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„Ahhh… ohhh... uhhh“, hört man im Zug, wenn man bei schönem Wetter von Fribourg nach Lausanne fährt. Ausgelöst wird dieses Staunen und Bewundern durch das Panorama, das sich bietet, wenn man vor Chexbres den kurzen Bahn-Tunnel verlässt. Man ist plötzlich mitten im wohl schönsten Weingebiet der Schweiz, im Lavaux, wo der Chasselas zu Hause ist. Dieser Region – seit 2007 UNESCO-Welterbe – hat nun die Schweizer Post eine Sonderbriefmarke gewidmet.

Dreiteilige Briefmarke mit dem Lavaux-Panorama am Genfersee (Foto: P. Züllig)

Briefmarken sind – auch im Zeitalter von eMail – noch immer kleinste Wertpapiere, die in jedem Haushalt vorrätig sind. Eine 100er-Marke (100 Rappen) braucht es, um einen Brief innerhalb der Schweiz zu versenden. Deshalb ist sie die gebräuchlichste Marke der Schweiz und damit einer der besten bildlichen Werbeträger. Staatliche Werbung (die Post ist in der Schweiz nicht privatisiert) für ein Weingebiet, eine Seltenheit.

Die Weinberge im Lavaux liegen am nördlichen Hang des Genfersees, ein langgezogenes Rebfeld von Lausanne bis zum berühmten Wasserschloss Chillon. Zwei Drittel der Reben sind Gutedel – oder eben Chasselas auf Französisch. Es ist also ein typisches Weißweingebiet, trotz aller Terroir-Unterschiede wohl das homogenste Weingebiet der Schweiz. Der Begriff „Schweizer Weißwein“ wurde lange Zeit mit der Rebsorte Chasselas gleichgesetzt. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber längst nicht mehr so eindeutig, wie es einmal war, als man noch große Mengen anstrebte. Inzwischen ist auch hier Qualität oberstes Gebot, denn der Chasselas lässt sich nur noch vermarkten, wenn er eigenständig, terroirspezifisch und auch geschmeidig ist. Also als feiner, nuancierter, differenzierter Wein.

Die landschaftliche Überraschung auf der Fahrt nach Lausanne (Foto: P. Züllig)

Es ist nicht ganz einfach, den Chasselas bei rieslingverwöhnten Weinliebhabern beliebt zu machen. Die meisten rümpfen die Nase, wenn man vom Chasselas spricht, vor allem, wenn man den deutschen Begriff Gutedel verwendet. Bestenfalls wird er als Fendant (Walliser Bezeichnung) zum klassischen Raclette akzeptiert, vielleicht auch noch als Aperitif-Wein. Das kleine, becherförmige, kristallene Apéro-Glas, das vor Jahren noch zum Gläserbestand eines schweizerischen Haushalts gehörte, ist heute fast ganz verschwunden. Der Chasselas wird jetzt in eleganten Kelchen serviert, genauso wie jeder andere Qualitätswein. Es gibt sogar das eigens für den Chasselas konzipierte Spezialglas.

Zwei Chasselas-Gläser: links der traditionelle Becher% rechts das Qualitätsglas (Foto: P. Züllig)

Am besten nähert man sich dem Chasselas über die atemberaubende Landschaft über dem Genfersee – 15 Kilometer lange Terrassierungen, die zum Teil schon im 12. Jahrhundert von den Zisterziensern angelegt wurden. Wer im Herbst in die goldgelbe Rebenpracht eintaucht, der möchte auch wissen, wie der Gutedel à la vaudoise (nach Waadtländer Art) schmeckt. Jedenfalls anders als der Gutedel aus dem Badischen. Wie anders, wurde mir erst so richtig bewusst, als ich kürzlich auf Weintour im Markgräflerland war, also in der Region zwischen Lörrach und Freiburg. Es kann nicht nur am Ausbau des Weins (vor allem am biologischen Säureabbau oder eben nicht) liegen, sondern muss viel mehr auch mit dem Terroir zu tun haben. Der Chasselas ist selbst in der Schweiz recht unterschiedlich, am Bieler-, Neuenburger- und Genfersee oder im Wallis hat man oft das Gefühl, einen anderen Wein im Glas zu haben. Ja, selbst in der Waadt, wo das Lavaux liegt, findet man die erstaunlichsten Unterschiede. „Für eine weitere Eigenschaft halte ich den Chasselas in Ehren: Kaum eine andere Sorte lässt den Boden, auf dem sie gewachsen ist, so deutlich durchscheinen“, schreibt der Hamburger Journalist Ulrich Sautter in „Mémoire des Vins Suisse“, und zwar unter dem Titel: „Ein verkanntes Genie“.

Die Chasselas-Trauben – verkannte Genies (Foto: P. Züllig)

Wenn eine Briefmarke dazu führen kann, ein Weingebiet mit seiner wichtigsten Rebsorte kennenzulernen, dann finde ich das bemerkenswert. Briefmarken reisen um die Welt, Landschaften bleiben da und müssen besucht werden. Nur ihr Bild, ihr Gesicht, ihre Eigenart kann vermittelt werden. Diese Eindrücke bleiben aber immer ein Abbild, meist nur als Sonnenseite einer Region. Im Lavaux kann es genau so trüb, kalt und unfreundlich sein wie in jeder anderen Region; ebenso, wie es im Lavaux nicht nur den Chasselas gibt (ca. 60 %), sondern auch rote Rebsorten, Blauburgunder (14 %), Gamay (11 %), ja, sogar Merlot (1 %). Der Anteil an Chasselas ist rückläufig, in den letzten Jahren um gut 13 Prozent. Das weinweltweit gezeichnete Profil einer Monokultur mit Chasselas, der ältesten Rebsorte der Welt (sagt man), ist genauso falsch wie das gängige Urteil über die „wässrige, neutrale Traube“, aus der ein Wein entsteht, „der bestenfalls zum nichtssagenden Begleiter billiger Instant-Fondues taugt“.

Allein schon die Landschaft veredelt den Wein (Foto: P.  Züllig)

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich zum fast ausschliesslichen Rotweintrinker geworden bin, weil mir der Massen-Chasselas, der lange Zeit als der Schweizer Wein ausgeschenkt wurde, immer mehr „aufgestoßen“ ist. Ich bin auch heute noch kein Weißweintrinker und damit ein ungeeigneter Propagandist für Schweizer Weißweine. Doch immer wieder, auch kürzlich auf einer Weinreise ins Lavaux, habe ich die neue geheime Liebe entdeckt. Zugegeben, es ist nicht die große Weinliebe, vielmehr ein kleines, charmantes Techtelmechtel mit einer Rebsorte, die wirklich mehr sein kann (und ist) als das, was über Jahre als Schweizer Weißwein „verkauft“ wurde, nämlich ein „fruchtiger, aromenreicher Wein in einer breiten Gehaltspalette; von leichtem, süffigem Typus bis Crus mit kräftigem, alkoholbestimmtem Charakter“ (Chasselas-Website). Oder eben ein „verkanntes Genie“.

Herzlich
Ihr/Euer

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