wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden


Natürlich gibt es viel mehr Menschen, die im Burgund mit und vom Wein leben als die beiden, denen ich begegnet bin. Natürlich gibt es viel mehr gute Weine im Burgund, als diese eine Flasche, die ich eher zufällig kennen gelernt habe. Und es gibt sicher - dies bestreite ich nicht - berühmtere Weine, bekanntere Menschen, klangvollere Namen und wohl auch noch bessere Winzer.

 

 

Morey Saint Denis - eine kleine Gemeinde im Herzen von Burgund - mit einer Rebfläche von rund 280 Hektar


All dies weiß ich. Wenn ich es nicht wüsste, würde mir dies immer wieder in Erinnerung gerufen. Auch jetzt, in diesem Augenblick, auf den rund 200 Seiten im neuen „Grand guide des vins de France” von Bettane und Dessauve, einem weit über 1000 Seiten dicken „Schinken”, der gerade neben meinem Computer liegt. Darin wird in Worten und Zahlen, durch Noten und Kommentare festgewschrieben, welches die besten Weine und Winzer sind und was ich vom Burgund zu halten habe. Trotzdem sind es nicht die vielen akribisch zusammengetragenen Fakten und Urteile, die mich dem Burgund näher bringen. Es sind vielmehr zwei Menschen und ein Wein, vielleicht sogar Zufälligkeiten, die mein Interesse wecken, die mir das Weingebiet vertraut machen.

 

 

 

 

Dies landete schliesslich auf dem Boden im Hotelzimmer  nach einer der nächtlichen Verkostungen

Die erste der drei Begegnungen: ein Winzer in Cassagne. Er begrüßt uns mit der Bemerkung, dass er nicht französisch spreche, nur Patois, eben seinen Dialekt. Ich frage mich sofort, ob ich das wohl auch verstehen werde? Für echte Zweifel lässt er mir aber keine Zeit, denn er will sofort wissen, wie viel Zeit wir hätten. Es ist unser  letzter Termin an diesem Tag! Da strahlt er „Jede Begegnung mit Wein braucht Zeit. Kommen Sie mit in den Keller, da reden die Weine mit uns. Sie sprechen aber, wie ich, Patois, das heißt die Sprache der Lagen: Caillerets, Chaumiées, Chenevottes, Champs-Gains, Grèves......" Mir schwirrt der Kopf. Ein einziges Weingut, gut neun Hektaren Reben, neun verschiedene Weißweine und acht rote. Wie soll ich die je auf die Reihe bringen? Aufschreiben, notieren, bewerten, erfragen, diskutieren....  Ich habe allein schon Mühe, die Namen - Patois gesprochen - zu verstehen, geschweige denn richtig zu notieren.

 

 

 

 

Jean-Marc Morey stammt aus einer  Winzerdynastie in Chassagne und bewirtschaftet etwa 9 Hektaren Reben

Schnell lege ich die Notizen wieder weg und höre nur noch dem Winzer zu. Er erzählt Geschichten von seinen Weinen und seiner Beziehung zu ihnen. Meine Notizen kommen mir plötzlich erbärmlich vor, ein buntes Durcheinander von Fakten und Meinungen, von Angelerntem und Wahrgenommenem. Auf die Frage nach seiner Weinphilosophie  sagt er nur: „Philosophie, was ist das? Ich bin einfach glücklich, wenn ich aus ein paar Beeren etwas schaffen kann, das Freude und Genuss bereitet, das unsere Sinne bereichert und im besten Fall unvergesslich bleibt.” Dabei strahlt er so sehr, dass ich mein Notizbuch endgültig einstecke. Denn nicht nur der Winzer, auch seine Weine beginnen nun zu reden. Sie erzählen vom Terroir, von ihrer Existenz in der Natur, im Weinberg, vom Wetter, den Schädlingen, dem Warten auf den Augenblick, wo sie im Glas Genuss bereiten dürfen. Zum Schluss unsere perfide Frage: „Stehen Sie heute noch zu dem Wein, den Sie vor 27 Jahren gemacht haben, als Sie das Weingut von Ihrem Vater übernommen haben?” Seine schlichte Antwort: „Urteilen Sie selber!” Er greift in ein kleines Regal, wo gänzlich verstaubt ein paar Uralt-Flaschen gestapelt sind. „1981, ein schwaches Jahr, mein erstes. Ich habe den Wein seit Jahren nicht mehr verkostet. Wollen mal sehen!”

Er öffnet die Flasche und kredenzt  seinen ersten eigenen Wein, stolz und bescheiden zugleich: „Kann man noch trinken!”. Und ob man ihn trinken kann, nicht nur „einfach trinken”, man kann ihn genießen, mit seinen Reifetönen, seiner verspielten, aber noch vorhandenen Frucht, mit der gut eingebundenen, langsam verblassenden Säure, keine Spur von oxydativen Tönen oder gar Müdigkeit. Es ist der  ausdruckstärkste Wein auf dieser Burgunderreise.  Übrigens: der Winzer heißt Jean-Marc Morey, stammt aus einer grossen Winzerdynastie in Chassagne, er wird im großen Weinführer Bettane/Desauve nicht namentlich erwähnt.

 

 

 

Kritische Besucher - zufriedener Winzer


Die zweite prägende Begegnung kommt auch nicht ganz zufällig zustande. Bei einem Mittagessen in Beaune  bestellen wir - auf Empfehlung unseres Burgunderkenners - eine Morey-Saint-Denis von Charlopin-Parizot. Kein Premier Cru also, auch kein Grand Cru. Nur eine Gemeinde-Appellation, ein „Village” also. Es ist der zweite Wein, der sich auf dieser Reise bei mir festmachen kann und wohl noch längere Zeit meine Weinerinnerung bestimmt. Vielleicht sind es nur die Umstände, welche gerade diesen Wein aus den vielen degustierten Weinen herausragen lassen: der richtige Zeitpunkt, das passende Essen, die augenblickliche Stimmung, oder  ganz einfach ein neu entdeckter Weingeschmack. Ich weiß es nicht. Da aber auch meine Tischgenossen ähnlich urteilen, muss es doch auch am Wein liegen. Die Diskussion, ob dies nun ein typischer Burgunder sei, ob er zu viel Säure, zu wenig Frucht hat, zu warm oder kalt serviert wird, zum Essen passt oder ganz einfach preiswert ist, das alles interessiert mich wenig. Mich interessiert zu diesem Zeitpunkt allein der Genuss und das, was mir der Wein erzählt. Es ist wiederum eine Geschichte; die Geschichte von bestimmten Reben, die auf einem bestimmten Boden, in einer bestimmten Lage wachsen und schließlich von einem bestimmten Winzer in einen  ausgezeichneten Wein verwandelt werden. Ob es bessere Weine gibt im Burgund, kümmert mich in diesem Augenblick wenig. Ja, selbst ob der gleiche Winzer noch bessere Weine erzeugt, ist mir völlig egal.

 

 

Mittagstisch in Beaune - Suche nach dem passenden Wein


Was ich im Glas habe und trinken darf, ist einfach ein guter Wein, der beste für den Moment, für eine bestimmte Zeit, solange jedenfalls, als ich mich sensorisch daran erinnern kann. Diese  Begegnung stärkt in mir die Überzeugung, dass die Jagd nach den Spitzen -  auch im Burgund - zwar ein spannendes Spiel ist, mit echten, erlebten Weinfreuden oft aber nichts oder nur wenig zu tun hat.

Auch über eine dritte Begegnung muss ich berichten. Ort des Zusammentreffens: die unterirdische Kellerwelt der Handels- und Produktionsfirma Maison Joseph Drouhin. Hier kann man nicht mehr von einem Winzer und seinem Keller sprechen, schon eher von einem Produzenten und seinem Imperium. Das Unternehmen ist zwar noch im Besitz der Gründerfamilie, doch die Bezeichnung Großunternehmen ist für burgundische Verhältnisse sicher nicht falsch: 64 Hektaren Rebflächen in Chablis und an der Côte d’Or, mehr als 90 Weinberglagen, Besitz eines großen Weinguts in den USA, produziert werden rund vier Millionen Flaschen pro Jahr. Obwohl das Unternehmen auch in Weinkenner-Kreisen einen guten Ruf hat, ist es kein Ort, zu dem ich pilgere, wenn ich schon einmal in Beaune bin.

 

 

 

 

Keller der Firma Joseph Drouhin in Beaune


Doch das Programm sieht einen Besuch bei Drouhin vor. So kam es zur dritten Begegnung. Es ist ein leitender Angestellter der Firma. Die Frage nach seinem Namen endete mit einer wenig verständlichen Wort-Kaskade, genau so wie bei der Frage nach seiner Funktion. Doch er führt uns mit so viel Ausstrahlung, Überzeugung und Engagement durch das Unternehmen und seine Weine (8 zu degustierende Weine standen bereit). Da war nichts von bloß angelerntem Wissen, von täglich wiederholter Routine. Die Philosophie des Hauses macht er zu seiner eigenen Überzeugung, die Weine zu seinen eigenen Kindern. Ein „alter Hase” in Burgunds Weinbranche, Auch er ein Geschichten-Erzähler. Die Weine selber lässt er nicht erzählen, dafür fehlt die Zeit. Es genügt, wenn er erzählt, die acht Weine sind nur die Bestätigung seiner Geschichten. Ich habe den Eindruck, viel erfahren zu haben, könnte aber keinen einzigen der verkosteten Weine wiedererkennen. Ohne Notizbuch wüsste ich heute keinen einzigen Namen.

 

 

 

 

Mit Hingabe präsentiert - Rotweine bei Joseph Drouhin

Und doch: auch diese Begegnung hat mich überzeugt, hat mich dem Burgund und seinen Weinen ein gutes Stück näher gebracht. Ich meine, gerade durch diese drei Begegnungen eine Weinwelt besser zu verstehen als bisher. Auch wenn ich die Lagen und ihre Namen, die wichtigsten Winzer und ihre Weine noch nachschlagen oder irgendwann einmal lernen muss (wie einst das ABC), so hat das Burgund jetzt doch zumindest drei „Gesichter”. Diese vermischen sich mit dem, was ich bereits über das Burgund weiss und noch erfahren werde, mit den vielen Burgunderweinen, die ich schon verkostet oder getrunken habe. Sie alle sind nun eingebettet in die Geschichten von zwei Menschen und einem Wein.

 

 

Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig) 

 

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe