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Ein Land steht während Wochen, während Monaten im Mittelpunkt der Welt, der Fußballwelt, vielleicht aber auch der Weinwelt: Südafrika. Ich bin nicht der einzige, der jetzt über dieses Land und seine Weine nachdenkt, ihnen begegnet und darüber schreibt. Eigentlich zum ersten Mal. Vielleicht sind es die rund 80 Jahre Apartheid-Politik – zuerst unter den Engländern, dann (nach dem Zweiten Weltkrieg) unter den Buren – welche meine Beziehung zu Südafrika noch heute belasten, auch mein bisheriges Verhältnis zum südafrikanischen Wein.

5000 südafrikanische Weine präsentiert Vaughan Johnson in seinem Wine Shop an der Waterfront in Kapstadt.

Am 11. Februar 1990 – also vor 20 Jahren – hielt Nelson Mandela, der kurz zuvor nach 27 Jahren Gefangenschaft freigelassen wurde, seine „historische Rede“ vom Balkon des Rathauses in Kapstadt; „Freunde, Kameraden und Mitbürger Südafrikas. Ich grüße euch alle im Namen von Frieden, Demokratie und Freiheit für alle. Ich stehe hier vor euch nicht als Prophet, sondern als demütiger Diener, vor Euch, dem Volk.“ Vier Jahre später wird Mandela Präsident Südafrikas, die Politik der Rassentrennung ist endgültig vorbei. Heute, 16 Jahre später, empfängt das Land die Welt des Fußballs und wird dadurch geadelt mit der „hohe Weihe der Völkerverständigung durch den Sport“.Warum dieser historische Exkurs in einer Weinkolumne? Ganz einfach: weil auch ich jetzt wieder ohne schlechtes Gewissen herzhaft in den sauren Apfel Granny Smith – einst Symbol moralisch verwerflicher Wirtschaftsbeziehungen – beißen und „Pinotage“, den südafrikanischen Wein, trinken darf. Wenn es trotzdem fast zwanzig Jahre gedauert hat, bis ich zum ersten Mal nach Südafrika gereist bin, dann sind weniger die 8000 Flug-Kilometer Schuld daran, als vielmehr die innere Distanz zu einem Land, das so lange (mit Unterstützung vieler Staats-, Wirtschafts- und Industriemächte) eine Politik gegen Menschen – gegen die Ureinwohner des Landes – machen konnte.

Präsentation südafrikanischer Weine am Flughafen in Johannesburg.

Jetzt aber bin ich da gewesen – im wichtigsten Weingebiet von Afrika. Dort wo die Weine, die längst auch bei uns in allen Preislagen und Qualitäten zu kaufen sind, herkommen und sich mehrheitlich bemühen, gute eigenständige Weine zu sein. Darunter der Pinotage, vinifiziert aus einer in Stellenbosch vor 86 Jahren neugezüchteten Rebsorte (eine Kreuzung aus Cinsault und Pinot Noir). Er ist ein Symbol für die Eigenständigkeit des Landes und seiner Weine. Eigentlich werden heute weit mehr Rebsorten in Südafrika angebaut. Es sind – analog zu den „big five“ der Tierwelt – vor allem die „big six“ der Rebsorten: Sauvignon Blanc, Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot, Shiraz und Pinot Noir.

Dass es Südafrika geschafft hat, zu den führenden Weinnationen der Welt aufzusteigen, kann auch ohne Besuch vor Ort leicht registriert und überprüft werden. Die Beschreibungen der Weine aus Südafrika haben professionelle Verkoster und Amateure längst geliefert. Soll ich nun abschreiben, wiederholen, differenzieren oder einfach nur bestätigen?

Magie des Ortes. Das neue Fußballstadion in Kapstadt.

Meine Beschäftigung mit südafrikanischen Weinen dient dazu, meine eigenen Wein-Kenntnisse und -Erfahrungen zu erweitern; mit eigenen Augen zu sehen; im eigenen Gaumen zu prüfen; mit den eigenen Sinnen zu vergleichen; nicht aber um dies zu veröffentlichen.

Es ist etwas ganz anderes, was meine Präsenz in Südafrika bestimmt hat: es ist die „Magie des Ortes“. Warum fahre ich zum Kap Agulhas, der geographischen Grenze zwischen dem indischen Ozean und dem Atlantik? Warum besuche ich das Groote Schuur Hospital in Kapstadt, wo Christian Barnard vor 43 Jahren die erste Herztransplantation vornahm? Warum bleibe ich unter dem Balkon des Rathauses in Kapstadt stehen, wo Nelson Mandela seine berühmte Rede hielt? Warum versuche ich, unbedingt zur einstigen Gefangeneninsel Robben Island zu gelangen? Warum?

Nicht weil es da besonders viel zu sehen gibt, vielmehr um den Ort zu erleben und zu spüren wo Weltgeschichte stattgefunden hat (oder stattfindet), wo etwas passiert, das nur hier passieren kann oder passieren konnte. Magie des Ortes! Dies gilt auch für berühmte Weingebiete, bedeutende Weingüter, einmalige Reblagen.

Constantia in Kapstadt% das älteste Weingebiet Südafrikas.

Ich sitze im City-Sightseeing-Bus in Kapstadt, im Kopfhörer die Aufzählung von Sehenswürdigkeiten, die an mir vorbeihuschen: Kirstenbosch Gardens – World of Birds – Inizano Yethu – Mariner’s Wharf. Irgendwann taucht der Name „Constantia“ auf. Liegen da nicht die ersten Weingüter Südafrikas? War da nicht einst das Imperium von Simon van der Stel, sieben Rebberge, angelegt im 17. Jahrhundert? Ich recke und strecke mich, möchte durch das Grün des Waldes wenigstens ein kleines Stück davon sehen. Magie des Ortes. Vorbei: Wir haben Constantia nur kurz tangiert. Aber wir waren da, und ich beschließe, nicht nur Constantia und Stellenbosch, sondern noch ein paar andere historische Weingebiete wie Calitzdorp, das Portweinstädtchen, in der „kleinen Karoo“ zu besuchen.

Rebberge in Calitzdorp% in der „kleinen Karoo“% wo der südafrikanische Portweins entsteht.

Allzu viel Zeit bleibt mir nicht, denn wir möchten nicht nur die „Bigsix der Weine“, sondern auch – viel weiter im Osten des Landes – die „Bigfive“ der Tiere sehen. Warum all dies, in den wenigen Wochen, die ohnehin mit Flügen und Autofahrten ausgelastet sind? Es ist etwa die gleiche Frage, wie: „Warum nach Südafrika pilgern, um einige WM-Spiele zu sehen, weit oben im riesigen Stadion, während im Fernsehen alles viel näher, viel präsenter, viel genauer gezeigt wird?“ Die Antwort auch hier: Magie des Ortes. Im Fußballstadion ist es die Atmosphäre, im Augenblick des finalen Tors und Siegs dabei zu sein, oder auch die Niederlage hautnah zu erleben.

An den Weinorten, in den Rebbergen, auf den Weingütern ist es nicht anders: dabei zu sein, wenn Reben gepflegt werden, wenn Wein ausgebaut wird, wenn Wein verkostet wird, dort wo er entstanden ist. Da zu sein, wo Menschen, die Wein machen, arbeiten und leben. Zu sehen, wie sich ein Weingut präsentiert und wie es seine Weine anbietet, den fremden Weinliebhaber empfängt, und zu erleben, wie ein Wein an dem Ort zu genießen ist, wo er gemacht wurde.

Der Kolumnist mit seiner Partnerin bei der Degustation auf dem Weingut „Kanu“ in der Nähe von Stellenbosch.

Grundsätzlich ist eine Verkostung südafrikanischer Weine da nicht viel anders als in einem Weinkeller zuhause, in einer Weinhandlung mit einem guten Angebot südafrikanischer Weine. Vielleicht ist daheim das Urteil sogar „objektiver“, weil man da mehr Informationen sammeln und mehr Zeit aufwenden kann. Genau so, wie dies der Fußballfan zuhause vor dem Bildschirm oder der Weintester in einem weltweit organisierten Twitter-Event eben tun kann. Nur eines fehlt: die Magie des Ortes. Die physische Präsenz, am Ort, wo etwas geschieht oder geschehen ist; wo die Atmosphäre eines Ortes vielleicht etwas von dem vermitteln kann, was sonst nur in Fakten und Zahlen festzuhalten ist. Auch wenn es etwas seltsam klingt: einen Pinotage erlebe und genieße ich in Südafrika eben anders als den gleichen Wein bei uns zuhause. Ich habe deshalb keinen Wein aus Südafrika mitgenommen, auch keinen Pinotage. Ich habe ihn – und viele andere Weine – nur im Herzen mitgebracht, als Erlebnis und als Erinnerung. Da bleiben sie liegen, viel länger als im Keller; sie wirken viel, viel intensiver als der in der Flasche, selbst dann noch, wenn diese einmal geöffnet wird und der Wein seinen Duft verbreitet und im Gaumen Freude bereitet.

Herzlich

Ihr/Euer

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