Der Deutsche Weinbauverband hat den Weg zum gesetzlichen "Großen Gewächs" (Grand Cru) und "Ersten Gewächs" (Premier Cru) freigemacht. VDP-Präsident Steffen Christmann erklärt, warum die neuen Regeln ein „Meilenstein“ für ihn sind – und welche Gefahren er weiterhin sieht.
Über drei Jahre haben Sie in der Arbeitsgruppe des Deutschen Weinbauverbandes die Positionen des VDP für Erste und Große Gewächse verhandelt, also die deutschen Kategorien für Grand Cru und Premier Cru in Frankreich. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?
Christmann: Wenn ich 20 Jahre zurückblicke, muss ich sagen, dass sich unglaublich viel verändert hat und sehr viel Einsicht dazu gekommen ist. Insofern würde ich auch das Wort „Verhandeln“ gar nicht als das Richtige bezeichnen. Es ist uns zunächst darum gegangen, den Beteiligten die Fakten und Umstände zum Großen Gewächs zu vermitteln. Was ist in den vergangenen 20 Jahren im VDP passiert? Wie funktionieren Klassifikationen in Frankreich, im Elsass, in Burgund? Wie sind sie entstanden? Für die meisten Mitglieder in den Verbandsgremien war das unbekannt. Wir haben auch verstanden, dass es sinnvoll ist, Kollegen aus dem Elsass und aus Österreich einzuladen. Vor allem der Austausch mit dem Elsass war für uns sehr fruchtbar.
Warum?
Christmann: Die Winzer von dort haben uns erläutert, warum sie jetzt nachjustieren müssen, um ihr Grand Cru-System zum Erfolg zu bringen. Denn deren Regeln, die in der DWV-Arbeitsgruppe als „streng“ bewertet wurden, gelten im Elsass inzwischen als dringend reformbedürftig - weil sie viel zu großzügig definiert waren.
Was hat das bewirkt?
Christmann: Die Diskussion hat uns im VDP deutlich gemacht: Wenn wir über Klassifikation sprechen, darf es nie nur um die Bonität des Weinbergs gehen. Sie ist nur die Voraussetzung für die darauf erworbene Reputation eines Weines. Wenn man diese Grundlage nicht versteht und versuchen würde, alle Weinflächen in Deutschland vom Potenzial her zu bewerten, wäre das ein endloses Unterfangen geworden. Wir hätten sehr viele Weinberge bewerten müssen, auf denen niemals jemand den Versuch unternommen hätte, einen großen Wein zu erzeugen. Wir können aber davon ausgehen, dass es noch Weinberge gibt, die wie Dornröschen schlafen und irgendwann jemand kommt und sie wach küsst. Aber solange das nicht passiert, müssen wir uns mit diesen Flächen nicht beschäftigen.
Ein Winzer sagt: „Ich habe einen großartigen Weinberg“. Wie kommt er mit den neuen Regeln der Weinverordnung zu seinem Großen Gewächs?
Christmann: Es geht dabei nicht nur um das Große Gewächs, sondern nach der Reputation von unten aufbauend, um Erste und in der Spitze um Große Gewächse. Zuerst muss das, was der Deutsche Weinbauverband einstimmig beschlossen hat, durch das Bundesministerium mit Zustimmung der Länder in die Weinverordnung aufgenommen werden. Danach müssen sich die Schutzgemeinschaften der Regionen dem Thema annehmen und jeweils ein Komitee bilden, das aus Erzeugern, die damit Erfahrung haben und Fachleuten besteht und die jeweiligen regionalen Rahmenbedingungen für die Gewächse festlegt.
Also aus Mitgliedern des VDP.
Christmann: In jedem Fall auch. An der Mosel könnte es auch ein Winzer des Großen Rings sein. Nur sie sind Erzeuger, die sich auskennen mit dem Produkt. Es können aber auch andere Winzer und Fachleute sowie externe Experten dazu kommen. Sie werden einen Kriterienkatalog erarbeiten, der nach Vorgabe der Weinverordnung das Renommee, die Reputation und die Marktbedeutung eines beantragten Ersten oder Großen Gewächses in qualitativer und quantitativer Form bemisst.
Preis, Quantität und Weinbewertungen werden künftig eine Rolle spielen
In welcher Form wird dabei die Herkunft eine Rolle spielen? Beim Bordeaux-Prinzip muss der Winzer einen traditionell hochwertigen Wein zum hohen Preis erzeugen. Oder verfolgen Sie eine geografisch genaue Klassifikation wie etwa im Burgund?
Christmann: Wir wollen eine Kombination aus Bordeaux und Burgund. Es ist ein zweistufiges Verfahren: Zunächst wird abstrakt die Eignung des Weinbergs für ein Erstes oder Großes Gewächs festgestellt. Dazu kommt die individuelle Anerkennung der Reputation und der Fähigkeit des Winzers. Das regionale Komitee wird in aller Sorgfalt dazu das Regelwerk als Grundlage entwerfen. Auf dieser Basis können Winzer den Antrag stellen, dass eine Lage klassifiziert wird. Sie wird von einem Expertengremium bewertet und geografisch abgegrenzt. Danach besteht für den Winzer grundsätzlich die Möglichkeit, darin ein Erstes oder Großes Gewächs zu produzieren. Aber bevor er das machen darf, muss er über ein paar Jahre hinweg solche Weine produziert haben und auf dieser Basis einen individuellen Antrag als Weingut stellen – und dazu sein Renommee und seine Marktbedeutung beweisen. Dabei spielen Ansehen, Preis, Quantität und Weinbewertungen eine Rolle. Zudem soll eine Verkostung von mindestens fünf Jahrgängen in die Freigabe einfließen.
Das alles im Detail zu regeln, ist ein Projekt für die nächsten zehn bis 15 Jahre.
Christmann: Ein solches Jahrhundertprojekt braucht seine Zeit. Es ist ganz wichtig für den Gesamtprozess, dass wir das Thema entschleunigt und deutlich verschärft haben. Und wenn eine Region sich sehr viel Mühe gibt und intensiv am Thema arbeitet, kann es auch schneller gehen – wenn wir uns darauf einigen können, dass es richtig gemacht wird.
Die Schutzgemeinschaften waren bislang meist mit sich selbst beschäftigt. Nun sollen sie die Aufgabe erhalten, detaillierte Regelwerke auszuarbeiten?
Christmann: Alle sind sich einig, dass es diejenigen machen sollen, die Erfahrung damit haben und nicht Winzer, die ganz andere Weine mit anderem Hintergrund als ihr Metier betrachten. Uns ist der EU-Grundsatz extrem wichtig, dass die Erzeuger eines Produkts die Regeln bestimmen. Und deswegen ist es sinnvoll, dass das die Schutzgemeinschaft zwar die Mitglieder des Komitees bestimmt, die diese Regeln erarbeitet und ausgestaltet, dass die Mitglieder aber natürlich etwas davon verstehen.
Wie wollen Sie mit diesen Strukturen eine Einheitlichkeit der Regeln hinkriegen?
Christmann: Einheitlich sollen sie ja nicht sein. Der Kaiserstuhl braucht andere Regeln als die Saar. Ich denke aber, dass es sehr sinnvoll wäre, ein nationales Komitee zu gründen, das die regionalen Regelungen koordiniert und absegnet. Das haben wir im Moment aber noch nicht auf der Tagesordnung.
Warum nicht?
