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Italien ist weinmäßig kein Stiefkind. Für mich aber – im präzisen Wissen und in der „Genuss-Schulung“ - ein Sorgenkind. Da bin ich nicht ganz allein. Obwohl Italien hinter Frankreich das zweitgrößte Weinanbaugebiet Europas ist, mit einer Anbaufläche von 1 Million Hektar, einer jährlichen Produktion von über 60 Millionen Hektolitern und einem Export von mehr als einem Drittel der Weine. Doch dies sind statistische Angaben, die je nach Quelle variieren. Viel entscheidender ist für mich die Frage: Warum weiß ich so wenig über italienische Weine?

Gegen 40 Weinregionen über ganz Italien verteilt. Von Südtirol bis Sizilien.

Wo soll ich meine „Entdeckungsfahrt“ beginnen, wo wird sie wohl enden? Im Chianti-Gebiet, da wurde ich weinmäßig sozialisiert. Nicht mit den „Supertoskanern“, die gab es noch lange nicht. Sie begegneten mir erst viel später, als der Mythos Wein für mich zum Begriff wurde und die Preise mich erschreckten. So genannte „Tafelweine“ mit Fantasienamen und –preisen: Tignanello, Solaia, Sassicaia, Solengo, Ornellaia, Masseto und wie sie alle heißen. Nein, es waren die mit Stroh umflochtenen, bauchigen Flaschen, die meine Weinkultur prägten. Italien hatte tatsächlich – im Gegensatz zu Frankreich – sehr lange keine internationale Weinkultur. Wein gehörte einfach zum italienischen Lebensgefühl, das immer wieder kolportiert wurde als „Wein, Weib und Gesang“. Diesem Lebensgefühl bin ich schon früh begegnet, waren doch in der Schweiz die Italiener sozusagen unsere ersten Gastarbeiter.

Chianti% war früher das Synonym für italienischen Wein und wurde traditionell in strohumflochtenen Flaschen (fiasco) verkauft.

Doch das sind heute nichts anderes als nostalgische Ferienerinnerungen der 50er bis 70er Jahre: „Ja, ja, der Chianti-Wein, der lädt uns alle ein! Darum lasst uns glücklich sein!“ Als ich kürzlich zum 60. Geburtstag eines Freundes eine Degustation organisierte, da habe ich, auf Wunsch seiner Frau, als Piraten einen Chianti in der klassischen Strohflasche unter die Topshots geschmuggelt – und er wurde nur von wenigen erkannt, obwohl viele der Geburtstagsgäste mit eben diesem Wein zum Wein gekommen sind. Tempi passati! Heute präsentiert sich das klassische Gebiet der Sangiovese-Traube – die Toskana – ganz anders: selbstbewusster, vornehmer, durchaus in der Liga der besten europäischen Weine mitspielend. Unter dem Titel „I Tre Maestri Toscani“ haben sich drei Weingrössen der Toskana zu einem gemeinsamen Auftritt zusammengefunden und stellten die Weine von 117 Winzern in Zürich vor. Da musste ich hin, da wollte ich es wissen.

Gruppenbild mit Frau und Kleinkind. Mehr als 100 italienische Winzer waren in Zürich persönlich anwesend.

Ich gebe zu, meine Annäherung war gar nicht einfach. Das Gebiet ist schon ordentlich eingegrenzt: die Toskana. Und in der Toskana „nur“ die drei Konsortien „Brunello di Montalcino“, „Chianti Classico“ und „Nobile di Montepulciano“. Während wir, wie das so üblich ist an solchen Mammutveranstaltungen, mit Informationen, Statistiken und „authentischen Aussagen“ vollgestopft wurden, habe ich meine Nase tief ins Glas gesteckt und versucht, das Typische herauszuriechen und herauszuschmecken: Boden, Lage, Rebsorten. „Die Weine erlebbar machen und die hohe Qualität beweisen“, dies wollten die Verantwortlichen. Ist dies bei mir auch angekommen? Ja, weil mich die Qualität beeindruckt hat. Nein, weil ich vor lauter Flaschen die umschriebene Weinlandschaft nicht mehr finden konnte. Da ein Glas, dort ein Schluck, hier ein paar Worte, dort eine Präzisierung, vorne ein Produzent, daneben ein Händler, Wein durch den Mund gezogen, Wein ausgespuckt, nach Bekanntem gesucht, Unbekanntes gefunden.

Einer der Präsentationsräume mit Degustationstischen für 117 Weingüter

Am meisten hat mich die Rebsorte beeindruckt. Was Cabernet Sauvignon - Merlot für das Bordelais ist, verkörpert die Sangiovese für die Toskana: Italien. Ich weiß, dies greift viel zu kurz, werden doch in Italien die traditionellen einheimischen Rebsorten auf hundert und mehr geschätzt. Sangiovese aber wird weitaus am meisten angebaut, auf fast 90‘000 Hektar. Ist es da verwunderlich, wenn Italien mit dieser Traube oft gleichgesetzt wird.?

Man soll mir jetzt nicht mit den alten Etruskern kommen, die den Sangiovese („Blut des Jupiter“) nach Italien gebracht haben. Der raue Geselle ist durchaus nobel geworden, durch edlere Klone, späte und langsame Reife, Pflanzendichte, niedrige Erträge, raffiniertere Vinifizierung und terroirgerechten Ausbau. Aber, das kennen wir doch alles aus vielen andern Weingebieten.

Doch wie schmeckt er denn, dieser „italienische Wein“, dieser Sangiovese?

Präsentation der traditionellen Spitzenweine aus der Toskana

Wie immer in solch schwierigen Fällen muss die internationale Weinsprache herhalten. Da sind einmal die Aromen: Brombeere, Johannisbeere, Veilchen, Tabak, Mineralik, Kirschen, Cassis, ein Hauch von frischer Vanille, dunkle Waldbeeren. Dann die Charakteristik: weich und harmonisch, vollmundig, ein fruchtbetontes Aromenspiel, leicht bitter, kräftig, mittlere Säure. Verzweifelt suche ich nach dem, was den Wein so typisch italienisch oder gar toskanisch macht. Umsonst – ich spüre es, es steigt mir in die Nase, es schleicht den Gaumen entlang. Wortlos, aber voller Ausdruck.

Entnervt gebe ich es auf, nehme einen Schluck vom nächsten Produzenten, greife zu ähnlichen beschreibenden Worten und bin überzeugt, einem Stück Italien begegnet zu sein.

Reben und Olivenhaine prägen die Landschaft des Chianti Classico

Wer jetzt enttäuscht ist, dass ich nicht besser beschreiben kann, was ich da erlebe, der schlage nach in einem Weinführer. Da heißt es etwa: „Tiefer, rauchig-röstiger Duft nach reifen, teils eingemachten, teils angetrockneten Kirschen mit Noten gemischter Beeren sowie tabakigen und trockenkräuterartigen Aromen. Ziemlich saftig im Mund, schmelzige, reife Frucht mit röstigen Holzaromen, wieder auch Trockenkräuter und süßliche Tabaknoten….“. Sicher professioneller, stilsicherer als meine dilettantischen Versuche Aber mehr italienisch, mehr toskanisch, mehr sangiovesisch? Ich bleibe dabei: Italien ist weinmäßig kein Stiefkind. Für mich aber – im präzisen Wissen und in der „Genuss-Schulung“ ein Sorgenkind. Doch ich habe seine Adoption bereits eingeleitet!

Herzlich

Ihr/Euer

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