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Ja, es gibt so etwas wie eine „Weinsprache“, das ist unbestritten. Doch gibt es auch eine einheitliche Sprache, eine „Lehrmeinung“ dazu? Da beginnen meine ernsthaften Zweifel. Nach Durchsicht von Hunderten von Weinbesprechungen – von den vielleicht zehn bekanntesten (und anerkanntesten) Weinkritikern – muss ich feststellen: Es gibt sie nur zum Teil, vielleicht zur Hälfte. „Eine Fachsprache im Bereich Wein gibt es schon seit über 150 Jahren. Vielleicht liest du halt auch mal den Peynaud, das wäre förderlich“, belehrt mich ein guter Freund und Weinfachmann, den ich sehr schätze, gerade weil er mir viel über Wein beigebracht hat. „Die Hohe Schule für Weinkenner“ von Emile Peynaud steht schon lange in meinem Bücherregal, ob der Inhalt auch in meinem Kopf angekommen ist, müssen andere beurteilen. Ich glaube schon!

Die Hohe Schule für Weinkenner von Emile Peynaud (Quelle: P. Züllig)
Doch darum geht es nicht. Die „Fachsprache“ im Bereich Wein ist eben nicht nur ein Kommunikations-Instrument für Fachleute unter sich, sie dient auch der Kommunikation mit den Nutzern, also den Weintrinkern und -trinkerinnen, die in der überwältigenden Mehrheit keine Fachleute sind. Die Weinsprache dient dem Wein, auch seinem Verkauf, der Orientierung, der Wertung, der Beurteilung, denn schließlich zahlt der Konsument für das, was ihm Genuss bereiten soll.

Weine verkosten ist nicht so leicht, wie man allgemein annimmt, doch darüber zu sprechen, ist oft noch viel schwerer. Trotzdem sind Sensorik und Sprache in der Beurteilung von und Kommunikation über Wein untrennbar miteinander verknüpft“, stellt ein gut dokumentierter Beitrag auf biowein-journal.at fest.

In seinem Blog auf vinolog.de schreibt Redaktionskollege Carsten M. Stammen in einem hervorragenden Essay: „Wenn die Weinsprache zu ausschweifend wird, wenn zu viele Bilder und Metaphern zusammenkommen und allzu (bemüht) originelle Analogien konstruiert werden, wenn der Satzbau eher abenteuerliche Formen annimmt, wenn die blumige Sprache blümerant wird und mehr Stilblüten und Katachresen hervorbringt als sinnvolle, sachlich angemessene und nachvollziehbare Beschreibungen – dann hat die Weinkritik ihren Zweck verfehlt und gereicht allenfalls dem Autor zur Labsal ob der eigenen (vermeintlichen) Genialität.“

L'Université du Vin in Suze la Rousse% Rhône (Quelle: P. Züllig)

Als kürzlich Wein-Plus ein Gespräch mit Gastronomie-Berater Otto Geisel, Weinhändler Martin Kössler und Weinkritiker Marcus Hofschuster zum Thema Weinsprache organisiert und protokolliert hat, blieb es vorerst – zumindest öffentlich – im Forum auf wein-plus.eu ruhig. Auf Facebook hingegen wurde das Thema sofort aufgegriffen. „Eine wertvolle Diskussion. Und doch habe ich den Eindruck, dass die Teilnehmer mehr oder weniger aneinander vorbeigeredet haben. Am Ende ist und bleibt unklar, wie sie denn nun konkret aussehen soll, die ‚neue Sprache’ des Weins. Und welche Rolle dabei Zahlenschemata spielen“, schreibt Werner Elflein bei "Weinfreaks". Prompt folgen weitere 118 Kommentare, Facebook-like, mitunter kurz, ab und zu ernsthaft, ab und zu auch weniger. Doch, das Thema scheint selbst in eingeschworenen Weinliebhaberkreisen unter den Nägeln zu brennen.

