Der Klassiker trotzt dem Klimawandel

Jeder Winzer, der alt genug ist, kann bezeugen, wie rasant sich die Anbaubedingungen durch den Klimawandel ändern. Der Austrieb beginnt immer früher, womit die Gefahr steigt, dass Frosteinbrüche besonders großen Schaden anrichten; man hat entweder mit Wassermangel zu kämpfen oder mit feucht-warmer Witterung und dadurch massivem Krankheitsdruck; die Zuckerwerte in den Beeren steigen bisweilen so schnell, dass die Aromareife kaum hinterherkommt. Die Lese muss deutlich früher und dadurch zumeist bei höheren Temperaturen als gewohnt stattfinden, was seine eigenen Probleme mit sich bringt. “Normale” Jahrgänge existieren fast nicht mehr. Dem Winzer bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die veränderte Situation einzustellen.

Das gilt auch für das Chianti Classico. Zwar ist die Situation für das relativ hoch gelegene Gebiet mit seinen starken, das Klima mäßigenden Waldbeständen günstiger als in anderen Weinregionen des Mittelmeerraums, aber auch hier sind die Veränderungen deutlich. Das merken wir nicht zuletzt in den Weinen. Waren vor 20 Jahren Alkoholgrade von 14% und mehr noch die Ausnahme, sind sie heute die Regel. Doch viele Winzer steuern gegen, und gerade die einheimischen Rebsorten scheinen ihnen zu helfen, indem sie sich auf die veränderten Bedingungen einstellen.

Die Ergebnisse sprechen für sich: Wir waren erstaunt, wie viele elegante, frische sowie zugleich konzentrierte und vielschichtige Weine wir auf dem Tisch stehen hatten. Vielen der besten Winzer gelingt es, ihren Chianti alles an Substanz, Aromenvielfalt und Struktur mitzugeben, die ein exzellenter Wein braucht, ohne es mit Reife und Alkohol zu übertreiben. Selbst mit ihren Gran Selezione gelingt es einigen, unter der 14-Prozent-Marke zu bleiben, ohne dass es den Weinen an irgendetwas fehlt, ganz im Gegenteil. Und selbst deutlich kräftigere Exemplare besitzen dank des Sangiovese und seiner natürlichen Säure häufig Spannung und Frische. Solange so etwas möglich ist, wird uns nicht bang um eine der schönsten Weinregionen der Welt.

Rund 300 Chianti Classico aller Klassen haben wir in den vergangenen Wochen probiert. Der Großteil der Weine stammt aus den Jahrgängen 2022 bis 2019, wobei sich der Schwerpunkt immer mehr in höhere Klassen verschiebt, je älter die Proben werden: Während aus 2022 nur Annate probiert wurden, sind es aus 2019 fast gar keine mehr. Viele der noch älteren Chianti stammen aus unserem eigenen Archiv, aus dem wir regelmäßig Kontrollproben in aktuelle Verkostungsserien einfügen, um zu sehen, wie sie sich entwickeln – und ob wir mit unseren Einschätzungen damals richtig gelegen haben. Doch einige der früheren Jahrgänge wurden auch frisch von den Produzenten eingereicht, meist wohl, um ihre Entwicklungsfähigkeit zu demonstrieren. Nur wenige von ihnen dürften heute noch im Verkauf sein.

Aus dem Jahrgang 2022 konnten wir bislang nur knapp 20 Annate probieren, daher ist es für eine aussagekräftige Einschätzung noch zu früh. Der Witterungsverlauf jedenfalls war günstig. Zwar war es ab Juni sommerlich warm bis heiß, doch die Regenfälle im Frühjahr sowie Mitte August beugten Trockenstress vor.

Durchwachsener sieht es mit dem 21er aus. Auch hier regnete es im Frühjahr ausreichend, doch dann folgten etliche Wochen teilweise ohne jeden Tropfen Wasser. Zudem sorgte ein Kälteeinbruch nach Ostern für deutliche Unterschiede in der Reifeentwicklung zwischen wärmeren und kühleren Gebieten. Standort, Böden und das Alter der Reben waren für das Endergebnis entscheidende Faktoren. Entsprechend schwankend sind auch unsere Erfahrungen aus der Verkostung: von einigen Annate waren wir hellauf begeistert, andere wiederum wirken ein wenig spröde, manche sogar leicht grün. Wir sind gespannt, wie es bei den Riserve und Gran Selezione aussieht, von denen bislang nur sehr wenige angestellt wurden.

2020 gilt als exzellentes Jahr in der Toskana, dank ausreichender Frühjahrsniederschläge, einem Sommer ohne Temperatur-Exzesse und Idealbedingungen während der Lese. Unsere Ergebnisse geben dem Recht mit einer Fülle exzellenter Weine in allen Kategorien. Bemerkenswert ist vor allem die Finesse, Eleganz und Präzision vieler Spitzenweine, die man sich in Zeiten jährlicher Hitzerekorde kaum mehr zu erhoffen wagte. Probleme gab es vor allem da, wo man es mit der Reife, der Extraktion oder dem Holzeinsatz übertrieben hat.

Ähnliches gilt auch für 2019, auch wenn uns die Qualitäten ein wenig stärker zu schwanken scheinen als 2020. Das kann aber genauso der Weinauswahl geschuldet sein, denn wenn wir uns die in den vergangenen Jahren verkosteten 2019er mit ansehen, ergibt sich eine kaum weniger beeindruckende Auswahl großartiger Weine. Die Spitzen sind wieder präzise, frisch, fest und saftig, und das in allen Klassen.

Aus dem Jahrgang 2018, der in der Toskana im Gegensatz zu vielen anderen Gebieten verregnet statt zu trocken war, und den erst ein sonniger September rettete, sowie aus den älteren Jahrgängen haben wir nur noch einige Nachzügler probiert. Hier lohnt es sich auf jeden Fall, auch auf unsere früheren Verkostungsberichte zurückzugreifen.

Nachfolgend kommen die besten aller aktuell verkosteten Weine sowie Links zu allen bewerteten Chianti Classico mit ihren Produzenten, sortiert nach Jahrgang und Klassifikation.