Christmann: Es ist ein langer, sorgfältiger Prozess und wir werden dabei immer wieder neue Erkenntnisse gewinnen, die einfließen müssen. Es ist vielleicht auch ein Vorteil, dass wir die Chance haben, viele Regeln nebeneinander zu legen und eine zeitgemäße Antwort zu geben. Im Burgund zum Beispiel gibt es die von uns erarbeitete Zweistufigkeit auch nicht. Jeder, der eine Parzelle in einem Grand Cru-Weinberg besitzt, darf qua Geburt einen Wein erzeugen, der zur höchsten Kategorie gehört – ohne dass der Wein selbst wirklich besonders gut sein muss. In der Realität wird es immer etwas geben, über das man geteilter Meinung sein kann. Deswegen dürfen wir es aber nicht aufgeben.
Es muss eine Institution entstehen, die Klassifikation neutral abarbeitet
Die Komiteemitglieder sollen jedes beantragte Weinbergstück anerkennen oder ablehnen?
Christmann: Nein, so ist es nicht. Letztlich muss eine Institution entstehen, die dieses Thema neutral abarbeitet. Es darf nicht der Eindruck entstehen, Winzer A lehnt den Anerkennungsantrag seines Nachbarn Winzer B ab und hält sich Konkurrenz vom Leib. Das darf nicht passieren.
Ist das eine Institution, die es schon gibt und der sie die Verantwortung übertragen wollen? Oder muss sie neu gegründet werden?
Christmann: Im Moment gibt es in Deutschland keine Institution, die das übernehmen könnte. Sie muss neu installiert werden, etwa als eine deutsche INAO.
Das Große Gewächs wird damit zum Generationenprojekt.
Christmann: Wenn man entschlossen ist, kann es auch schneller gehen. Aber wir halten es für wichtig, allen Beteiligten in diesem Prozess die Chance zu geben, sich mit der notwendigen Sorgfalt und Diskussionsbreite einzubringen.
Es klingt, als ob das, was Sie als Erfolg der Verhandlungen bewerten, nur das Schlimmste verhindert hat.
Christmann: Das halte ich für falsch. Von Anfang an war unsere Klassifikationsbemühung auf das finale Überführen in ein offizielles System gerichtet. Eine privatwirtschaftliche, also eigene Klassifizierung der Erzeuger selbst, kann nicht die gleiche Anerkennung in der weiten Welt finden, wie eine neutralere, offizielle, staatliche. Die Frage ist nur, ob die Zeit dafür schon reif war. Es war insofern eine Kraftanstrengung, den Kollegen unsere ganzen Erfahrungen und Überlegungen aus den vergangenen 30 Jahren im Schnelldurchlauf zu vermitteln. Wir haben als VDP etwas erreicht, was wir fast erstaunlich finden. Ernst genommen wird eine Klassifikation ja nicht, weil wir uns gegenseitig damit auszeichnen, sondern erst, wenn es von einer Überprüfung getragen ist und man dabei Maßstäbe ansetzt, die nicht einfach so zu erfüllen sind. Wir haben aber durch das, was wir in den vergangenen 25 Jahren gemacht haben, diese Situation ins Gegenteil verkehrt.
Wieso das?
Christmann: Man traut der privaten Klassifikation mehr zu als einer offiziellen. Der VDP hat etwas geschaffen, was eine extrem hohe Reputation besitzt. Selbst wenn man den einen oder anderen Aspekt kritisiert, sind sich die meisten Beobachter einig, dass eine sehr hohe Verlässlichkeit drinsteckt. Vor 25 Jahren wäre man nicht auf die Idee gekommen, dass eine staatliche Regulierung die Gefahr der Aufweichung enthält. Man hätte vermutet, dass der Staat strenger sein wird als das, was die Privatwirtschaft macht. Deswegen war der Weg des VDP von der Überzeugung getragen, dass er erst vollendet ist, wenn er in eine staatliche, allgemeinverbindliche Regelung überführt wird. Einige der Sorgen, die wir am Anfang dieses Prozesses vor drei Jahren hatten, konnten aufgelöst werden. Das ist ein Meilenstein. Wir sehen aber auch die Gefahren. Wir wissen, dass hinter der nächsten Ecke wieder eine Herausforderung auf uns wartet. Es sind viele Parameter, die noch offen sind.