Ich habe im eher erlahmten Forum von Wein-Plus dann den Faden aufgenommen. Und siehe da, es hat sich etwas geregt. Zwar wurde ich zuerst einmal gründlich belehrt: „Angewandte Fachsprache ist an sich einfach, in alle Sprachen mühelos und eindeutig zu übersetzen (oder bedient sich absolut gleich verstandener fixer Begriffe) und dient dazu, einem Anderen, der etwas nicht kennt, unmissverständliche, überall gleich verstandene Informationen zu übermitteln. Punkt“, schreibt Koal. Recht hat er. „Punkt.“

Nur sind es wirklich „absolut gleich verstandene Begriffe“, die sich in der Weinsprache manifestieren? Da gibt es für mich keinen Punkt, sondern ein großes Fragezeichen. Selbst wenn viele tradierte Begriffe inzwischen (mehr oder weniger) definiert sind, handelt es sich in den allermeisten Fällen bei der Sensorik nicht um messbare Größen, sondern um Wahrnehmungen und – bei der sprachlichen Vermittlung – um Umschreibungen, Analogien, kurzum, durch eigene Erfahrungen (Wahrnehmung) interpretierbare Begriffe.

Und jetzt% was ist zum Wein zu sagen? (Quelle: P. Züllig)

„Obwohl sich seit einigen Jahrzehnten einige wissenschaftliche Institutionen um größere Einheitlichkeit und Präzision einer Weinsprache bemühen, scheinen einer exakten Diktion verschiedene Aspekte im Weg zu stehen…“, meint der Autor im Biowein-Journal und bezieht sich in den ausführlichen Begründungen auf mehr als 60 (dokumentierte) Zitate.

Doch gehen wir davon aus, dass es „exakte Begriffe analytischer Natur gibt, wie z. B. Aromen/Töne nach grünem Gras, Rosen, Muskat, Tabak und Vanille, sowie adstringierend, säurebetont und langer Abgang, die auch objektiv nachvollziehbar sind, weil für jedermann bekannt und nachprüfbar. Sie sind unter Fachleuten als gleichbedeutende Terminologie anerkannt und allgemein gültig“. „Ein Pfirsich ist ein Pfirsich ist ein Pfirsich“, werde ich im Forum belehrt. Ein schlagender Beweis?

Jeder, der sich mit Wahrnehmung befasst und schon Pfirsiche gegessen hat, weiß auch aus eigener Erfahrung, dass das nicht stimmt, oder eben nur ein Teil der Wahrheit oder Richtigkeit ist. „Ein Pfirsich ist nicht ein Pfirsich, ist nicht ein Pfirsich“, das ist weniger Behauptung als vielmehr Erfahrung. Doch „das ist aber doch gar nicht das Thema“, wird mir gesagt, „es geht um die normierte Sprache, sonst gar nichts“. Richtig (auch aus meiner Sicht), es geht um die Sprache – in diesem Fall um die Weinsprache. Und Sprache ist so eindeutig nicht, sonst würden wir zum Beispiel nicht dauernd und immer wieder – wie jetzt in der Diskussion um die Weinsprache – aneinander vorbeireden.

René Magritte% „Ceci n’est pas une pipe.“ (Quelle: P. Züllig)
Die Dadaisten haben – auf ihre Art – die Vieldeutigkeit der Sprache (oder generell der Kommunikation) thematisiert, und der Surrealist René Magritte – zum Beispiel – hat mit dem berühmten Bild „Ceci n’est pas une pipe“ genau das formuliert, was Sprache in ihrer Mehrdeutigkeit ist oder sein kann.

Da macht die Weinsprache keine Ausnahme. Wenn auch hier immer wieder um Eindeutigkeit in der Kommunikation gerungen wird, so ist das nicht nur löblich, sondern eine Voraussetzung, damit Weinbeurteilung nicht nur ein Instrument für Fachleute ist, sondern auch dem Wein und der Information des Konsumenten dient (oder dienen kann). Genau da liegt der Kern der Problematik.

Die Weinsprache ist für den so genannten Laien weitgehend unverständlich, weil sie in vielen Ausdrücken und Kombinationen einfach nicht nachvollziehbar ist. Die Weinsprache hat sich – wie so viele Fachsprachen – weitgehend vom Objekt (dem Wein) und den Betroffenen (den Weintrinkern) gelöst. „Und erst recht ist eine Fachsprache nicht dazu da, um dem unbedarften Konsumenten irgendetwas zu vermitteln“, wird im Forum geschrieben. Fachleute also unter sich! Produzenten, Kritiker, Geschulte, die sich um ein Produkt versammeln. Der Abnehmer dieses Produkts hat draußen zu bleiben. Bitteschön!

Bereitgestellt zur Degustation (Quelle: P. Züllig)

Diese Arroganz ist es doch, die die Weinsprache für viele unverständlich und sogar verdächtig macht. Auf der einen Seite diese Absolutheit in einem Bereich, nämlich der Sensorik, die so absolut nicht gesetzt werden kann. Nicht nur inhaltlich, auch sprachlich nicht, denn da geht es in weiten Teilen nicht um abstrakte Zahlen, um physikalisch messbare Werte, um definierte Formeln, sondern um Wahrnehmung, die mit dem Wahrnehmenden, dem Subjekt, eng verbunden ist. Auf der andern Seite steht der Konsument, der verlässliche Aussagen wünscht, ja, braucht, um ein Produkt zu beurteilen, das er auswählt, kauft und bezahlt. Zumal das Angebot unendlich vielfältig und groß ist und auch von Jahr zu Jahr, von Ernte zu Ernte, von Entwicklung zu Entwicklung variiert. Ein Produkt, für das auch mit allen nur denkbaren Schalmeienklängen geworben wird.

Ist es da verwunderlich, wenn sich der „unbedarfte Laie“ eine Sprache wünscht, die er auch versteht, und die sich nicht aus Begriffen und Sprachbildern zusammensetzt, die aus dem Lateinischen oder Griechischen hergeleitet werden, oder Wortschöpfungen sind, die vielleicht verstanden, im Alltag aber kaum verwendet werden?

Reden über Wein – Kommunikation bei der Degustation (Quelle: P. Züllig)

Vielleicht müssten auch die Weinkritiker (bei aller Seriosität und Wissenschaftlichkeit) zur Kenntnis nehmen, wie Menschen miteinander kommunizieren. Sie zählen nämlich nicht Fakten und Begriffe auf, sie erzählen einander immer wieder „Geschichten“. In diesen Geschichten gibt es durchaus Fakten, Zahlen und definierte Begriffe. Doch das Gerüst ist eine Handlung, eben eine Geschichte, die fast immer verstanden wird und hinter der eine Aussage (Botschaft) steht, die nachvollzogen werden kann. Sprache ist immer Abbild – sozusagen Stellvertretung – für das, was kommuniziert werden soll. Sie ist bis zu einem gewissen Grad genormt in den einzelnen Begriffen, nicht aber in dem, was sie in der sprachlichen Folge und Formulierung ausdrücken will und auszudrücken vermag.

Die „Geschichte hinter der Geschichte“, das heißt die Botschaft, die in einer jeden Geschichte „verpackt“ ist, vermögen wir viel besser zu lesen, zu begreifen, nachzuvollziehen als die Aneinanderreihung von vermeintlich präzisen Begriffen. „Ich beiße in einen Pfirsich, der Saft zieht sich im Mundwinkel zusammen, der Kern verhindert größere Bisse, die Fasern geraten zwischen die Zähne, was außen noch süß, fruchtig, weich ist, verhärtet sich im Innern, wirkt unreif, grün und leicht säuerlich. Die restlichen Früchte lege ich in die Schale. Ich muss doch nochmals rasch zum Händler, der Besuch kommt schon in einer Viertelsunde.“ Eine Alltagsgeschichte. Warum ich sie erzähle? „Ein Pfirsich ist eben nicht ein Pfirsich, nicht ein Pfirsich!“

Herzlich
Ihr/Euer

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