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Einmal im Jahr verliert der Wein – jedenfalls für mich – jede Sinnlichkeit, nämlich dann, wenn das statistische Amt seine Zahlen, Vergleiche, Tabellen und Kreuztabellierungen zum Wein veröffentlicht. Da wird auch meine gute Flasche zur rein statistischen Größe, zum winzigen Anteil an den 273 Millionen Litern Wein, die in der Schweiz jährlich getrunken werden; statistisch ist also meine Flasche zu vernachlässigen. Ich selber (als Weintrinker) mutiere zum anonymen Konsumenten, der im Jahr (durchschnittlich) 353 Gläser Wein trinkt. In solchen Momenten bedauere ich, all meine getrunkenen Gläser nicht gezählt zu haben, dann wüsste ich jetzt wenigstens, ob ich ein durchschnittlicher, ein überdurchschnittlicher oder gar ein unterdurchschnittlicher Weinkonsument bin. Ich vermute,  in diesem speziellen Fall bin ich wohl überdurchschnittlich. Allein heute Abend, jetzt, wo ich diese Kolumne schreibe, werden es wohl zwei, drei Gläser sein. In einem Jahr schreibe ich etwa 25 Kolumnen, dies macht also 75 Gläser, da ist schon fast ein Viertel meines statistischen Wein-Guthabens aufgebraucht, denn der Schweizer (und natürlich auch die Schweizerin) trinkt im Jahr – statistisch – durchschnittlich 34 Liter.

 

Zerzauste Haare beim Schreiben der Kolumne (Foto: P. Züllig)

Schon oft habe ich mir überlegt, was mir solche Zahlen bringen. Natürlich Information. Ist sie aber für den Weintrinker auch brauchbar? Zugegeben, die Zahlen sind – inmitten all der Anpreisungen in der Werbung, mit all den Superlativen – erfreulich sachlich, erfrischend und vor allem neutral. Ich weiß jetzt zum Beispiel – schwarz auf weiß belegt und auch noch vom Bundesamt für Landwirtschaft –, dass ich (durchschnittlich) 34 Liter Wein trinke, mehr als ein Drittel davon stammt (statistisch) aus der Schweiz. Ich wusste ja schon immer – man hat es mir oft genug gesagt –, dass wir Schweizer unsere Weine selber trinken. Doch bei mir ist das ganz anders. Da kommen mir schon meine nächsten Bedenken: Bin ich wirklich ein so schlechter Patriot? Wenn ich meinen Konsum an Schweizer Weinen grob überblicke, dann sind es keine 30 Prozent, höchstens fünf, vielleicht auch nur drei.

Bereits die nächste statistische Erhebung rüttelt wieder an meinem Selbstverständnis: Der größte Anteil an Rotweinimporten (ich bin ein ausgesprochener Rotweintrinker) kommt aus Italien, das ist gut ein Drittel mehr als aus Frankreich. Hoppla! Der Anteil an Weinen aus Italien, die in meinen Gläsern landen, macht keine fünf Prozent aus. Dabei sind die Italiener in den letzten Jahren – weinmäßig – in meinem Wohlwollen unglaublich gestiegen. Auch das ist – leider – statistisch unerheblich.

 

Bekanntester Weinberg im Kanton Thurgau: das Schlossgut Bachtobel in Weinfelden (Foto: P. Züllig)

Es kommt aber noch weit schlimmer! Im Kanton Thurgau (Ostschweiz, 254.000 Einwohner, knapp 1.000 Quadratkilometer), wo im vergangenen Jahr fast 15.000 Hektoliter Wein erzeugt wurden, ist ein markanter Rückgang des Absatzes zu verzeichnen, immerhin 7,5 Prozent. Und ich habe mit meinen drei Flaschen (im letzten Jahr) aus dem Thurgau – das ist viel weniger als ein Prozent – nichts zur Trendwende beigetragen. Mein Trost: Das ist zwar eine Tatsache, aber statistisch zu vernachlässigen. So bin beruhigt, denn das hätte ich meinem verstorbenen Vater, der ein Thurgauer war, nicht antun können. Dann aber doch noch ein Lichtblick im Zahlenmeer: Es wurde (prozentual) wieder mehr Schweizer Wein getrunken, fast zehn Millionen Liter mehr und zwar auf Kosten ausländischer Gewächse. Auch da aber habe ich gegen den Trend gehandelt. Mein Weinkonsum (nicht alle Weine habe ich selber getrunken, meine Frau und viele Gäste waren genau so daran beteiligt) bestand zu gut neunzig Prozent aus ausländischen Weinen, vor allem von den Franzosen.

 

Mutige Schritte nach Italien% ins Piemont (Foto: P. Züllig)

Schon wieder sitze ich in der Statistikfalle. Weitaus die meisten Weine kamen – laut Bundesamt – aus Italien, rund 200.000 Hektoliter mehr als aus Frankreich. Auch dazu habe ich nichts, aber auch gar nichts beigetragen, ich konnte die Franzosen und ihre Weine mit meinem gut 60-Prozent-Anteil der getrunkenen Weine nicht retten. Leider ist das ebenfalls statistisch irrelevant. Bleiben wir noch kurz in der Schweiz. Die Schweiz besteht (je nach Zählung, es gibt nämlich da auch „Halbkantone“) aus 26 Kantonen. Nicht ganz in allen (aber fast in allen) wird auch Wein gemacht. Es ist zwar schon lange nicht mehr ein zentraler wirtschaftlicher Faktor, eher ein Randgebiet im wirtschaftlichen Motor der Schweiz, für einige Kantone ist der Weinbau aber wirtschaftlich noch sehr wichtig. Zum Beispiel im Bergkanton Wallis, wo weitaus am meisten Reben angebaut werden und von wo also auch am meisten Schweizer Weine herkommen, etwa 165 Tausend Hektoliter pro Jahr. Die Walliser Weine sind inzwischen auch so etwas wie Botschafter des Schweizer Weins, vor allem die autochthonen Sorten, die gleichsam einen Siegeszug durch die Weinwelt angetreten haben: Cornalin zum Beispiel oder Humagne Rouge, Amigne, Eyholzer, Heida, Himbertscha oder gar Lafnetscha. Sie sind zwar Exoten unter den Wallisern, aber man spricht von ihnen – zu Recht. Und schon wieder der statistische Hammer: Trotz ihrer Berühmtheit machen die Autochthonen nur einen ganz kleinen Teil – keine drei Prozent – im Anbau der rund 23.000( )! Walliser Weinbauern (davon sind etwa 20 Prozent hauptberuflich Winzer) aus.

 

Typisches kleinteiliges Weingebiet im Wallis (Foto: P. Züllig)

Ausgerechnet diese seltenen Rebsorten haben auch in meinem Schweizer-Wein-Konsum eine stattliche Größe: Ohne statistische Erhebung kann ich sagen, es sind sicher mehr als 30 Prozent. Hingegen von den Fendants – bekanntester Weißwein aus dem Wallis (Chasselas-Traube) –und vom  nicht weniger bekannten roten Dôle (Pinot Noir und Gamay) trinke ich nur wenige Flaschen im Jahr, meist auch nur dann, wenn ich ausländische Gäste habe, die den Schweizer Wein kennenlernen möchten. Je mehr ich mich in den statistischen Zahlen tummle, desto unheimlicher wird es mir. Ich bin offensichtlich keine statistisch relevante Größe, ich bin nur Weintrinker – nein, Weingenießer, vorwiegend von Rotweinen. Wenigstens da – das ist ein kleiner Lichtblick – liege ich statistisch auf der richtigen Seite. Es wird deutlich mehr Rotwein getrunken (oder auch nur eingelagert, wie soll das statistische Amt das so genau wissen?), nämlich 1.830.056 Hektoliter Rotwein gegenüber 1.084.953 hl Weißwein (inklusive Schaumweine).

 

Weinstatistik – Auszug aus der Schweizerischen Weinzeitung (Foto: P. Züllig)

Ich zeige mich versöhnlich, wende mich wieder ab von der amtlichen Statistik, befasse mich lieber mit meinem Wein im Glas: natürlich ein Franzose – Château Beau-Séjour-Bécot 2000; leicht rauchig, schwarze Johannisbeeren, Kirschen, Lakritze, Liebstöckel, vollmundig und harmonisch, ein moderner Bordeaux, der mir unglaublich Spaß macht. Rasch vergessen sind die Zahlen der Statistik, vergessen, bis nächstes Jahr die neuen Werte vom Bundesamt für Landwirtschaft publiziert werden. Dann wird die nächste Reise durch die Zahlen fällig, und sie wird nicht viel anders ausfallen als in diesem Jahr. Doch eines möchte ich jetzt doch noch wissen: Wie stehen wir da beim Weinkonsum, international gesehen? Das steht nicht in der Bundesstatistik, ist aber (dank Internet) leicht ausfindig zu machen. An der Spitze liegt Frankreich mit 53 Litern pro Kopf der Bevölkerung, weit abgeschlagen, mit kaum einem Liter, liegt China. Die Schweiz rangiert an vierter Stelle, noch vor Deutschland (25 Liter pro Kopf). Da geht mir plötzlich durch den Kopf: Was heißt das, wenn China seinen Weinkonsum um hundert Prozent auf zwei Liter pro Kopf der Bevölkerung steigert? Nicht auszudenken, denn das bedeutet (bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen) nicht weniger als 2,8 Milliarden Liter oder 2,8 Millionen Hektoliter. Geschätzte Weltproduktion an Wein heute: 250 Millionen Hektoliter, also würden die Chinesen (statistisch) bereits ein Hundertstel der Weine weltweit wegtrinken, und bei einem Konsum von 35 Litern pro Kopf (wie in der Schweiz) wären das...

Nein, ich mag es nicht ausrechnen. Ich wende mich lieber wieder meinem Weinglas zu. Der Wein beruhigt und lässt mich – trotz Statistik – gut schlafen. Zum Wohl!

Herzlich
Ihr/Euer

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