wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Als der rheinhessische VDP-Winzer Dirk Würtz (St. Antony) in der Facebook-Gruppe „Hauptsache Wein“einen kurzen Aufruf für Weinspenden an seine Kollegen postete, ahnte er nicht, dass sich daraus eine der größten Hilfsaktionen der Weinbranche in Europa entwickeln würde. Wenige Tage später wusste er es. Im Interview mit Uwe Kauss berichtet er über zehntausende Flaschen, hunderte Freiwillige und eine Spende aus Südafrika.

Wie hast Du von der Flutkatastrophe an der Ahr erfahren?

Würtz: Wir haben Podcasts für unsere Reihe „Dieters Weinbar“ produziert. Da sollte Meike Näkel vom Ahr-Weingut Meyer-Näkel zu Gast sein. Wir hatten zwei Tage lang nichts von ihr gehört, aber ich habe mir keine Gedanken gemacht. Wir hatten ja nur gehört: Da gibt’s ein Hochwasser. Ich lebe und arbeite am Rhein, ich weiß, was das ist. Kein Drama. Doch bis zum Aufnahmetermin hatten wir keinen Kontakt zu ihr. Mein Podcast-Partner Andreas Kunze hat ihr daher noch mal geschrieben, und plötzlich kam die Antwort: „Hier ist Hochwasser. Wir haben nichts mehr außer unserem Leben.“ Wir konnten das erst gar nicht einordnen. Kurz darauf kamen immer mehr schlimme Nachrichten von der Ahr. Da wurde uns klar, dass die Situation dramatisch sein musste. Am Samstagmorgen fragte mich ein Bekannter, ob ich etwas vom Ahr-Winzerkollegen Benedikt Baltes gehört hätte. Es gab Gerüchte, er wäre als vermisst gemeldet. Später habe ich erfahren, dass er auf dem Dach seines Hauses saß und auf Hilfe wartete.

Wann hast Du beschlossen, den Spendenaufruf zu starten?

Würtz: Als deutlich wurde, dass das nicht nur ein Hochwasser war, sondern eine Katastrophe. Ich habe schon ein bisschen Erfahrung mit Charity-Aktionen, zuletzt bei „Kochen für Helden“ zum Corona-Lockdown. Also habe ich einen Aufruf an die Winzerkollegen in unserer Facebook-Gruppe „Hauptsache Wein“ gepostet: Schickt mir ein paar Flaschen Wein, am besten jeweils so etwa 60. Wir bieten sie in unserem Online-Shop zur Unterstützung an, verteilen sie hier im Weingut in 6er-Kisten und verschicken sie gegen Spende an Interessierte.

Niemand hat geahnt, dass die Aktion so eine Dimension entwickelt

Wie hat sich die Resonanz entwickelt?

Würtz: Nach den ersten Rückmeldungen der Winzerinnen und Winzer war schon am Samstagnachmittag klar: Da kommt was zusammen. Ich dachte: Würden vielleicht 1.500 Pakete für 65 Euro brutto zusammenkommen, wäre das der Hammer! 9.000 Flaschen musst du ja auch erst mal zusammen kriegen. Am Montag um 10 Uhr habe ich das Paket im Online-Shop freigeschaltet. 48 Stunden später hatten wir 10.000 Pakete verkauft! Das habe ich noch niemals erlebt. Wir hatten noch gar nicht genug Wein da, um die Bestellungen ausliefern zu können! Also habe ich ein paar Kollegen angerufen: Ich bräuchte da noch ein bisschen Wein. Hätte es nicht gereicht, hätte ich 10.000 eigene Flaschen eingepackt, die wir für einen Kunden gefüllt hatten. Aber bald war klar: Wir kriegen die 60.000 Flaschen tatsächlich zusammen. Von Donnerstag bis Sonntag haben wir von morgens bis in die Nacht nur noch gepackt. Parallel kam immer mehr Wein, plötzlich hatten wir 80.000 Flaschen! Niemand hat geahnt, dass die Aktion eine solche Dimension entwickeln würde.

SolidAHRität-Weinpakete in der Lagerhalle in Bodenheim (Rheinhessen), die ein Unternehmer der Aktion kostenfrei zur Verfügung stellt.

Dirk Würtz

Wieso habt ihr nicht einfach einen Spendenaufruf gestartet?

Würtz: Hinterher ist man immer klüger (lacht). Ich denke, für ein Überraschungspaket mit sechs guten Weinen sind viel mehr Menschen bereit, einen Betrag von 65 Euro zu spenden als nur mit einem Aufruf. Die Kombination macht’s! Viele haben zwei Pakete bestellt, andere sogar zehn oder auch mal 40.

Was war die größte Menge?

Würtz: Jemand hat 200 Pakete bestellt. Völlig irre.

Wie hat sich die Spendenbereitschaft der Winzer entwickelt?

Würtz: Es kamen Mails mit Weinspenden aus Österreich, Südtirol, Italien, Frankreich, Luxemburg, sogar aus Griechenland – und aus Südafrika. Ein befreundetes Weingut hat von dort gemailt: Ich schicke heute eine Palette. Obwohl die selbst mit ganz anderen Problemen kämpfen. Allein aus Österreich sind geschätzt 30.000 Flaschen gekommen.

Mit welcher Flaschenzahl rechnest du aktuell?

Würtz: Inzwischen sind deutlich über 200.000 Flaschen zusammengekommen. Aktuell können wir daher nichts mehr annehmen. Der Bruttobetrag überschreitet schon jetzt eine Million Euro. Aber wir müssen ja die Umsatzsteuer abführen, und der Versand kostet auch einen sechsstelligen Betrag. Aber dennoch: Wir werden am Ende mit mehr als einer Million Euro den Menschen helfen können.

Wie viele Freiwillige haben geholfen?

Würtz: Wir hatten von Donnerstag bis Sonntag 200 Helfer zum Packen hier. Ohne die hätten wir das niemals geschafft. In den nächsten Tagen kommen noch einmal 200 Freiwillige.

Das Entscheidende ist die Hilfe zur Selbsthilfe

Wie soll der Spendenbetrag eingesetzt werden?

Würtz: Das Geld geht komplett an den VDP-Verein „Der VDP.Adler hilft“. Da bin ich jetzt auch Mitglied. Es soll allen betroffenen Winzern helfen, nicht nur VDP-Betrieben. Das war für mich Voraussetzung, anders hätte ich mich nicht beteiligt. Das Entscheidende ist für uns die Hilfe zur Selbsthilfe: Der Jahrgang 2019 ist mit der Flut weggeschwommen, die Fässer von 2020 liegen irgendwo in der Landschaft. Daher darf der Jahrgang 2021 auf keinen Fall verloren gehen! Deswegen habe ich auch meine Leute mit Raupen zum Helfen in die Ahr-Weinberge geschickt. Wenn ich die Betroffenen frage: Was brauchst du für den Herbst?, ist die Antwort für sie sehr schwierig zu geben. Sie haben vielleicht alles verloren und können noch nicht wieder klar denken. Daher wollen wir ganz gezielt helfen. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass wir zwei große Traubenannahme-Stationen samt Entrapper und allem, was nötig ist, aufbauen lassen. Es wird aber keine Schnellschüsse geben.

Hätte die Aktion ohne „Hauptsache Wein“ funktioniert?

Würtz: Sicher nicht. Wir haben über 20.000 Mitglieder, das ist die größte Wein-Community Europas, vielleicht sogar der Welt! Deswegen habe ich ja auch den Spendenaufruf dort gestartet. 80 Prozent derjenigen, die in Deutschland beruflich mit Wein zu tun haben, sind Mitglied.

Projekt-Organisator Dirk Würtz (m.) mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Jan Metzler aus Worms (l.) und Christian Baldauf, CDU-Fraktionsvorsitzender im rheinland-pfälzischen Landtag (r.)

Dirk Würtz

Ihr seid inzwischen vom Weingut in eine Lagerhalle umgezogen. Wie kam es dazu?

Würtz: Das ist der Verdienst des Deutschen Weininstituts (DWI) – wie so viele Hilfen, die es aktuell möglich gemacht hat. Schon bei der Suche nach Sponsoren für Versandkosten und Verpackung haben sie ihre Kontakte abgefragt. Der DWI-Marketingleiter Steffen Schindler stand hier auf dem Hof, betrachtete die Weinpaletten und fragte mich: Was macht ihr, wenn’s regnet? Wird es nicht, habe ich geantwortet. Und klar, kurz darauf hat es geregnet. Steffen hat mir einen Kontakt zum Besitzer einer Halle im benachbarten Bodenheim hergestellt. Als ich sie besichtigt habe, dachte ich: Das ist ein Sechser im Lotto! Die DWI-Mitarbeiter kommen auch zum Weine einpacken, das Weininstitut hat sogar inzwischen das Catering für die Helferteams organisiert. Vorher haben wir selbst für alle gegrillt und gekocht.

Was passiert, wenn die Spenden-Million zusammengekommen ist? Wird gefeiert?

Würtz: Nichts da. Vollgas, einfach weitermachen. Es gibt keinen Grund zum Feiern. Es darf alles passieren, nur darf die Hilfsbereitschaft nicht nachlassen. Wir müssen das Projekt auf hohem Niveau aufrecht erhalten. Ich werde übers ganze Jahr weiter zu Spenden aufrufen.

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER