringer wurden.“ Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Trotzdem: Die großen Namen werden gekauft – egal, wie viel sie kosten. Ohne sie hat man eben keinen „echten Bordeaux“ im Glas. Es sind nicht nur die Chinesen und Russen, die so denken (und danach handeln), es sind auch die Bordeaux-Freunde hier, mitten unter uns. Laden Sie mal Weinfreunde ein zu einem Bordeaux-Abend mit den besten Weinen ihres Kellers ein, die aber keinen großen Namen tragen: Grand Verdus, zum Beispiel, le Reysse, Trocard Monrepos oder gar den eigenwilligen Queyroux. Selbst mit dem (in Kennerkreisen) längst bekannten Roc de Cambes ernten Sie kaum Beifall, er kommt ja „nur“ aus den Côtes de Bourg, weit weg von dort, „wo die besten Weine“ aus Bordeaux stammen.

 

Ein paar Steinwürfe vom Friedhof entfernt – Château Margaux (Foto: P. Züllig)

Namen müssen es sein, große Namen: Latour, Mouton-Rothschild, Lafite-Rothschild, Ausone; aus der zweiten Reihe: Léoville Las Cases, Cos d’Estournel, Fleur-Pétrus; oder aus den Garagen: Le Pin, Hosanna, Valandraud. „Premiers – nur noch für die Reichen?“ Diese Frage wiederholt sich immer wieder, auf jedem Blog, in jedem Weinmagazin. Selbst fallende Preise verwischen den Eindruck nicht. Bordeaux ist superteuer. Doch: „Bordeaux besteht schon lange nicht mehr aus den Crus Classés. Spätestens seit dem Jahrgang 2005 spielen diese nur noch eine Nebenrolle“, sagt mein Gewährsmann. Das mag für den Bordeaux-Handel stimmen. In den Köpfen haben sich aber die Namen der Großen festgesetzt, tief verankert, obwohl sie nicht immer wirklich groß sind, jedenfalls nicht so viel größer als die Kleinen.

Das Vokabular der Bordeaux-Weine müsste umgeschrieben werden. Neue Namen – heute für die Bordeaux-Treuen oft noch wahre Zungenbrecher – tauchen auf: Moulin Haut-Laroque, d’Escourac, Cote de Baleau, Thieuley, Loustauneuf, Fonréaud, Brisson, Clos Marsalette, Sequin... Sie sind gut, mitunter sogar fast so gut wie die bekannten Crus aus Pauillac, Margaux, Saint-Julien, Estèphe, Saint-Émilion, Pomerol, Graves... Doch eben nur fast, und da liegt das Problem. Ein Mythos lässt sich durch rationale Argumente nicht wegzaubern. Es ist der Mythos des „letzten kleinen Besserseins“, die unheimlich teuren Zentimeter vor der Ziellinie. Es sind die zwei, fünf, zehn Prozent „besser“, die vermarktet werden und das Bordeaux-Klischee weiterhin prägen.

 

Weinhandlung in Saint-Émilion – es locken große Namen (Foto: P. Züllig)

„Als Weinliebhaber schmerzen auch mich die Preise der 1er Crus und mancher Super Seconds, Pomerols oder Émilions ebenfalls sehr, diese Weine sind fast unerreichbare Statussymbole und Spekulationsobjekte für wenige“, schreibt einer der bedeutendsten Bordeaux-Importeure Deutschlands. Doch er hat auch Kunden, die die schmerzhaften Preise bezahlen (können). Und so entsteht dann der Spagat des Händlers, mit denen er seine guten Kunden beruhigt: „Aber essen Sie nicht auch gerne Pfifferlinge oder Steinpilze – trotz weißer Trüffeln für 4000 Euro das Kilo? Fahren Sie nicht auch Auto – trotz der Preise für Maybach und Bugatti? Lesen Sie nicht auch am Handgelenk die Zeit ab – trotz IWC, Glashütte etc.? Auch Steinpilze sind ein Genuss, und auch ein Maybach bringt Sie ‘nur’ von A nach B, und der Tag hat auf jeder Uhr 24 Stunden. Trotzdem gibt es Unterschiede. Und das ist gut so. Muss denn jeder Wein für jeden Weinliebhaber zugänglich sein?“

So also wird der Mythos der letzten Zentimeter „besser“ weiterhin gepflegt und das große Geschäft weniger Großproduzenten aufrecht erhalten. Wer glaubt, Mouton-Rothschild, Yquem, Lafite, Canon, Pape-Clément, ja sogar Pétrus – dies alles seien besonders engagierte Kleinproduzenten (Zitat: „Massenanbau für begehrte Lebensmittel ist auf Latour oder Lafite nicht möglich“), liegt gründlich daneben. Es ist sehr wohl möglich. Mouton-Rothschild liefert – unter anderem – mit seinem Mouton-Cadet den besten Beweis: Geschäft nicht nur mit den „großen Weinen“, genauso auch mit der Massenproduktion (unter dem Siegel Mouton). Hinter all den Namen stehen finanzstarke Firmen, zum Teil überhaupt nicht aus dem Weinbereich, denen es vor allem um den Gewinn geht, um Renommee, um den Beweis, bei den „Ganz Großen der Welt“ mitmischen zu können. Auch im Bereich Luxusweine.

 

Die Garonne trennt auch die Weingebiete – links das Médoc% rechts die weniger bekannten Gebiete wie Côtes de Bourg% Côtes de Blaye etc. (Foto: P. Züllig)

Wo immer es in Bordeaux noch um Wein geht – und nicht nur um das Geschäft –, hat mein Gewährsmann, der Händler, recht. Es gibt kaum in einem anderen Weingebiet so viel gute und günstige Weine wie in Bordeaux. Doch diese interessieren nur wenige, sind es doch (Originalzitat) „Weine für Einsteiger“. Ich werde wieder Bordeaux kaufen, wenn es auch „Weine für Aussteiger“ gibt.

Herzlich
Euer/Ihr

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER