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Wein ist zum Trinken da, aber auch zum Lagern, zum Besitzen, sogar zum Spekulieren. Denn nicht nur der Wein kann sich verändern, auch seine Preise tun es – sie steigen und fallen und steigen und fallen… Vor allem bei jenen Weinen, die gelagert werden können, ja, sogar müssen, vor allem weil sie – im besten Fall – sich über die Jahre entwickeln, reifen, immer besser werden. Selbst wenn sie ihren Höhepunkt überschritten haben, bleiben sie oft Monumente der Weinkultur, nicht selten auch Prestigeobjekte, die zu besitzen für viele eine Ehre und daher erstrebenswert ist. Ein gut angelegter, gepflegter Weinkeller kann ein Tresor sein, eine Schatzkammer, in der Kapital in Form von Flaschen eingelagert ist.

 

Gelagerte Schätze (Foto: P. Züllig)

Mit dem Wert von teuren Flaschen verhält es sich nicht viel anders als mit dem Wert von Aktien. Mal steigt der Marktwert, mal fällt er bis tief in den Keller. Und wie Wertpapiere an der Börse werden Weine auch gehandelt, gekauft, um später – wann immer möglich – mit Gewinn wieder verkauft zu werden. Es ist ein Spiel des Angebots und der Nachfrage, mit dem entscheidenden Unterschied zur Aktie, dass es beim Wein einen natürlichen Verfallswert gibt, nämlich dann, wenn ein Wein „vorbei“ (Bezeichnung von René Gabriel) ist, nicht sachgerecht gelagert wurde oder das produzierende Weingut Ruhm und Glanz verloren hat. Kein Wunder, dass die Weinbranche – die in der obersten Liga spielt – den guten Ruf und die klingenden Namen, die Qualität und Preise, die Verlässlichkeit und Exklusivität, den Erfolg und das Renommee der berühmten Weingüter und Produzenten verteidigt. Bordeaux hat vorgemacht, wie das Karussell am Laufen gehalten wird, Jahrgang um Jahrgang, Jahr für Jahr. Man hat sich längst daran gewöhnt, glaubt, dass es immer und immer so weiter geht. Einbrüche werden nicht zugegeben, nicht kommuniziert; sie könnten für das Geschäft schädlich sein. Dafür werden dauernd neue Strategien entwickelt, damit man – auch bei qualitativ minderen Jahrgängen – im Geschäft bleibt. The show must go on!

 

Weinarchiv auf Château Latour im Bordelais (Foto: P. Züllig)

Trotzdem gibt es deutliche Anzeichen, dass der Betrieb ins Stocken gerät, dass der Marktwert der Aktie Wein sinkt und sinkt – obwohl die (fiktiven) Preise immer noch steigen und steigen. Selbst die – in unseren Augen – als Weinanfänger trotteligen Chinesen kaufen nicht mehr zu jedem Preis. Vor einem Jahr noch erlöste ein Verkäufer – selbst beim qualitativ mittelmäßigen Zweitwein von Château Lafite-Rothschild – locker das Zehnfache des einstigen Ankaufspreises (der lag bei ungefähr 30 Franken). Eine Flasche der Premiers Crus war schon in der Subskription kaum unter 1.000 Franken zu kaufen, und das Prestige-Gut Pétrus konnte sich leisten, den Subskriptionspreis für eine Flasche auf mehr als 3.000 Franken ansteigen zu lassen. Bei diesem Spiel um Rang und Namen, Geld und Ruhm hatten die Händler lange Zeit die Nase vorn. Sie setzten auf Risiko und gewannen, vor allem in den vergangenen rund zehn Jahren, als die Preise explodierten. Jetzt scheint sich das Blatt gewendet zu haben, auch wenn dies niemand so richtig zugeben oder wahrhaben will. Das Eingeständnis einer Fehlspekulation könnte ja (mit einiger Sicherheit) die Aktie Wein in die Tiefe reißen.

Ich sehe vor mir den fassungslosen Ausdruck einer Weinhändlerin, an einer der letzten Auktionen, bei der die „besten Werte“ selbst zum „Discount-Preis“ keinen Abnehmer finden konnten. Nun stand ich kürzlich in einer der großen Weinhandlungen, wo die ratlose Händlerin als Filialleiterin arbeitet, und sah – nicht weniger fassungslos – die Höchstpreise, zu denen die gleichen „besten Werte“ hier angeboten werden. Da kann ich gut begreifen, dass jeder Weinhändler die Welt nicht mehr versteht! „Nicht gekauft, zu dem Preis“, klingt mir noch Wochen nach der Auktion in den Ohren. „Unglaublich!“

 

Weinbörse in Zürich. Wer bietet mehr? (Foto: P. Züllig)

Zugeben will man aber die Krise nicht, schon gar nicht will man sie herbeireden. Dass die Lager vieler Weingroßhändler zum Bersten voll sind – vor allem mit Jahrgängen, die sich kaum verkaufen lassen (zu den vorgegebenen hohen Einstandspreisen) – wird tunlichst verschwiegen. Allein schon „ein böses Gerücht“ könnte sich auf die Marktentwicklung verheerend auswirken. Also wird das eigene Leiden (am Preisverfall) umschrieben, etwa in einem Auktionskatalog: „Im Moment hat der Wind etwas gedreht; wenn man nicht gerade die 2009er sucht, gibt es immer interessantere Preise, es ist aus dem Verkäufermarkt ein Käufermarkt geworden. Unter anderem sind diesmal auch viele reifere Weine (in bestem Zustand) im Angebot, die fast zu jedem Preis einen Käufer finden müssen. Das heißt, der erste Ausruf einiger Katalognummern beginnt teilweise mit weniger als 50 Prozent des unteren Schätzpreises!“ Verkäufer – im Auktionsjargon spricht man von Einlieferern – als Gutmenschen, Wohltäter oder gar „Samichläuse“? Wohl kaum. Das sind ganz einfach verhüllte Anzeichen eines kriselnden Markts.

Noch drastischer versucht Millesima – einer der größten Player im Subskriptionsgeschäft – den Markt durch seine Aktionen anzukurbeln. „40 % Rabatt“, natürlich nicht einfach nur so, als Geschenk, sondern nur „auf die zweite Kiste des gleichen Weins“. Wer nun glaubt, hier werden die weniger gut verkäuflichen Weine verramscht, der täuscht sich. Natürlich sind keine der ganz großen Weine, der Prestigeweine, mit dabei. Doch einen Château Grand-Puy-Lacoste (und erst noch aus dem „Spitzenjahrgang“ 2005) finden wir durchaus im Angebot – eine einzelne Flasche kostet sonst weit mehr als 100 Franken. Auch der „ewige Geheimtipp“ aus Moulis, Château Chasse-Spleen, taucht auf, er ist jetzt rund zehn Franken billiger als damals in der Subskription des gleichen Hauses, er kostet nämlich rund 26 statt 36 Franken.

Zugegeben: Zwei Beispiele sind noch kein Beweis für eine kriselnde Situation, vor allem dann nicht, wenn das niemand wahrhaben darf. Ähnliche Aktionen gab es schon immer, vor allem im Herbst, vor den Festtagen um die Weihnachtszeit. Auch die Tatsache, dass die Weinwerbung offensichtlich intensiviert wird, mag Zufall oder Ausdruck eines boomenden Geschäfts sein. Doch wer jeden Tag die mit Weinwerbung vollgestopften Briefkästen zu leeren hat – sowohl vor der Haustür als auch im Computer –, wird unweigerlich hellhörig und beginnt, Preise und Angebote zu vergleichen.

 

Lockangebot: 40 Prozent Rabatt (Foto: P. Züllig)

Wer annimmt, die Preise werden im Handel nun drastisch fallen, sieht sich arg getäuscht. Im Spitzenbereich rutschen sie zwar etwas herunter, doch im wesentlichen bleiben sie auf der erklommenen Höhe – nicht nur im Bordelais, überall wo es Prestigeweine gibt. An einem Preisverfall ist niemand interessiert, weder die Händler, noch die Winzer, nicht einmal die Käufer, denn rund 70 Prozent der Weine in dieser Kategorie werden dem Markt wieder zugeführt, häufig schon kurz nach der Auslieferung (rund zwei Jahre nach der Ernte), oft aber auch erst nach Jahren. Ein Blick in das tägliche eBay-Angebot zeigt, wie der „Kleinhandel“ mit Weinen blüht. Unter dem Stichwort „Wein“ erscheinen mehr als 15.000 Angebote, fast ausschließlich im „Sofort-Kauf“ (zu festen Preisen). Auch wenn nicht alle 15.000 Lots direkt Weine betreffen, sondern durchaus auch Weinbücher, Flaschenöffner, Etiketten, Souvenirs etc. enthalten können, so besteht hier doch ein beträchtlicher Markt mit entsprechenden Umsätzen. Mancher Weinfreund deckt sich auch hier ein, in der stillen Hoffnung, etwas günstiger zu seinen Lieblingsweinen zu kommen. Allerdings – das ist erstaunlich – sind unter diesen 15.000 Angeboten nur rund 50 bis 100 echte Auktionen, bei denen Weine auch wirklich ersteigert werden können. Im Augenblick – beim raschen Durchblättern – sehe ich kein einziges konkretes Gebot. Doch auch darüber spricht man nicht. Es könnte ja sein, dass die Krise doch im Anmarsch ist. Dann sitzen all die vielen „Kleinhändler“ auf ihren gehorteten Schätzen oder sind gezwungen, mit Verlust zu verkaufen.

 

Privater Weinkeller – die Weine in Originalholzkisten (Foto: P. Züllig)

Dazu kommen noch Faktoren, die nicht direkt vom Weinhandel abhängig sind, vielmehr von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Der Weinkritiker der renommierten NZZ (Neue Zürcher Zeitung) formuliert es so: „Die Subskriptionsverkäufe für den neuen Bordeaux-Jahrgang sind eher schleppend verlaufen...“ Eher schleppend? Katastrophal, hat mir ein Branchenkenner verraten, und die vielen noch immer laufenden Subskriptionsangebote (sonst ist der En-Primeur-Kauf spätesten im Herbst abgeschlossen) deuten darauf hin, dass ein System, das über Jahrzehnte gut funktioniert hat, tatsächlich am Kollabieren ist. Kaum ein Wein – außer ein paar wenige Spekulationswerte – kann im „Vorverkauf“ (Subskription oder eben Kauf „en Primeur“) günstiger erstanden werden als etwa zwei Jahre später, wenn er auf den Markt kommt. In vielen Fällen sind die Weine sogar auf dem Erstmarkt billiger als beim risikoreichen Termingeschäft, Subskription genannt.

Und noch ein wichtiger Faktor beeinflusst die nicht zugegebene Krise. Es wird sozusagen in allen klassischen Weinländern deutlich mehr Wein produziert als konsumiert. Das führt – nach den Gesetzen des Marktes – zu billigeren Preisen. Nicht so beim Wein. Da gibt es ein immer größeres Angebot von Billigweinen – einen Amarone zum Beispiel für knapp 14 Franken, als Spitzenwein angepriesen beim Discounter. Jeder, der vom Weinmachen auch nur den Hauch einer Ahnung hat, weiß, dass zu diesem Ladenpreis kein Amarone zu produzieren ist, schon gar nicht ein guter. Ganz ähnlich ist es mit vielen der sogenannten „günstigen“ Weine. Unter die Räder geraten Weine, die gut gemacht sind (davon gibt es immer mehr!) und die Produktionskosten und einen Gewinn einspielen müssen. Das sind die Weine so um 20 bis 30 Franken. Sie haben es immer schwerer auf dem Markt.

Da gibt es aber auch noch die berühmten Namen, Jahr für Jahr geadelt mit Punkten und in blumigen Worten, die verteidigen ihren Preis so lange es eben geht. Und es geht noch lange, so lange, bis die glorreichen Namen abgewetzt und abgewrackt sind. Bis man sie – als Weinliebhaber – nicht wenigstens einmal im Monat, einmal im Jahr, einmal im Leben getrunken haben muss, um ein richtiger, krisenfester Weinfreak zu sein.

Herzlich
Ihr/Euer

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